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Monat: Juni 2018
Dem geneigten Interessierten der hiesigen Politik ist eines klar wie Wodka von Grey Goose: Der Streit zwischen den Schwesterparteien CDU/CSU könnte episch werden, ja, sogar die Kanzlerin in den Ruhestand buxieren. Epidemisch ist der Konflikt ohnehin. Vergeht doch kein Tag ohne Wasserstandsmeldungen, getrennte Pressekonferenzen oder sonstigen Bekundungen, aus dem einen oder anderen Lager.
Und während „Die Mannschaft“, (Sie wissen schon. Das war früher die Nationalmannschaft, bis das Kanzlertier die Idee hatte, das Team noch mehr zu anonymisieren) gegen Mexiko unter die Räder kam, mussten die Ministerpräsidenten und Merkel-Ministranten Armin Laschet, Daniel Günther und Volker Bouffier zum „Krisengipfel“. Ob den Dreien Merkel oder der Grottenkick mehr aufstießen, ist nicht bekannt. Und völlig überraschend endet der Gipfel mit Günthers Worten, der optisch am ehesten noch als Altarjunge durchgehen würde: „Wir stehen hinter der Kanzlerin.“ Von Leuten, die ihre Karriere ausschließlich Mutti zu verdanken haben, von faden Ja-Sagern, von aussagelosen Karrieristen, von Politikern, die kurz vor der Endlösung der politischen Korrektheit stehen, ja mei, was will man anderes erwarten.
Mir ist da ein grantelnder, aber selten um ein Lächeln verlegener Horst Seehofer lieber, der in der CSU bei Leibe keinen Wackel-Dackel-Hofstab um sich hat. Ich sage nur Markus Söder. Wenigstens, und das ist in Zeiten steriler Politikchirurgen schon ein Wert an sich, bin ich beim Innenminister hoffnungsvoll, dass er seine Meinung vertritt und seine Art von Politik an den Mann bringen will. Angela Merkel hat einfach zu viele Pirouetten hinter sich und diese nie erklärt.
Die Historiker Ruth und Lachmann behaupten und legen dafür Quellen vor, Merkel sei in der FDJ Sekräterin zuständig für Agitation und Propaganda gewesen. Merkel bestreitet das und beruft sich auf ihr Gedächtnis, bzw. die Lücken darin. „Ich kann mich da jetzt nur auf meine Erinnerung stützen.“ Nun ja. Auch war ihre Haltung 1989 Meilenweit von Granaten der DDR Bürgerrechtler wie Marianne Birthler, Vera Lengsfeld oder Jens Reich entfernt. Im Gegenteil. Zunächst war Merkel gegen eine Wiedervereinigung, bis sie sich dann dem „demokratischen Aufbruch“ (DA) anschloss, ein Bürgerbündniss, das sich zwar gegen den SED Kader stellte, grundsätzlich aber auf einen eigenen, sozialistischen Staat bestand. Doch der Druck stieg, nicht zuletzt durch das „neue Forum“, sodass der DA schließlich für den Beitritt stimmte.
Laut Merkels inzwischen verstorbenen Biografen Gerd Langguth hatten sich viele ihrer Bekannten aus den 1970er und den 1980er Jahren irritiert geäußert, dass sie CDU-Politikerin wurde, da sie Angela eher bei den Grünen verorteten. Eine spannende Vermutung und durchaus folgerichtig, wenn man Leuchttürme ihrer Politik betrachtet, wie die Energiewende, die Aussetzung der Wehrpflicht und nicht zuletzt die geschickte Initiierung der Homo-Ehe vor der Wahl 2017, in der sie zwar dagegen stimmte, wissend, dass das Gesetz vom Parlament abgesegnet werden würde. Ein Meisterstück politischer Finesse, die sie ja vielleicht noch zu FDJ Zeiten erwarb. Machiavelli würde auf jedenfall bei Merkel in die Lehre gehen.
