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Özils letztes Foul, oder: Die Mutter der Dummen ist immer schwanger

Was das Thema Özil angeht ist, ganz frei nach Karl Valentin, bereits alles gesagt, nur noch nicht von mir. Und frei nach Mesut selbst, sind alle anderen böse Täter. Er selbst ist, klar, Opfer. Gut, dass er zurücktrat. Es folgen 13 Punkte.

1. Nach zahllosen Wochen des Schweigens, kommt nun von Özil eine ellenlange Erklärung, warum er Erdoğan getroffen hat. Natürlich ist sie eben so schwachsinnig, wie die weiland von Gündogan.

2. Er wollte mit dem Treffen kein politisches Statement abgeben, weil er ja nur Fußballer sei. Immerhin stimmt letzteres.  Ersteres ist dagegen so bodenlos blöd und es wundert, dass ein erwachsener Mann so etwas von sich gibt. Wie kann man sich mit einem Diktator ablichten lassen und über beide Backen lächelnd seine blutige Hand schütteln und danach behaupten:“ Es ist aus Respekt geschehen vor meiner Herkunft und meiner Familie“. Özil kann. Spricht allerdings nicht für seine Familie. Und nicht für seine Herkunft.

3. Özil gab das Statement in Englisch ab. Was für eine Respektlosigkeit gegenüber den deutschen Fans der deutschen Nationalmannschaft. Und, was für eine Eierlosigkeit: Keine Pressekonferenz, kein Interview, nichts. Hingabe, Verve oder gar Liebe und Stolz für die früheren Nominierungen spiegelt das nicht wider.

4. Der beleidigte Ton von Özil und dieses Jammern auf höchstem Niveau ist Spiegelbild nicht weniger Menschen mit türkisch/muslimischen Vordergrund. Dass er die Rassismuskeule auspackte, ist nur folgerichtig, oder wie ich sage: Mazyekesk.

5. Etwas Gutes hatte die Verkündung in Englisch dann doch. Nämlich, dass sich Briten zu Wort melden:70E8A623-163A-408D-A2DD-64668092BC83

Das habe ich auch in meinem Podcast einmal gesagt. „Krass“, war die Reaktion. Ja. Krass. Und wahr.

6. Özil hat nicht deshalb für Deutschland gespielt, weil er sich als Deutscher sieht, sondern weil ihn Löw damals überzeugte. Es war eine Entscheidung für seine Karriere. Viele Deutschlandfans wollen aber eine Entscheidung für das Land. Für schwarz, rot und gold. Für den Adler. Ja, ja, Nazikram.

7. Genauso, wie das für linksbesaitete Nazikram ist. Ach halt, nein, ist ja Schweden. Hier spricht jemand, der seinen Hintergrund würdigt und gleichzeitig sein Land liebt. Meilenweit entfernt von Özil und Gündogan.

8. Die Gesellschaft muss definieren, welche Anforderungen sie an ihre Nationalmannschaft hat, fern ab vom Sportlichen. Wollen sie ein durchestyltes Team von Karrieristen, die – bei Leibe nicht alle – „die Mannschaft“ als zweiten Verein sehen? Oder wollen sie mehr als das, einen Nationalgeist, ein Spiel für das Land?

9. Man kann Grindel vieles vorwerfen. Blödes Geschmarr zum Beispiel. Oder, dass er Löws Vertrag ohne Not und vor der WM über zwei Jahre hinaus auf 2022 verlängert hat. Aber Rassist ist er ( wahrscheinlich) nicht. Er hat einfach nur Pech beim Reden.

10. Bierhoff darf nie mehr Interviews über einer Länge von mehr als fünf Minuten geben. Bitte. Das ist peinlich. Der Oli war ein begnadeter Kopfballspieler, war in Italien Torschützenkönig. Das ist nicht spurlos am Stammhirn vorbeigegangen – er sollte sich in Udine eine hübsche Villa bauen, auf Pferde tippen und Pesto machen. Vor allem aber zurücktreten.

