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Der taube Stehgeiger – Von der Freiheit, frei zu sein

Je älter ich werde, desto mehr staune ich, wie Menschen ohne Not ihre Freiheit abgeben. Ja.

Als wären sie dankbar, dass es einen Staat gibt, der für sie entscheidet. Ein Staat, der Vater sei und im Sinne des großen Ganzen, des Kollektivs, Entscheidungen trifft, weil er zu wissen glaubt, genauer gesagt, weil er meint, die Information zu haben, was für alle am besten ist. Was für ein Irrglaube.

Diese Herrschaftsordnung nennt sich Paternalismus. Herrschaft ist ein hartes Wort und heißt, etwas freier nach Max Webers, die Chance zu haben, dass nach dem Kommando einer bestimmten Person, eine entsprechende Gehorsamkeit zu folgen hat. Der Staat möchte einen gebührenfinanzierten Rundfunk finanzieren, also wendet er, bei zuwider handeln, Gewalt an. Unabhängig vom Inhalt des Programmes hat der Bürger zu zahlen. Kommando und Gehorsam gilt in einer Welt der Freiheit nur in Ausnahmefällen und immer nur dann, wenn ein freies Handeln eine höhere Freiheit bedroht. Das Ideal des Marktes liegt in seinen freiwilligen Charakter. Entscheidungen erfolgen nach dem sogenannten Wahlakt (hier ist nicht der demokratische Begriff gemeint). Bedeutet, ich kann ein Angebot schadenfrei ablehnen, was ich im Zweifel auch tun werde, wenn ich bessere Alternativen sehe oder ich in Gänze darauf verzichten möchte. Vielleicht gefällt mir Netflix besser, als der Öffentliche, also entscheide ich mich für den Streamingdienst. Oder ich bin gar kein Typ für Bewegbilder, spare das Geld und kaufe mir jeden Monat ein Buch.

Die oben genannte Lehrmeinung nennt sich Praxeologie und geht auf den Österreicher Ludwig von Mises zurück. Mises war überzeugt, dass jeder Mensch handelt. Dieses Axiom zog sich durch all seine Werke. Das Bekannteste hierbei ist sicherlich „Human Action“, in dem er nicht nur seine Theorie beschrieb, sondern nebenbei den Sozialismus wissenschaftlich widerlegte. Handeln bedeutet, dass ein Mensch Ziele hat und Mittel einsetzt, um diese zu erreichen. Um dieses Axiom zu widerlegen, so Mises, müsse man selbst handeln, also recherchieren, argumentieren und der Dinge mehr, was in sich ein performativer Widerspruch ist. Jeder Mensch handelt also.

Hinter dem Paternalismus steckt ein ganz bestimmtes Menschenbild. Jeder Mensch ist tendenziell irrational und muss vom Staat gelenkt werden. Dieses Argument ist insofern insuffizient, als dass sich der Staat in Form ihrer Akteure selbst rationales Handeln unterstellt, obwohl er doch aus Menschen besteht, die er eben noch vor sich selbst schützen wollte. Woher kommt diese selektive Wahrnehmung, sich selbst über die Bürger zu erheben? Es gibt keinen Beleg, dass der Staat bessere Entscheidungen treffen würde. Im Gegenteil: Um Ziele zu erreichen, wie zum Beispiel eine Wahl zu gewinnen, handeln (potentielle) Staatsdiener nicht selten irrational, von außen zumindest so interpretierbar. Für den Wahkämpfer selbst sind bsp. Lügen, Verdrehungen, horrende Bauprojekte, um die Gunst der Wähler zu gewinnen, freilich ganz und gar rational. Er setzt Mittel ein, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen. Ob dies im Sinne des Wohlstandes ist, sei dahin gestellt.

Ein Land ohne Kommando und Gehorsam ist ein Anarchistisches und wenig wünschenswert. Es ist unbestritten, dass es im Sinne der inneren Sicherheit Gesetze geben muss und diese auch überprüft und eingehalten werden müssen. In einer Gesellschaft, in der Kriminalität nicht nur möglich ist, weil es keine Exekutive gibt, sie auch noch ohne Sühne bleibt, weil es auch keine Judikative gibt, kann auf Dauer nicht existieren. Die vornehmlichste Definition eines Landes sind ihre Grenzen. Wenn diese in Teilen bedeutungslos gemacht werden, wie es in der präzedenzlosen Entscheidung vom Herbst 2015, so ist das ebenso ein Risiko für den Fortbestand einer Gesellschaft, wie das Dulden von Paralleljustiz, das systematische Aushöhlen des Rechtsstaates durch Sharia-Regime. Auch die Marktwirtschaft braucht Regeln und der Ordoliberalismus, aus dem unsere soziale Marktwirtschaft hervorging, hat das sogar im Worte selbst. Denn Ordo kommt bekanntermaßen von Ordnung. Freiheit braucht ein System, in dem sie sich entfalten kann. Sie braucht Sicherheit.