Und so ist es auch kein Zufall, dass Merkel schon 2013 mir den Grünen wollte, was jedoch am bockbeinigen Jürgen Trittin scheiterte. Vier Jahre später, als die Union einen weiteren Koalitionspartner hinzunehmen mussten, ließ Christian Linder Angelas Traum platzen, der auch der Traum der meisten Journalisten war, was der eine oder andere der FDP bis heute nicht verzeiht. Ich fand das übrigens von Lindner großartig. In einer Zeit, in denen aus der Ablehnung von zwei Prozent Mehrwertsteuererhöhung nach der Wahl drei% werden, in der die Ablehnung des Mindestlohns zur Einführung einer „Lohnuntergrenze“ führt, kann ich mich über den schmalen wie wahren Satz nur freuen:“ Es ist besser nicht zu reagieren, als falsch zu regieren.“
Und so reiht sich der Leipziger Parteitag 2003 in die Wendigkeit der Merkel ein. Nicht mehr als eine liberale Revolution beschlossen die CDU Delegierten. So sollte die bisherige progressive Steuerkurve durch drei Steuersrufen (12% 24% 36%) ersetzt werden. Das bisherige Umlagesystem im Gesundheitswesen würde vom Faktor Arbeit entkoppelt; ein Prämienssystem also, was eine veritable Antwort auf die demographische Verschiebung in der Gesellschaft hätte sein können.
Ich könnte vieles vom Parteitag nennen. Eine stärkere Zusammenarbeit mit den USA, die Senkung der Arbeitslosenversicherung oder eine gesunde Skepsis gegenüber dem Multikulturismus, was auch ein Umdenken in der Integrationspolitik bedeuten würde. Heute hat Merkel die Reichensteuer zu verantworten, eine Vergemeinschaften der Schulden der Eurosüdländer und Scheunentore, statt Grenzen.
Letzteres ist Seehofers rote Linie. Vorerst zumindest. Viel zu verlieren hat er nicht mehr. Er ist wie die Kanzlerin im Spätherbst seiner Karriere. Zum Ende hin kann er Haltung beweisen und wenigstens einmal nicht vor ihr einknicken.
Etwas, was Merkel immer fremd war.
Menschlicher Blickfang
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Ich bewunderte ihn in der Rolle des einarmigen Kommissars mit den traurigen Augen. Ja. Da waren wirklich feine „Polizeiruf 110“ Folgen dabei. Ist schon ein bisschen her.
Und auch in der Verfilmung Houellebecqs „Unterwerfung“ ließ Edgar Selge keinen Zweifel, warum er zu den fähigsten deutschen Schauspielern gehört.
Paris 2022. Français ist Literaturwissenschaftler, er mag junge Frauen und Wein, gerne beides zur selben Zeit. Als ein Moslem gegen LePen zum Staatspräsident gewählt wird, verliert Français seine Arbeitsstelle. Doch nicht nur das: Schritt für Schritt führt der Präsident die Sharia ein. In zunehmender Vereinsamung erreicht ihn ein Angebot seines ehemaligen Rektors, seine Tätigkeit an der Sorbonne wieder aufzunehmen, unter einer Bedingung: Er muss zum Islam konvertieren.
Rahmenhandlung ist alles rund um die Inszenierung von „Unterwerfung“ am deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Hier spielt Edgar Selge, neben der Bühnenrolle des Français, auch sich selbst. Der Film kombiniert reale Bewegbilder aus dem Theater und ist gewissermaßen das Stück im Film. Die Szenen auf der Bühne, mit Selge als einzigen Protagonisten, werden zum Spielfilm, seine Monologe verwachsen mit dem Fernsehspiel. Doch immer wieder kommt das Werk zurück an ihren Ursprung: Ins Theater. Und an einer Stelle wird sogar in den Filmsequenzen die vierte Wand durchbrochen, was dem Ganzen eine Leichtigkeit verleiht, das angesichts der Ernste des Themas eine Kunst an sich ist.