11. Özil kritisiert in seinen Ausführungen den DFB-Sponsor Mercedes Benz, weil er auf seine Mitarbeit verzichtet und fügt indirekt und süffisant hinzu, Daimler sei ja im Diesel Skandal verwickelt. Spätestens jetzt wird deutlich, dass Mesut den Text nicht selbst geschrieben haben kann und sein Berater nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Deshalb berät er ja auch den Bundesjogi. Unter uns: Özil ist für eine Weltmarke ein Imageproblem, wenn er einen Diktator „seinen Präsidenten“ nennt. Das letzte mal profitierte eine Firma aus Wolfsburg von einem Führer.

12. Löw ist historisch gescheitert. Er hätte zurücktreten müssen. Ein Mensch, der sich selbst als Visionär bezeichnet und im Anschluss gegen Südkorea und Mexiko verliert, hat ein Problem mit der Wahrnehmung. Vielleicht schneit es ja auch im Sommer im Breisgau.

13. Der Fall Özil zeigt, dass Integration nichts mit dem Einkommen zu tun haben muss, oder, wie gut man die Sprache spricht. Es kann helfen, kann aber auch egal sein. Wenn Türkischstämmige in Deutschland für die Todesstrafe in ihrem Herkunfsland auf die Straße gehen, wenn sie ihren Führer anbeten, der ihnen niemals dieses freie Leben ermöglichen würde, dann ist das gescheiterte Integration. Sie pflanzen Kindern die Intoleranz ins Hirn. Sie erziehen sie zur Integrationsunfähigkeit. Nicht alle, aber zu viele.

Und Özil ist davon Teil.

 

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Die Opfer, die Schlächter und das Land. Lehren aus dem NSU?

Nichts bleibt mehr, wie es war. Seit dem 9 September 2000, als in Nürnberg das große Schlachten begann.

Ausgerechnet Nürnberg. Die Stadt der Rassengesetzte und die der Naziprozesse. Die Stadt, die so schön ist im Sommer, zwischen Pegnitz und der Wöhrder Wiese. Die mir nach zwei Jahren immer noch Neues zeigt und die mir in zwei Jahren Kreativität, Arbeit, Liebe, und Essen zu jeder und ich meine wirklich jeder, Tageszeit brachte. In dieser liebenswerten Stadt tötete der NSU mehr Menschen, als irgendwo sonst.
Jetzt ist der Prozess vorbei. Doch viele Fragen bleiben offen. In dieser Geschichte soll es nicht um den juristischen Sachverhalt gehen, auch wenn ich finde, dass Terrorismus mit Todesfolge kaum hart genug bestraft werden kann. In dem Fall bin ich froh, dass, zumindest das Urteil über Tschäpe, nicht, wie oft genug, den Eindruck erweckte, in Deutschland herrsche Kuscheljustitz.
Auch wenn es pathetisch klingt: Ich widme diesem Text den Opfern. Die, die nicht mehr atmen und die, die vor Schmerz und Kummer kaum mehr atmen können. Fern ab des Leides geben mir die Jahre der Juristerei Anlass zu Hoffnung, dass sich etwas ändert. Weil sich im Umgang mit Opfern in Deutschland etwas ändern muss.
Enver Simsek übernahm die Urlaubsvertretung eines mobilen Blumenstandes, den er normalerweise nur belieferte. Er stand in Langwasser, ein Stadtteil von Nürnberg. In der Nähe ist eine Außenstelle von Siemens, bei der ich, Jahre später, beruflich zu tun hatte. Mit vier Schüssen in den Kopf wurde Simsek niedergestreckt. Zwei Tage später erlag er im Südklinikum seinen Verletzungen. Die Täter machten ein Foto von ihm, als er noch lebte, was in einem Paulchen-Panther-Video unter der Überschrift „Original“ durch die Szene geisterte. Enver Simsek war das erste Todesopfer des NSU.
Kaum Glaubliches veranstaltete die Nürnberger Polizei. Sie zeigte die ganze gefühlskalte Erbarmungslosigkeit, zu der deutsche Bürokraten fähig sind. Zunächst ließen sie die Ehefrau nicht an das Klinikbett, als ihr Mann noch mit dem Tode rang. Stattdessen, da war das Schlagwort „Döner-Morde“ bereits geboren, musste Adile, so heißt die Frau, auf die Wache und den pietätlosen Fragen Rede und Antwort stehen:
„Dealte Ihr Mann mit Drogen, hatte er eine Geliebte, wurde er erpresst?“

