Sean-Paul Sartre war fast blind, als er sich mit den zwei Brüdern im Geiste in Stammheim ablichten ließ.
Mit sichtlich guter Laune sollte der Philosoph, der 30 Jahre zuvor seine eigene Zunft revolutioniert hatte, den größten Fauxpas seiner Karriere machen. Er besuchte den RAF Terroristen Andreas Baader im Gefängnis.
Ihm zur Hand gingen des Insassen Anwalt Klaus Croissant und der Aktivist Daniel Cohn Bendit.

Der Advokat, schon damals stramm links, war zu diesem Zeitpunkt als „IM Thaler“ unterwegs – ein Mitarbeiter der Stasi. Später engagierte er sich bei der PDS, die heutige Partei „Die Linke.“
Auch Bendit, grünes Urgestein und langjähriger EP Abgeordneter, der vor vielen Jahren mit pädophilen Äußerungen aufsehen erregte, begleitete ihn.
Das Medienecho war geteilt. Viele Linke begrüßten Sartres Engagement. Andere betrachteten den Besuch als das, was er in meinen Augen ist: Eine intellektuelle Aufwertung von Terrorismus.
Der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg fand die richtigen Worte.
Ich möchte sagen, der Besuch von Sartre bei diesem Häftling ist eine Instinktlosigkeit gegenüber den Opfern dieser kriminellen Bande, die skrupellos zu Gewalt gegriffen hat und die ja immer noch skrupellos zu Gewalt greift.
Warum ich mit der ollen Kamelle komme, fragen Sie? Die Geschichte passt so gut, weil sie das unterschiedliche Bewerten von rechter und linker Gewalt veranschaulicht. Schauen wir uns doch an, was Sartre nach dem Besuch bei Baader zum besten gab.
Ich möchte noch mal sagen, warum ich diesen Besuch bei Baader gemacht habe, weil viele von euch Baader als Kriminellen ansehen. Aus französischer Sicht kann ich sagen, dass die Politik, die ich für richtig halte, keine Baaders benötigt, dass man eine Einheit der proletarischen Massen heute und in den nächsten Jahren herstellen kann, dass man dazu aber eine solche Politik nicht braucht. Man kann diskutieren, ob diese Position der RAF vielleicht auch irrelevant ist, aber diese Gruppe, und das sage ich aus der Sicht meiner A-priori-Sympathie für die Linke, dass Baader versucht hat, eine andere Gesellschaft herbeizuführen, diese Position scheint mir nicht skandalös. Es gibt keinen reinen Kriminellen. Es scheint mir wichtig, dass man sie kennt.
Dieses Statement ist genau die Intetellektualisierung von Terror, die ich meine. Kein Wort von den Opfern, ihren Taten, die Angst und den Schrecken, den sie verbreitet haben. Sartre lässt das Verbrechen „links“ liegen und befasst sich stattdessen mit den Zielen der RAF, die er ausdrücklich teilt. Er sagt nicht „Die RAF ist schrecklich“, sondern: „aus französischer Sicht kann ich sagen, (…) dass es keine Baaders benötigt.“ Wohl aber von deutscher Warte aus?
Skandalös ist für ihn auch gar nicht Baader. Denn er verfolgt ja die für Sartre hehren Ziele, eine „andere Gesellschaft“ herbeizuführen. Er begrüßt den Versuch und damit rechtfertigt er Terror.
Nun kann Sartre diese Meinung haben. Es war sein gutes Recht, Terroristen zu besuchen. Das Beispiel zeigt vorzüglich, wie unterschiedlich gemessen wird, wenn es um die zwei scheinbaren Gegensätze, „Links“ und „Rechts“ geht.
Man stelle sich folgendes Szenario vor. Beate Tschäpe wird von Marc Jongen, ein rechter Philosoph, besucht. Björn Höcke begleitet ihn bis zu den Türen des Gefängnisses, so wie einer ihrer Anwälte. Jongen spricht mit der Terroristin und tritt danach vor die Kamera, um ein Statement abzugeben.
Ich möchte noch mal sagen, warum ich diesen Besuch bei Tschäpe gemacht habe, weil viele von euch Tschäpe als Kriminellen ansehen. Aus meiner Sicht kann ich sagen, dass die Politik, die ich für richtig halte, keine Tschäpes benötigt, dass man eine Einheit der etnopluralistischen Massen heute und in den nächsten Jahren herstellen kann, dass man dazu aber eine solche Politik nicht braucht. Man kann diskutieren, ob diese Position der NSU vielleicht auch irrelevant ist, aber diese Gruppe, und das sage ich aus der Sicht meiner A-priori-Sympathie für die Neue Rechte, dass Tschäpe versucht hat, eine andere Gesellschaft herbeizuführen, diese Position scheint mir nicht skandalös. Es gibt keinen reinen Kriminellen. Es scheint mir wichtig, dass man sie kennt.
Völlig zu Recht würde Jongen, den ich an der Stelle für das Gedankenexperiment missbraucht habe, medial zerrissen. Ich bin mir sicher, dass er sein Parteibuch in dem Moment abgeben muss, als er sich mit Tschäpe getroffen hat. Seine Karriere wäre, wie die von Kevin Spacey, toter als tot. Im fiktiven Falle von Jongen übrigens mit Recht.
Die eine Seite kann nicht besser oder edler sein, als die andere. Persönliche Sympathien für ein Ziel, wie ein sozialistischer oder ein rechter Staat, was immer das im einzelnen sein mag, darf nicht die Mittel heiligen. Das ist ein zivilisatorischer Standard, dem eigentlich jeden Demokraten klar sein sollte.
Im Zuge der G20 Diskussion konnte man die Ambivalenz vieler spüren. Verharmlosung der teils lebensgefährlichen Gewalt des schwarzen Blocks, wohin das Auge reichte.
Unter der Überschrift „„Will die Polizei Hamburg in Schutt und Asche?“ schreibt der Autor allen Ernstes:

