Liebe SPD,
mit dir hab‘ ich es nicht leicht. Deine Renitenz hat mir das eine oder andere mal den Puls nach oben schießen lassen. „Soziales“, immer wieder „sozial“. Ja, ja. Was das heißt, verwirrte nicht nur einst Hayek, sondern auch mich. Aber, du Partei, ich mag dich, mit all deinen Kanten und Narben und Krampen, all das was im Argen liegt bei dir, ach ja. Du hast’s nicht leicht. Ich seufze tief und schreib‘ mit letzte Tinte, wie weiland der Grass, dies‘ Worte. Pathos, Pathos!
In meinem letzten Blogpost schrieb ich, liebe SPD, man solle auf dich nicht treten, denn du liegst ja schon am Boden. Einen Text jedoch über die Sozialdemokratie ohne Kritik ist leider schon am ersten Absatz gescheitert. Sorry dafür. Dennoch möchte ich einiges klarstellen, weil ich glaube, dass du möglich bist. Ja. Du bist möglich.
Ich habe Schröder Zeit seines Amtes geschätzt und gehasst. Letzteres, weil ich mich damals links verstand und mir daher die Agenda 2010 als großen Fehler erschien. Ersteres, weil du die Reform gegen all die Widerstände durchgeboxt hast. Am Ende fehlte sogar nicht viel, dann hättest du die Wahl gewonnen 2005 gewonnen, denn trotz der Konkurrenz der Lafontaine-SED-Partei bzw. auch Dank eines schrottreifen Wahlkampf der CDU, trennten SPD und Union nur weniger Prozentpunkte.
Liebe SPD, was hast du für Böcke geschossen! Riesen Viecher, ich sag’s euch. Im Wahlkampf 2005 setztest du auf Frieden. Schröder sagte „nein“ zum Irak Krieg, verschwieg aber, dass Deutschland natürlich mit hing, denn Bündnisverpflichtungen galten nach wie vor. Die irrste Pirouette auf der Politbühne vollbrachtest du aber mit der „Merkel Steuer“. Die CDU wollte in ihrem Wahlprogramm einerseits die Mehrwertsteuer um 2% erhöhen, um damit die Lohnnebenkosten zu senken. Diese Erhöhung nanntest du, wie erwähnt, „Merkel Steuer“.
Und was passierte dann in der Großen Koalition?. Aus zwei mach drei % und, ach ja, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurden nicht gesenkt. Das ist bis heute meine griffigste und traurigste Geschichte, wenn es um Lügen im Wahlkampf geht. Ja, liebe SPD, die hast du zu verantworten. Und komm‘ mir jetzt bloß nicht mit „den anderen“, den Schwarzen oder der FDP. Die haben auch ihre Leichen im Keller, ja, aber hier geht es gerade um dich.
Es folgten Kanzlerkandidaten wie Steinmeier, der rhetorisch wie Schröder klang und Steinbrück, ein wackerer Ökonom, dem man ein viel zu linkes Wahlprogramm zugemutet hatte. Beide Kandidaten hatten – a nativitate – den gleichen Fehler: Sie waren Minister aus der aktuellen Regierung und insofern ab einen gewissen Punkt kastriert, wirklich glaubwürdig die CDU zu kritisieren. Merkel, inzwischen arriviert im Überparteilichen, konnte mühelos auf, die in ihren Augen, Erfolge verweisen, die sie mit den beiden Kandidaten jeweils vollbracht hatte.
2015 folgtest du, wie selbstverständlich und trotz der Warnungen vieler deiner Bürgermeister, Merkels Einwanderungspolitik. Die Kanzlerin befahl dem Innenminister, ein Dekret zu erlassen, was De Maizière dem Bundespolizeirpräsidenten auch mündlich überbrachte. Dies lautete:„Drittstaatsangehörigen ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente und mit Vorbringen eines Asylbegehrens ist die Einreise zu gestatten.“ Das gilt übrigens bis heute. „Vorbringen eines Asylbegehrens“ ist hübsch technokratisch formuliert und heißt lediglich, das Wort „Asyl“ formulieren zu können.
Da hätte ich mir schon, liebe SPD, gewünscht, dass du das kritisiert. Denn bis heute gibt es keine explizite Anordnung, geschweige denn eine Entscheidung des Parlaments. Gerade von dir, der als Moralist im besten Sinne die Geschichtsbücher schmückt und nicht zuletzt wegen der Stimmen gegen das Ermächtigungsgesetz das Parlament zu dem wichtigsten Ort der Politik gemacht hat, hätte ich erwartet, dass in eben dieser Instanz über die singuläre Entscheidung der Grenzöffnung debattiert und abgestimmt wird. Dies geschah nicht und ist in der deutschen Nachkriegsgeschichte präzedenzlos und kein Ruhmesblatt der Demokratie.