Doch das war nicht die erste Tat des NSU. Ein Jahr zuvor detonierte eine Bombe in einer Nürnberger Pilsbar, die von Türken betrieben wurde. Immer wieder bin ich durch die Scheurlstraße gelaufen, in der die Kneipe „Sonnenschein“ zu finden war. Sie gibt es heute nicht mehr.
Damals wurde ein 18 Jährige leicht verletzt. Einen Zusammenhang zwischen den Morden und der Explosion sahen die Ermittler lange nicht. Viel zu lange nicht.
Noch immer geisterte die Theorie der Drogen- und Mafiageschäfte umher. Bestärkt durch türkischen Behörden, sowie der türkischen Presse verfolgten die Ermittler diese Theorie, was sich auch am zweiten Opfer, kaum ein Jahr später, nicht ändern sollte.
Abdurrahim Özüdoğru kam in den 70zigern nach Deutschland und zog, wie so viele, in die Südstadt Nürnbergs. Parallel zu seiner Arbeit in der Industrie, baute er mit seiner Frau eine Änderungsschneiderei auf, die er nach der Trennung übernahm. Hier, unweit vom Maffaiplatz, passierte es. Ein Schuss traf ihn unterhalb des rechten Nasenlochs. Der Zweite, der Täter wollte sicher gehen, drang aus nächster Nähe in die rechte Schläfe ein. Abdurrahim war sofort tot. 
Die SOKO hieß nun „Bosporus.“
Es folgten die Morde von Suleyman Tasköpru, Habil Kilic und Mehmet Turgut, bis die Schlächter, nach vier Jahren und drei Morden, zurück nach Nürnberg kamen.
Scharrerstraße, Stadtteil St. Peter. Ich bin regelmäßig im EDEKA Markt um die Ecke, sowie in der Norma, 500 Meter weiter. Doch nicht, noch lange nicht, am 9. Juni 2005, wo ich vermutlich in Marktbreit die angestauten familiären Geburtstage gefeiert habe. Manchmal wünscht man sich eine Zeitmaschine, oder eine magische Kugel, in die man blickt und sieht, was man zu der Zeit gemacht hat. Ich hatte gerade meinen Führerschein, machte im Kinder-und Jugendhort Ochsenfurt Praktikum, als Ismail Yasar in seinem Imbiss erschossen wurde. Heute erinnert nichts mehr an eine Döner Bude. Ein Lager scheint es zu sein, vermutlich vom Einkaufsmarkt um die Ecke. Am Zaun davor, das zu den Zeiten des Imbisses die Parkplätze abtrennte, sind selbst gestaltete, kleine Fließen angebracht, die an die Tat erinnern sollen.
Gegenüber ist eine Mittelschule, die heute in einem bedauernswerten Zustand weilt. Für Yasar war es weiland perfekt. Laut Zeugen lief das Geschäft gut, die Schüler mochten ihn. Er hatte sich etwas aufgebaut, nachdem er drei mal geschieden war und häufig die Arbeit wechselte. Und während die Polizei ermittelte, fragt die heimische Presse sich und seine Leser: “War dies erneut eine Hinrichtung eines türkischen Geschäftsmannes, weil er möglicherweise im Drogengeschäft nicht mitspielte?“
