Ich bewunderte ihn in der Rolle des einarmigen Kommissars mit den traurigen Augen. Ja. Da waren wirklich feine „Polizeiruf 110“ Folgen dabei. Ist schon ein bisschen her.
Und auch in der Verfilmung Houellebecqs „Unterwerfung“ ließ Edgar Selge keinen Zweifel, warum er zu den fähigsten deutschen Schauspielern gehört.
Paris 2022. Français ist Literaturwissenschaftler, er mag junge Frauen und Wein, gerne beides zur selben Zeit. Als ein Moslem gegen LePen zum Staatspräsident gewählt wird, verliert Français seine Arbeitsstelle. Doch nicht nur das: Schritt für Schritt führt der Präsident die Sharia ein. In zunehmender Vereinsamung erreicht ihn ein Angebot seines ehemaligen Rektors, seine Tätigkeit an der Sorbonne wieder aufzunehmen, unter einer Bedingung: Er muss zum Islam konvertieren.
Rahmenhandlung ist alles rund um die Inszenierung von „Unterwerfung“ am deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Hier spielt Edgar Selge, neben der Bühnenrolle des Français, auch sich selbst. Der Film kombiniert reale Bewegbilder aus dem Theater und ist gewissermaßen das Stück im Film. Die Szenen auf der Bühne, mit Selge als einzigen Protagonisten, werden zum Spielfilm, seine Monologe verwachsen mit dem Fernsehspiel. Doch immer wieder kommt das Werk zurück an ihren Ursprung: Ins Theater. Und an einer Stelle wird sogar in den Filmsequenzen die vierte Wand durchbrochen, was dem Ganzen eine Leichtigkeit verleiht, das angesichts der Ernste des Themas eine Kunst an sich ist.
Jedoch hat der Film auch Schwächen. In einer Szene fährt Frančais aus Paris. Er hält und will tanken. Als kein Benzin aus dem Zapfhahn kommt, geht er in den Shop und entdeckt zwei Menschen. Tot. Erschossen. Aufgelöst, jedoch nicht nicht ohne sich ein paar Weinflaschen einzupacken, fährt er hinfort. Die Erfahrung, zwei Leichen voller Blut zu sehen, muss traumatisierend sein, zumindest jedoch so einschneidend, dass es Einfluss auf die weitere Handlung hätte. Doch nichts davon. Dieses Ereignis wird nicht einmal mehr erwähnt.
Und auch wenn das Ende nicht 100% stimmig erscheint, ist „Unterwerfung“ durchaus gelungen. Das ist von der ARD nicht unbedingt zu erwarten, denn gerade wenn es um politische Filme geht, driftet der Staatsfunk gern ins Abstruse ab, als könne der Sendung vor Moralinsäure kaum mehr laufen. Siehe „Aufbruch ins Ungewisse“ oder „Das Deutsche Kind“ Doch im Gegensatz zu den beiden TV-Desaster ist bei „Unterwerfung“ schon von vorne hinein das Buch gut. Ja. Erstens der Roman und zweitens die Adaption, die Titus Selge, der Sohn des Hauptdarstellers, verfasste. Er führte übrigens auch Regie.
Und da ist es auch kein Wunder, dass Houellebecq, der im allgemeinen als übellauniger Kauz gilt, die Rechte an die Selges vergeben hat. Oliver Stone wollte einen Hollywoodfilm daraus machen. Doch Houellebecq ließ sich nicht davon beeindrucken. Es ist beruhigend zu sehen, dass deutsches Fernsehen mehr kann, als den 2000. „Tatort“, Gesinnungsschenkelklopfen, oder betreutes Filmemachen, siehe die cineastischen Katastrophen, die ich oben verlinkt habe.
Die Frage bleibt, inwieweit der Film eine mögliche Aussicht auf die Zukunft abbildet, was auch die erste Frage in der anschließend wenig erhellenden „Maischberger“-Sendung war. Zunächst handelt es sich um eine Kunstform, das „Filmtheater“. Das Mittel der Übertreibung ist hierbei gängig, ja, die Überspitzung sogar notwendig. Ich kann Ihnen die unterhaltsamste Kurzgeschichte von Heinrich Böll vorlesen, wenn ich nicht betone, alles monoton herunterleiere, wird mir keine zuhören. Im Theater ist Überbetonung, Theatralik -daher das Wort- unumgänglich.
Auch dramaturgisch müssen oftmals polemische Kniffe her, gerade wenn es politisch sein soll. So hängen bei „Biedermann und die Brandstifter“ nicht selten metergroße Hackenkreuze von der Decke. Oder, und das ist auch passiert, es kündigt eine Würzburger Offbühne an, zwei Hühner zu schlachten. Ergebnis? DER SPIEGEL kam.
Und so ist es überspitzt, dass 2022 in Frankreich eine muslimische Partei regiert. Anderseits: Wer hätte vor vier Jahren gedacht, dass Macron zum Präsidenten gewählt würde – der gar keiner Partei angehört, nachdem bisher jeder Staatschef aus de konservativem, oder aus der sozialistischem Lager kam?
Wer hätte es vor zehn Jahren für möglich gehalten, dass ein gemäßigter Präsident in der laizistischen Türkei das Land in eine islamische Diktatur verwandelt und das Erbe des großen Atatürk peu a peu abwickelt?
Wer hätte im Iran 1970 gedacht, dass neun Jahre später die Sharia gilt? Und wer könnte sich diese Rede von Ägyptens ehemaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser heute , mehr als 50 Jahre später, vorstellen?Die islamische Welt ist in einem schlechten Zustand. Der arabische Frühling ist zum islamistischen Winter geworden.
Vor zehn Jahren diskutierten Feministen, Grüne, Liberale, Konservative und Linke über das Kopftuch. Die Interpretation des Hidschab, es sei ein Symbol von Unterdrückung, war gerade unter Grünen durchaus verbreitet. Heute ist das in der Partei eine Einzelmeinung, im Gegenteil; das Kopftuch ist ausdrücklich in Schulen erwünscht.
Ist man da anderer Meinungen oder sagt Andrea Nahles eine Selbstverständlichkeit, übernimmt man „AfD Positionen“, wie man vor ein paar Tagen lesen durfte. Dass die Sachverhalte älter sind als Gauland, Weidel und Co – geschenkt. Je lauter die Probleme zum Himmel schreien und je weiter sie von der politischen Korrektheit entfernt sind, desto epidemischer wird die Rückabwicklung der Vernunft.
Und auch deshalb ist „Unterwerfung“ eine gute Gelegenheit, auf mögliche Gefahren hinzuweisen.
Oder man sieht es schlicht als gelungenes Fernsehspiel. Das gibt es selten genug in der ARD.