„Es fällt zur Zeit wirklich schwer, nicht an eine Verschwörung zu glauben: einen geheimen Plan der Hamburger Polizei, um die Stadt in rauchende Trümmer zu verwandeln.“ Es ist schon wohlfeil. Der Polizei vorzuwerfen, die die Demonstrationen erst möglich machten, sie würden Hamburg in „Schutt und Asche“ legen. Wir erinnern uns: Es waren linke Demonstranten, die Geschäfte plünderten und Steine warfen. Eine völlige Verdrehung von Opfer und Täter.
Ins gleiche Horn blies auch Katja Kipping. Die Polizei habe alles getan, um solche Bilder zu erzeugen, sagte sie. Ziel der Polizei war, die Demonstranten zu kriminalisieren. Fern ab davon, wie richtig die Strategie der Polizei war, ist es schon stark: Die Jungs in Blau seien schuld daran, dass Demonstranten brandschatzten und Menschen in Gefahr brachten.
Es gibt viele Beispiele. Ob das „Neue Deutschland“, oder SPON, oder die gute, alte taz. Der Tenor war überall gleich, Polizei ist schuld, dass andere kriminell wurden. Was für ein Desaster für einen selbsterklärten ausgewogenem Journalismus,
Die Haltung hinter solchen Aussagen ist immer die gleiche: Der Konflikt „Polizei vs Demonstranten“ wird dazu verwendet, die Fronten einmal mehr zu klären. Die Gewalt des Staates ist im Unrecht, denn der große Zweck hinter dem schwarzen Block, den Staat zu stürzen, sei ein Ziel, das zu würdigen ist. Vergleichbare Kommentare bei rechten Demonstrationen finden sich freilich nicht.
Hier läuft etwas gewaltig schief. Von Sartre bis zu Katja Kipping. Sie alle verharmlosen die Gewalt aus ihrer genehmen, politischen Richtung.
Gar nicht genehm war eine Meldung, die in diesen Tagen fast unterging. Bei einer polizeilichen Untersuchung fanden die Beamten mehrere Kilogramm Sprengstoff und Chemikalien.

Die Täter, zwei junge Männer. Einer von Ihnen ist nicht nur Mitglied des Bündnisses für „Zivilcourage und Menschenrechte“, sondern auch bis zum Vortag der Polizeiaktion auch Pressesprecher. Ein Schelm, der böses denkt. Unterstützer des Bündnisses sind neben den Grünen auch die evangelische Kirche.
Tagelang hüllte sich die Rot-rot-grüne Regierung von Thüringen in Schweigen, was auch die Opposition vernahm. “ Wenn wir nichts verpasst haben, äußern sich #r2g-Minister heute zum ersten Mal öffentlich. Mi, Do, Fr war nichts zu vernehmen. Befremdlich.“, twitterte die CDU Fraktion.
Vielleicht bleibt die Sache ja beim „mutmaßlichen“ und es stellt sich heraus, dass die Sache tendenziell harmlos einzustufen ist. Doch darum geht es nicht. Auch hier sollte man sich vorstellen, wie ein solcher Fund auf rechter Seite dargestellt würde.
Für das fleischgewordene Flaggschiff des ZDF, Klaus Kleber, wäre dies nicht nur die Top-Meldung in seinem Journal, sondern auch Anlass, an den gemeinen Rechtsruck zu erinnern. Doch nicht nur das. Nach der Tagesschau gäbe es einen 15 Minütigen Brennpunkt, die den Zuschauer auf dem laufenden halten sollte. Und auch andere Medien, Spiegel Online, Stern, und wie sie alle heißen, würden vom Ü-Wagen live vor Ort Meldungen absetzen.
Sie sehen, was offensichtlich ist. Die landläufige Verzerrung zwischen rechter und linker Gewalt. Während weite Teile der publizierenden Eliten alles als rechts einstufen, was dem Mainstream widerspricht, wird auf der linken Seite gleiches toleriert. Die einzige Erklärung, die mir dafür einfällt, habe ich bereits genannt. Links ist besser, sympathischer und verfolgt die richtigen Ziele.
Dieser Journalismus von Gut und Böse funktioniert nicht. Er ist verlogen, er verallgemeinert. Linke Gewalt ist das Seufzen der progressiven Eliten, das „naja“ von Tendenzjournalisten und das „Weiter so“ der Aktivisten.
So sah es auch Sartre, als er Baader besuchte. Es ist längst Zeit, linke Gewalt ihren Märchenzauber zu nehmen und sie auf die gleiche Stufe wie alle Arten von ideologischer Gewalt zu stellen.