Es folgten die Morde von Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michele Kiesewetter, eher die Schlächter 2011 gestoppt wurden.
Was bleibt, neben der Erkenntnis, dass Behörden versagt haben und der Verfassungsschutz höchstens nutzlos, im Zweifel schädlich sein kann? Kann man Lehren aus solchen historischen Grausamkeiten ziehen? 
Nein. Der NSU hat keine großartige Werke verfasst, aus denen man lernen könnte. Sie haben gemordet. Und dass man nicht tötet, mag für Moses eine Überraschung gewesen sein, nachdem er die 10 Gebote in Empfang genommen hatte, heute ist das 5. Gebot zivilisatorischer Standard. Es ist eines der unveräußerbaren Rechte des Menschen. Und doch hat es für mich Bemerkenswertes gezeigt, was bei anderen Terrorakten, wie der Anschlag am Breitscheidtplatz gefehlt hat. Nämlich der Blick – und zwar der primäre – auf die Opfer.
In Deutschland herrscht ein sehr hoher Fokus auf die Täterpsychologie. Richter befassen sich damit und mildern gegebenenfalls das Urteil. Politiker twittern nach einem Terroranschlag, ob der Täter wirklich erschossen werden musste, nur weil er mit einer Axt auf Beamten losging. Kulturelle Hintergründe werden in den Fordergrund gerückt und damit die Taten gerechtfertigt. Und Opfer müssen, wie beim Terror in Berlin, einen offenen Brief verfassen, damit ihr Leid von Angela Merkel gewürdigt wird. Erst nach dem öffentlichen Druck gab es eine Trauerfeier, von finanzieller Kleinkariertheit, was Entschädigung für die Opfer anging, einmal abgesehen.
In den Jahren des NSU-Prozesses war das anders. Opferanwälte, so wie die Opfer selbst, kamen in den Medien ausführlich zu Wort. Ich finde das wichtig. Denn die Sicht derer, die ihre Lieben verloren haben, machen das Ausmaß, so grausam es auch ist, greifbar, und somit begreifbarer. Ein Mord kann sich niemand vorstellen. Den Tod eines nahen Angehörigen dagegen schon. Es ist wichtig für das Verständnis von Recht. Prozesse, gerade wenn sie ein solch episches Ausmaß, eine so hohe gesellschaftliche Relevanz haben, müssen sie für die Bürger verstehbar sein. Dann erst wird das Rechtssystem akzeptiert.
Den Angehörigen hilft dies. Denn sie sind die Stimmen der Opfer. Ihre Trauer ist das Gedenken an Ismail Yasar, Abdurrahim Özüdoğru und Enver Simsek.