Jedoch hat der Film auch Schwächen. In einer Szene fährt Frančais aus Paris. Er hält und will tanken. Als kein Benzin aus dem Zapfhahn kommt, geht er in den Shop und entdeckt zwei Menschen. Tot. Erschossen. Aufgelöst, jedoch nicht nicht ohne sich ein paar Weinflaschen einzupacken, fährt er hinfort. Die Erfahrung, zwei Leichen voller Blut zu sehen, muss traumatisierend sein, zumindest jedoch so einschneidend, dass es Einfluss auf die weitere Handlung hätte. Doch nichts davon. Dieses Ereignis wird nicht einmal mehr erwähnt.
Und auch wenn das Ende nicht 100% stimmig erscheint, ist „Unterwerfung“ durchaus gelungen. Das ist von der ARD nicht unbedingt zu erwarten, denn gerade wenn es um politische Filme geht, driftet der Staatsfunk gern ins Abstruse ab, als könne der Sendung vor Moralinsäure kaum mehr laufen. Siehe „Aufbruch ins Ungewisse“ oder „Das Deutsche Kind“ Doch im Gegensatz zu den beiden TV-Desaster ist bei „Unterwerfung“ schon von vorne hinein das Buch gut. Ja. Erstens der Roman und zweitens die Adaption, die Titus Selge, der Sohn des Hauptdarstellers, verfasste. Er führte übrigens auch Regie.
Und da ist es auch kein Wunder, dass Houellebecq, der im allgemeinen als übellauniger Kauz gilt, die Rechte an die Selges vergeben hat. Oliver Stone wollte einen Hollywoodfilm daraus machen. Doch Houellebecq ließ sich nicht davon beeindrucken. Es ist beruhigend zu sehen, dass deutsches Fernsehen mehr kann, als den 2000. „Tatort“, Gesinnungsschenkelklopfen, oder betreutes Filmemachen, siehe die cineastischen Katastrophen, die ich oben verlinkt habe.
Die Frage bleibt, inwieweit der Film eine mögliche Aussicht auf die Zukunft abbildet, was auch die erste Frage in der anschließend wenig erhellenden „Maischberger“-Sendung war. Zunächst handelt es sich um eine Kunstform, das „Filmtheater“. Das Mittel der Übertreibung ist hierbei gängig, ja, die Überspitzung sogar notwendig. Ich kann Ihnen die unterhaltsamste Kurzgeschichte von Heinrich Böll vorlesen, wenn ich nicht betone, alles monoton herunterleiere, wird mir keine zuhören. Im Theater ist Überbetonung, Theatralik -daher das Wort- unumgänglich.
Auch dramaturgisch müssen oftmals polemische Kniffe her, gerade wenn es politisch sein soll. So hängen bei „Biedermann und die Brandstifter“ nicht selten metergroße Hackenkreuze von der Decke. Oder, und das ist auch passiert, es kündigt eine Würzburger Offbühne an, zwei Hühner zu schlachten. Ergebnis? DER SPIEGEL kam.
Und so ist es überspitzt, dass 2022 in Frankreich eine muslimische Partei regiert. Anderseits: Wer hätte vor vier Jahren gedacht, dass Macron zum Präsidenten gewählt würde – der gar keiner Partei angehört, nachdem bisher jeder Staatschef aus de konservativem, oder aus der sozialistischem Lager kam?
Wer hätte es vor zehn Jahren für möglich gehalten, dass ein gemäßigter Präsident in der laizistischen Türkei das Land in eine islamische Diktatur verwandelt und das Erbe des großen Atatürk peu a peu abwickelt?
Wer hätte im Iran 1970 gedacht, dass neun Jahre später die Sharia gilt? Und wer könnte sich diese Rede von Ägyptens ehemaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser heute , mehr als 50 Jahre später, vorstellen?Die islamische Welt ist in einem schlechten Zustand. Der arabische Frühling ist zum islamistischen Winter geworden.