Auf die späteren und multiplen Entgleisung des Schulzzuges möchte ich gar nicht eingehen. Das haben schon genug und ich denke, liebe SPD, du weißt: Das war nüscht.
Und jetzt stehst du da, nicht an der Laterne, wohl aber mit Tränen im Gesicht. Ein erneuter Schlag, ein erneuter Tiefpunkt. Unter 10% in Bayern ist dramatisch, könnte aber, wenn du es richtig angehst, durchaus Trendwende sein. Dazu habe ich sieben Vorschläge.
- Der Hashtag #SPDerneuern ist Sinnbild der Leere, die hinter dem Wort steckt. „Erneuern“ wäre glaubhaft, wenn du inhaltlich oder personell etwas geändert hättest, was in Gänze gar nicht möglich ist. Wer sollte denn Parteichef werden und mit welchen Inhalten? Dein Wording, wie man so schön sagt, ist katastrophal ausgelutscht. Ihr braucht dringend neue Vokabeln. Gestrichen sind ab jetzt „Sozial“, „Solidarisch“, „Gerechtigkeit“. Das sind, wo wir wieder bei Hayek wären, Wieselwörter. Die alles bedeuten können und somit gar nichts aussagen. Die Leute können das nicht mehr hören.
- Wenn die SPD Volkspartei sein will, falls das noch möglich ist, dann muss sie sich auch wie eine Partei des Volkes aufstellen. Vor allem inhaltlich. Das Problem ist, dass die Linksliberalen, die eine „No Borders no Nations“ Utopie träumen, völlig überrepräsentiert ist. Am Stammtisch einer Volkspartei sitzt der Lehrer neben dem Arbeiter, dem Professor und dem Arbeitslosen. Irgendwie sind bei der SPD bis auf ein paar Lehrer und ein Professor alle gegangen. Will sagen: Ihr seid zu links. Ja. Und links ist kein Platz mehr. Es gibt eine Grüne Partei, die in ihrem verstrahlten Wohlfühlwahlkampf alles Linksbürgerliche mitnimmt. Und wenn einem die Grünen zu bourgeois sind und sie mit Alt-SED Kader und Extremisten kein Problem haben, geht man zu den LINKEN. Früher saßen an dem genannten Sozi-Stammtisch Leute wie Renate und Ulla Schmidt neben Wolfgang Clement, Otto Schily und gegenüber Andrea Nahles, neben Rudolf Dreßler, usw. Heute ist die parlamentarische Linke programmatisch nicht mehr von der Gesamt SPD zu unterscheiden. Vom Seeheimer Kreis möchte ich gar nicht reden. Den gibt es wohl nur noch in Seeheim.
- Sinnbild der sozialdemokratischen Schwäche ist die Stärke der Jusos. Jeder kennt den Namen Kevin Kühnert. Doch niemand erinnert sich an Johanna Ackermann oder Sascha Vogt, beides ehemalige Vorsitzende. Es ist wie daheim: Wenn die Kinder in der Familie sagen, wo es lang geht, läuft etwas schief. Die Jusos schlagen mit ihrem Slogan „Sozialistisch. Feministisch. Internationalistisch“ genau in die in Punkt 2 angesprochene Kerbe. Der Prenzlauer Berg ist endlich. Und die Antifanten wählen im Zweifel auch nicht SPD.
- Die SPD muss wieder Politik für ihre Potentiale machen. Dem Angestellten bei Siemens interessieren offene Grenzen oder sicherere Herkunfsländer herzlich wenig. Sie sehen aber, dass ihre Schulen im desolaten Zustand sind und ihr Internet katastrophal ausgebaut ist. Ihnen fällt auf, dass sie fast 50% ihres Gehaltes abgeben müssen. Und dann machen sie die Zeitung aus und lesen die mehrstelligen Milliarden, die für Flüchtlinge ausgegeben werden. Was tun sie am Wahlabend? SPD wählen sicher nicht. Ich weiß, das Beispiel ist plakativ und der Vergleich ist so schief, dass er nicht mal hinkt. Aber so denkt es manchen Menschen. Bevor ihr davon sprecht, die Menschen „mitnehmen“ zu wollen (Wohin eigentlich?) löst doch mal ein paar Probleme vor Ort. Ihr redet von den Mieten, verschweigt aber, dass auch die Mieten die horrenden Energiekosten nach oben treibt. Hier kann der Staat eingreifen. Von 1€ Strompreis gehen 55 Cent an den Staat. Doch statt die Abgabenlast anzugehen, wird von Mietpreisbremsen fabuliert, die entweder nicht greifen oder, wenn sie greifen, das Angebot verkleinern/die Nachfrage nach Wohnungen erhöhen.