Unser Mitgefühl kann das auch sein.

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Der Graf und die Reichsschrifttumskammer

Manche Menschen füllen Räume, bereits kraft ihres Namens, mit Bedeutung. Ja. Wenn diese Leute etwas sagen, dann hat das Gewicht. Das ist dann wichtig. Wichtig eben wie ihr Name.

Alexander Sebastian Léonce Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff ist so einer. Und obwohl keiner so recht weiß, was er so alles gemacht hat, schwingt mit seinem Namen Relevanz mit. Ich vermute ja, dass es an dem Adelstitel liegt. Und obwohl das „von“ vom Alexander so viel Aussagekraft hat, wie der „Dr.“ vom Oetker, lässt es das gemeine Volk in einen Zustand der verhaltenen Ehrfurcht, mindestens aber in eine kopfnickende Anerkennung verfallen. Ich nehme mich da gar nicht heraus. Kennen sie das, wenn Sie einmal vor einem Arzt saßen, der keinen Doktortitel vor seinem Namen trug und Sie, wenigstens für eine Sekunde sich fragten: „Ist er deswegen weniger kompetent?“

Um es vorweg zu nehmen: Besondere Kompetenz verbreitet der Graf nicht. Er ist einer der typischen Dampfplauderer in der Politik, der wenig Neues weiß, aber viel Bekanntes sagt. Was nicht wundert: Lambsdorff war 13 Jahre im Spaßparlament, auch europäisches Parlament genannt. Sie wissen schon, das ist dieses Unterhaus, welches ohne dem Königsrecht einer jedes Parlaments ausgestattet ist – nämlich eigene Gesetze einzubringen. Gerne wird das EP auch dazu genutzt, abgehalfterte Landespolitiker mit Alimenten und properen Einkommen abzuschieben. Oder, wie sagte es Lothar Bisky in der Sendung „Entweder Broder“. Der Wechsel ins EP sei für ihn ein „vernünftigen Abgang ohne Krach und ohne Blessuren für alle Beteiligten, auch für mich.“ Und auf Nachfrage bestätigte er seine Ernsthaftigkeit:“ Ein bisschen interessiert mich die Arbeit ja auch.“

Ein Glück hatte Bisky ein „bisschen“ Interesse. Sonst wären die mehr als 8000 Euro monatliche Vergütung, 4200 Euro monatliche pauschale Spesenvergütung, 300 Euro Tagesgeld ja umsonst gewesen.

Zurück zum Grafen. In Twitter gab er folgendes zu Protokoll:

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Ich fasse das Geschehen zusammen:

Alles begann mit einer Verkündung des ehemaligen CDU Fraktionschefs, Friedrich Merz, der vor vielen Jahren erfolgreich – wie so viele andere – von Angela Merkel in die Bedeutungslosigkeit verbannt wurde. Merz sollte von der Ludwig-Erhard-Stiftung ausgezeichnet werden. Dies lehnte Friedrich Merz ab. Als Begründung nannte er, neben der Aussage, er tue sich mit Preisen generell schwer, was auch immer das bedeuten mag, vor allem einen Namen: Den Vorsitzende der Stiftung Roland Tichy. Er wolle nicht gemeinsam mit dem Herausgeber von Tichys Einblick auf einer Bühne stehen. Dazu später mehr.

Tichys Einblick ist ein Weblog, der inzwischen als monatliche Printausgabe erscheint, was angesichts allgemein sinkender Abozahlen bemerkenswert ist. TE selbst bezeichnet sich als liberal und konservativ. Um ein besseres Bild zu schaffen, für diejenigen, die den Blog nicht kennen, möchte ich eine kleine Auswahl an Autoren vorstellen.

  • Gerd Buurmann. Der Mann aus Köln ist Künstler, Blogger und Kämpfer an vorderster Front, wenn es um Antisemitismus geht.
  • Wolfgang Herles. Langjähriger ZDF Moderator (Aspekte) und Kritiker des Umgangs von Politik mit den öffentlich-rechtlichen Medien.
  • Alexander Wallasch. Schriftsteller. Journalist. Schrieb Beiträge für die sz, der taz, der Zeit u.v.m.
  • Tamara Wernli. Youtuberin und Moderatorin, die regelmäßig Textrefür die Baseler Zeitung verfasste und den Feminismus der dritten Welle kritisiert.
  • Frank Schäffler. FDP Bundestagsabgeordneter, bekannt als Eurorebell. Schäffler kritisiert die Währungspolitik, Zölle und marktwirtschaftliche Hindernisse

Viele, wie Ismail Tipi, der sich für Frauenrechte einsetzt, könnten noch genannt werden. Roland Tichy selbst war lange Jahre Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Aufgrund seiner ökonomische Haltung ist er Vorsitzender der Ludwig-Erhard Stiftung geworden. Denn der Verein will „der Fortentwicklung der sozialen Marktwirtschaft dienen“, sowie die „freiheitlichen Grundsätze in Politik und Wirtschaft“ fördern. Dafür hätte Merz ausgezeichnet werden sollen.
Preise abzulehnen ist das gute Recht eines Jeden. Auch, dass man mit gewissen Menschen nicht auf einer Bühne stehen will, ist nachvollziehbar, auch wenn die Frage erlaubt sei, inwiefern ein politischer Blog, der grundsätzlich die Haltung der Stiftung wiedergibt, ein Problem darstelle. Das allein weiß nur Friedrich Merz.