Vor zehn Jahren diskutierten Feministen, Grüne, Liberale, Konservative und Linke über das Kopftuch. Die Interpretation des Hidschab, es sei ein Symbol von Unterdrückung, war gerade unter Grünen durchaus verbreitet. Heute ist das in der Partei eine Einzelmeinung, im Gegenteil; das Kopftuch ist ausdrücklich in Schulen erwünscht.
Ist man da anderer Meinungen oder sagt Andrea Nahles eine Selbstverständlichkeit, übernimmt man „AfD Positionen“, wie man vor ein paar Tagen lesen durfte. Dass die Sachverhalte älter sind als Gauland, Weidel und Co – geschenkt. Je lauter die Probleme zum Himmel schreien und je weiter sie von der politischen Korrektheit entfernt sind, desto epidemischer wird die Rückabwicklung der Vernunft.
Und auch deshalb ist „Unterwerfung“ eine gute Gelegenheit, auf mögliche Gefahren hinzuweisen.
Oder man sieht es schlicht als gelungenes Fernsehspiel. Das gibt es selten genug in der ARD.
Der Gauland und die liebe Lyrik
Ich habe den ganzen Tag überlegt, ob ich über diesen Gauland schreiben soll. Sie wissen schon, worum es geht..Aus einem einfachen Grund habe ich mich dagegen entschieden. Ich möchte nicht, wie die Empörungsjournaille, dem Mann mit den goldenen Labradoren auf der Krawatte auf den Leim gehen. Es ist zu albern. Und es spricht Bände, dass Leute wie Dushan Wegner, seines Zeichens von Böhmermann Trollchargen gelistet, oder der Anwalt Joachim Steinhöfel den richtigen Ton treffen. Verurteilen, ohne zu hyperventilieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Das mache ich heute nicht. Ja.
Stattdessen widme ich mich der Lyrik, eine Kunstform, die weiland schon der SS-Günnie prägte und nicht zuletzt diese mich selbst. (Kleiner Funfact für den Detailverliebten: Der Erstdruck des Gedichts „was gesagt werden muss“ ist in der SZ erschienen. Ja, genau, die SZ. Die einen Ex Stürmer Zeichner in den Reihen hatten und auch ansonsten ein ziemlich schiefes Bild auf Israel hat. Von nix kommt nix.)
Ich lache heute noch, wenn ich mir die Zeilen durchlese und kann nur Henryk Broder danken, dass er mein Talent als Dichter, wenn auch als ein nicht ganz dichter, erkannt hat.Bitte, schauen Sie doch mal rein. Es ist der zweite Beitrag mit dem Titel:“Was keiner sagen muss“
Mehr als sechs Jahre später und auch ein bisschen für den Grass, folgen hier ganz ähnlich schöne Worte – freilich ohne Moralkeule und Salonantisemitismus.
Ich sitze in der Stadt von Albrecht Dürer
und denke unentwegt an Nazis Führer
nicht dass ihr denkt, ihr lieben Leud’
ich sehn ihn mir zurück nach heut’
Bei Leibe nicht und hier möcht‘ ich sagen
ich distanziere mich von Hitlers Tagen!
Im Zweifel ist man gleich ein Rechter
ein Wutmensch, Nazi – aber was ein Echter!
Mir geht es viel mehr um den Gauland
doch doof es reimt sich jetzt nur Bauland
Trotzem geht es um die Worte
die daneben liegen wie Gesicht in Torte
Ein Mann voll Bildung und voll Schläue
kann nicht sagen ohne `funken Reue
das dritte Reich das sei ein Fliegenschiss
das ist ganz mit Verlaub der letzte Driss
Und so sollte man den Mann entsorgen
am besten gestern – spätestens dann morgen
mit „Entsorgen“ mein‘ ich, das sei gesagt
ganz metaphorisch wie er selbst das tat
nicht wörtlich, das wär‘ nicht redlich
da sich nix reimt, erfind ich nun „schwedlich“
das wars von mir in Sachen Reimen
möget ihr dies Werk doch nicht beweinen
Herrn Gauland schick ichs gleich persönlich
mit ner neuen Krawatte, da wird nix beschönigt!
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