Ein weiterer Punkt von Myriaden, ist die Grunderwerbssteuer. Wenn die Mieten zu hoch sind, kann das Eigenheim eine Alternative sein. Die genannte Steuer macht das Bauen teurer, auch für Investoren. In SPD Ländern wie NRW, Berlin oder Brandenburg liegt diese bei 5%, was ein Spitzenwert ist. Warum diese nicht abschaffen, oder wenigstens kleiner halten? Inhaltlich ist sehr viel für SPD Potentiale zu tun, die genannten Beispiele stehen repräsentativ für sehr viel mehr. Gerne dürfen mich die Genossen buchen, dann folgen noch mehr Punkte. *Zwinker* - Ein bisschen personelle Erneuerung muss dann doch her. In jeder Partei gibt es Menschen, von den mir es ein absolutes Rätsel ist, wie sie an den Job gekommen sind. In der CDU war es dieser Profalla. Was hatte der Mann in der Hinterhand, so dass er Karriere machen konnte? Wie dem auch sei, Profallas gibt es ja auch bei der SPD. Über Ralf Stegner habe ich genug geschrieben, ein selten prägnantes menschgewordenes Politdesaster. Andrea Nahles ist vielleicht sogar noch eher in der Lage, den Laden zu führen. In die Kategorie „Stegner-Wahnsinn“ gehören Leute wie Karl Lauterbach, Heiko Maas, der uns die Zensur ins Land zurückholte (NetzDG), Manuela, ich-kann-mehr-Phrasen-als-Rainer-Grindel, Schwesig oder Swasan Chebli, die viel weint und noch mehr twittert.
- Befördern solltet ihr Leute wie Carsten Schneider. Ein fähiger Mann, der ökonomische Zusammenhänge versteht und auch noch recht jung ist.
Mehr fallen mir nicht ein, sorry. Die Krampen sind in der Delegierten-SPD eindeutig in der Überzahl. - Steht zu euren Erfolgen und nicht nur zu denen, die 40 Jahren her sind. Die Agenda 2010 war das bahnbrechendste Reformprojekt in der Bundesrepublik. Das Thema würde jetzt zu weit führen, in Kürze aber doch: Deutschland war der kranke Mann Europas, weil das Land zu teuer war. Die überproportionale Lohn- und Rentenentwicklung in den 80zigern wirkte sich negativ auf die ökonomische Prosperität aus. Die Strukturen der Sozialversicherungen waren verkrustet, Steuerlast für Unternehmen und Bürger zu hoch. Der ewige Garant, die hohe deutsche Produktivität, war angezählt. Deutschland musste also abwerten. Das ist geschehen. Heute haben wir in vielen Landstrichen Vollbeschäftigung und ja, auch die Löhne steigen. Der nächste Schlag in die Produktivitäts-Magengrube könnte übrigens die Digitalisierung sein, wo Deutschland jetzt schon hinterherhinkt. Hier hat die SPD kein Profil.
Liebe SPD, ich weiß, du hast es nicht leicht. Es reicht aber nicht, sich auf die Vergangenheit zu berufen. Otto Wels ist schon ganz lange tot, der mit der einen Hand auch, Willy Brandt auch, Helmut Schmidt, obwohl er noch lange ausraucht, auch, und Gerd Schröder, nun ja, den willst du ja gerade abwickeln. Mach endlich Politik für deine Potentiale, bekenn dich zu deinen Erfolgen und lass die Jusos Jusos sein. Ihr habt einen schweren Stand. Doch es kommt der Tag, an denen die alles weglächelnden Grünen keine Konzepte haben werden. Dann musst du parat stehen.
Und bitte, bitte. Lass das mit dem „Sozial“. Das Wort bringt es nicht.
2 Antworten auf „Liebe SPD, ich mag dich, aber….“
In Punkten möchte ich als SPDler rechtgeben. Gerade das „wording“ – was ein BWL Begriff, mit sozial und Gerechtigkeit and so on trifft den Nerv der Wähler nicht. Aber was ist die Alternative?
DIe SPD hat gestern mal so nebebei ein neues KITA Gesetz durchgedrückt, die Parität (fast) wiederhergestellt und vieles mehr. Medien? NULL. ich frag mich auch wo die mediale Balance ist
Zur Agenda 2010… ich finde einerseits ja, sie hat dem Land geholfen. Aber sie ist einfach eine verdammt schlecht zu vermarktende (BWL und so :-D) Scheiße. Denn mit „Hartz“ verbindet jeder Schröder und jeder sozialer Abstieg…
Wir gehen auf unter 18% zu und das macht mich traurig und wütend. Einerseits siehst du ein Land, das sozial immer mehr auf Spur bekommt bis hin zu einem Wohlfahrtstaat. Andererseits purzeln die Prozente wenn es um die Partei geht, die das nach vorne treibt.
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[…] einem Jahr und noch bevor Andrea Nahles ihr Gastspiel als Chefsoze aufnahm und just wieder abgab, schrieb ich bereits über die SPD, den offenkundig die Mitglieder im Willy Brandt Haus nicht gelesen haben. Schad‘. Denn sonst […]
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