Zurück zu des Grafen Tweet. Er beglückwünscht Merz für seine Entscheidung mit der Begründung, auf den Pulten der AfD, er meint wohl die des Bundestags, würde auch mal „Tichys Einblick“ liegen. Das mag sein. Bestimmt stehen da auch Coca-Cola Flaschen, iPhones, MacBooks und Fineliner von Stabilo. Auch „nicht zufällig“, wie Lambsdorff schreibt, sondern aus einem einfachen Grund: Weil die Dinge einfach gut sind. So what? Ob er Friedrich Merz auch gratulieren würde, wenn er Coca-Cola Flaschen, iPhones, MacBooks und Stabilo boykottieren würde?

Das Phänomen „Beifall von der falschen Seite“ habe ich bereits in meinem letzten Blogpost behandelt. Hier gestaltet es sich im Prinzip nicht anders. Würde der Graf seinem Parteikollegen, Frank Schäffler, raten, nicht mehr für TE zu schreiben, weil AfD Abgeordnete dies lesen? Das wäre nur folgerichtig. Und wohlfeil. Wie so oft geht es nicht um die Sache, sondern den Anschein. Allein der Anschein, „AfD-nah“ zu sein, löst bei vielen Menschen massive Abwehrreaktionen an, so dass man sich fragt, ob diese Leute, in dem Fall der Graf, in ihrem Job noch richtig sind. Denn Politikern sollte es um den Inhalt gehen und nicht um Befindlichkeiten.

Was man bei dem Tweet nicht vergessen darf, den einzelne Parteikollegen, bereits verurteilt haben, ist die Tragweite, wenn Politiker Journalisten bewerten. Es hat durchaus das Geschmäckle der Reichsschrifttumskammer. Der Graf ist also in guter Tradition. Als Angela Merkel 2010 kundtat, , Sarrazin Buch „Deutschland schafft sich ab“ sei „diffamierend“ und „nicht hilfreich“, hatte sie das Werk noch nicht einmal gelesen. Es darf angenommen werden, dass dies bei Lambsdorff und Tichys Einblick ähnlich ist.

Ein Politiker hat Journalisten nicht zu bewerten, was Lambsdorff offensichtlich tat. Die Rollenverteilung ist umgedreht: Journalisten bewerten Politiker.  Das ist ihr Job. Politiker machen Politik. Das ist ihr Job. Und bitte, bitte, kommt mir keiner mit „Aber der Graf hat das als Privatperson gesagt.“ Bla, bla. Als Politiker ist man keine Privatperson. Man hat kein Privatleben. Außer zwei Wochen Sylt im Jahr.

Lieber Alexander, muss sich nun Nicola Beer entschuldigen, distanzieren, oder wie man das bei euch sagt, weil sie im Februar dieses Jahres folgendes twitterte?

 

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Ja, Manche Menschen füllen Räume bereits kraft ihres Namens mit Bedeutung. Aber bei Manchen bleibt darüber hinaus recht wenig übrig. Außer ein stiefmütterliches Verhältnis zur Meinungsfreiheit.

Alexander Sebastian Léonce Freiherr von der Wenge Graf Lambsdorff ist so einer.

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Argumentieren mit Algorithmen -oder das Ende des Intellekts

Es gibt Menschen wie Seyran Ates. Eine starke Frau vom Schlage einer Ayan Hirsi Ali oder Necla Kelek. Frauen, die dem islamischen Patriach entkamen, um es seit jeher zu bekämpfen. Frauen, die Teile ihrer Freiheit aufgaben, um eben diese Freiheit weiten Teilen von Mädchen und Erwachsenen zu ermöglichen. Ich habe nur höchste Anerkennung für diese Menschen.

Und dann gibt es junge, alerte Damen, wie Laura Lucas, die für Übermedien schreiben.

In ihrem letzten Artikel „Emma und der Beifall von rechts“  geht sie eben genau dieses Thema an, mit dem sich Henryk M. Broder oder Hamed Abdel-Samad seit Jahren herumschlagen müssen: Die Zustimmung von der vermeintlich falschen Seite. Es ist die stete, redundante Geschichte von Menschen, die sich rechtfertigen müssen, weil ihnen andere Menschen, die als moralische persona non grata erklärt wurden, zustimmen. Dadurch geht es, oh wunder, nicht um die Sache. Es ist eine zutiefst deutsche Haltung. Wichtig ist nicht nur, was jemand sagt, sprich der Inhalt. Eben so wichtig ist, wer etwas sagt und wo es gesagt wird und, wer zuhört und zustimmt. Immer auf die Gefahr, dass man als böser rechter Bube, oder in dem Fall als böses rechtes Mädel enttarnt wird, weil der vermeintlich Falsche zustimmt.

So ist auch Frau Ateş im Dunstkreis der Gesinnungswächter unterwegs. Laut einer algorhimischen Auswertung folgen ihr auf Twitter vermehrt „rechte“ Nutzer. Für Frau Lucas ist der Fall klar:

Dies erklärt auch, warum Accounts wie der der Frauenrechtlerin Seyran Ateş oder des Islamismus-Experten Ahmad Mansour im rechten Spektrum eingeordnet wurden. Die kritische Haltung Seyran Ateş’ zum Kopftuch passt in Teilen zur Agenda der Rechten. Folgen ihr viele rechte Accounts, wird ihr eigener Account ebenfalls der rechten Blase zugeordnet.

Klarer Fall von intellektuellen Defiziten. Wenn ein Twitter-Account eine gewisse Zahl von „rechten“ Nutzern übersteigt, wobei die Definition davon Frau Lucas schuldig bleibt, ist dieser „rechts“. Und wenn dieser „rechts“ ist, ist es der Nutzer auch. Da in Deutschland dies die Vorstufe zum Höllenmenschen, also Nazi, ist, können Sie sich vorstellen, wohin der Hase läuft. Wieder einmal sind wir Zeuge einer Schubladendiffamierung. Schublade auf, Naziaufkleber drübergepappt und Schublade wieder zugemacht.

Frau Lucas nimmt sich nicht einen Absatz Zeit, um zu klären, was Seyran Ates oder Ahmad Mansour aussagen wollen. Ja. Alle drei sind Kritiker des Kopftuchs und ja, viele Extremisten sind das auch. Es wäre hilfreich, wenn man Protagonisten qualitativ befragt, das heißt, nach dem „warum“ hinter der These zu forschen. Aber die Wertigkeit einer Meinung kann sich doch nicht allen ernstes deswegen ändern, nur weil vermeintlich unanständige Menschen diese teilen, wenn die Meinung selbst zwar diskutabel ist, nicht aber extrem ist? Es kann und muss sich doch nur um den Inhalt drehen! Was will Frau Lucas uns damit sagen?

Ist der Applaus von der falschen Seite wirklich ein Argument gegen eine Person? Sollte es nicht um den Sache gehen? Es sollte. übermedien hat das nicht verstanden. Herausgeber Stefan Niggermeier schreibt nach meiner Kritik auf Twitter:

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Ich verstehe, Niggi. Seyran Ates und Ahmad Mansour haben keine rechten Twitteraccounts, sie werden lediglich „rechten Netzwerken zugeordnet“. Aber klar. Eichmann war auch kein Nazi, er wurde nur Nazinetzwerken zugeordnet. Und übrigens: Ich bin auch nicht schwul, ich habe nur ein Profil bei  Planetromeo. Wobei das der eine oder andere verkappte Familienvater unterschreiben würde. Wie auch immer: Es gibt Leute, die sind doof. Und es gibt Stefan Niggermeier.

Ein Algorithmus ist eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems, sagt die Wikipedia. Ein Algorithmus kann aber zum intellektuellen Desaster führen. Denn was für einen Mehrwert hat es, wenn Seyran Ateş viele „rechte“ Follower hat? Ist die Frage nicht viel spannender, was sie zu sagen hat und was sie so alles macht? Ein bisschen Nachhilfe für die Autorin und ihrem Herausgeber:

Man kann so vieles über Seyran Ates sagen. Ich habe sie als Autorin kennengelernt. „Der Islam braucht eine sexuelle Aufklärung“ habe ich gelesen und ihre Haltung schätzen gelernt. Seyran ist gläubige Muslima. Sie träumt von einem liberalen Islam in Deutschland, wo andere längst die Hoffnung aufgegeben haben. Deshalb plante sie eine Moschee, die sie dann auch gründet. In Berlin. Ein Gotteshaus, in dem Frauen und Männer gemeinsam beten. Ob mit, oder ohne Kopftuch, was im Islam ein Novum ist. Bei den allermeisten muslimischen Geistlichen stößt ihre Moschee auf Ablehnung. Morddrohungen, die zu Ates Leben dazugehören, spätestens seit sie Opfer eine Attentats  wurde, häufen sich.  Ihre Moschee hat nun etwas mit Synagogen gemein: Man erkennt sie am Polizeiauto davor.

All das wird von Lucas ausgelassen. Es geht ihr gar nicht darum. Wozu auch? Rechte Follower=Rechter Account=Nazigedöns. Das ist, was die Debatte um Kopftücher, Burkini und Co angeht, wenig hilfreich. Hätte übermedien nicht diese Reichweite und wäre die Haltung von Autorin, wie Herausgeber nicht so offensichtlich, könnte ich den Artikel in die Bedeutungslosigkeit entlassen. Aber das ist nicht der Fall.

Seyran Ates war wenig begeistert. Und auch Ahmad Mansour, der auch in dem Artikel angesprochen wurde, hatte zu Frau Lucas und Co eine klare Meinung, wenn auch nicht in Gänze korrektem Deutsch:

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Weiß Frau Lucas, was Ahmad Mansour beruflich tut? Der Psychologe ist seit 2007 Gruppenleiter des HEREOS- Projekts in Neukölln. Das Projekt ist an Jugendliche gerichtet, die aus muslimischen Millieus stammen. Ziel ist es, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung zu fördern. 2017 gründete er eine eigene Initiative, die vom Freistaat Bayern unterstützt wird.

Es gibt keinen Grund, warum die Tatsache, dass Ates und Mansours Accounts,  „rechte“ Menschen folgen, irgendeine Aussagekraft hätte, was ihre Botschaft angeht. Es ist schlimm, dass linke Aktivistenblogs mit dieser Dialektik agieren. Denn was bleibt denn übrig am Ende des Tages?|

Der Mansour und die Ates sind Rechte. Und rechts ist böse. Und Nazi. Und mit den Schmuddelkindern redet man nicht.

Vielleicht sollten sich das Niggi, Frau Lucas und Konsorten eines klar werden. Es gibt keine Meinung von „gut“ und „böse“. Wir sind nicht in der Kirche. Eine algorithmische Auswertung mag an manchen Stellen berechtigt sein, sie geht in dem Fall, wie auch bei Böhmermann, am Thema vorbei. Kein Algorithmus kann klar machen, was ein Kopftuch für Frauen und der Gesellschaft ausmacht. Kein Algorithmus  kann darstellen, wie sich Zana Ramadani und viele junge Frsuen gefühlt haben, als sie vor ihrer Familie ins Frauenhaus flohen. Dafür braucht es keine Schreibtischtäter im Elfenbeintunnel und keinen Comedy-Clown.

Dafür braucht es Menschen wie Seyran Ates.