Ich war nie ein Anhänger der absolute Antagonie von Freiheit und Sicherheit. Ohne Rechtssicherheit ist gar keine Freiheit denkbar. Das bedeutet, eine freiheitliche Gesellschaft benötigt denknotwendig Sicherheit in Form von Gesetz, also in Form von Kommando und Gehorsam. Ja. Was hilft mir die Freiheit, meine Meinung zu sagen, wenn ich Angst haben muss, deswegen zu sterben? Sicherheit macht Freiheit erst möglich, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Ganz bestimmt werde ich in einem wunderschönen, von außen verschlossenen Haus, in dem ich alles habe, was man sich wünschen kann, Xbox, Bibliothek, Sterneköche, nicht an einem Autounfall sterben. Die Möglichkeit, in die Nachbarstadt zu fahren, einzukaufen, Freunde zu finden etc.. habe ich trotzdem nicht. Hier bin ich also sicher, aber unfrei.

Freiheit bedeutet also auch, Risiken einzugehen. Praxeologisch betrachtet besteht die Gefahr im Wahlakt, die falsche Entscheidung zu treffen. Jeder kennt das. In einer Welt des Paternalismus meint der Staat zu wissen, welche Entscheidung zu einem gewünschten Effekt führen können. Deshalb nimmt er uns die Entscheidung ab. Dabei handelt er minimal individuell und maximal kollektivistisch. Das bedeutet, nicht der Nutzen des Einzelnen steht im Vordergrund, sondern dem des Kollektivs, in dem Fall dem des Volkes. Es sind wahrscheinlich soziaphilosophisch die größten Gegenpole, Individualismus und Kollektivismus, die nicht selten und vor allem letzteres in politische Ideologien mündeten, wie der Kommunismus oder der Nationalsozialismus.

Kollektivismus als -ismus ist in sofern problematisch, da einem Kollektiv schwerlich ein Willen, oder ein Ziel zuzusprechen ist. Oder härter, sowie konkreter formuliert: Ein Volk hat kein Ziel, es hat keine Wünsche, Träume. Ein Volk fürchtet auch nichts. Alle Arten von Volkspsychiologie, die ich gelesen habe, hatten für mich einen überschaubaren wert.  Es sind die Individuen im Kollektiv, die Bedürfnisse haben. Oder um wieder praxeoligisch zu formulieren: Völker handeln nicht, sie haben keine Ziele und können keine Mittel aufwenden, um diese zu erreichen. Sie haben auch nicht die Wahl zwischen diversen Zielen. All das trifft nur auf Individuen zu.

Wenn man dem Axiom von Mises folgt, dass jeder Mensch handelt und wenn dies auf Kollektive nicht zutreffen kann, dann steht hinter kollektiver Politik folgerichtig auch eine Paternalistische, eine Person. Ein Entscheider, der meint, zu wissen, was das kollektiv möchte. Es wird klarer, warum ein absoluter Kollektivismus zur Diktatur führen muss.

Das alles beantwortet nicht die Frage, warum Menschen ihre Freiheit wie Mäntel an der Garderobe abgeben. Fürchten wir Menschen das Leben mehr, als den Tod und ziehen daher Sicherheit der Freiheit vor? Nun, ganz so pathetisch wie dieses Rockefeller-Zitat ist es nicht. Es ist aber auffallend, wie viele Bürger sich für den Staatsdienst entscheiden, was auch völlig rational ist. Nehmen wir wieder die Praxeologie, Sie merken, die gefällt mir: Ich stehe vor der Wahl, mich beruflich zu binden und habe die Chance, Beamter zu werden. Das heißt, eine vergleichsweise geklärte Alterssicherung, ein todsicheres Salär und Unkündbarkeit, egal, wie meine Leistung auch ist. Natürlich wird man sich für den Schwur auf die Verfassung entscheiden.

Der Staat gibt also Anreize, dass Menschen Beamte werden, weil er es für wünschenswert erwachtet, Beamte zu beschäftigen. Die Frage bleibt, wie gerechtfertigt die Bevorzugung bestimmter Berufe, bzw teilweise innerhalb bestimmten Berufen ist. Die Debatte würde hier zu weit führen und ist auch nicht Ziel dieses Blogpostes. Es ist Menschen wert, auf Freiheiten, wie das Streikrecht, oder das Einhalten bestimmter Kodizes, zu verzichten, um eine höhere Sicherheit zu erreichen. Der Staat schubst seinen Bürger in die Richtung. So gesehen ist das Beamtentum das größte Nudging-Tool der Welt und aus freiheitlichen Gesichtspunkten durchaus diskutabel.

Nudging bedeutet Menschen durch Anreize in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie alle, die Herren wenigstens, kennen den kleinen Ball im Pissoir mit Tor, den man mit dem Strahl des Mannes hinter die Linie bugsieren kann und sich Mann für ein Moment wie Christiano Ronaldo fühlt. Ziel der Sache: Da sich Mann ganz auf das Miniatur-Spielgerät konzentriert, kommt er gar nicht in die Verlegenheit, daneben zu urinieren, was wiederum den Wirt freut, denn er muss nicht zum Putzlumpen greifen. Nudging ist Paternalismus ohne Kommando und Gehorsam, sondern durch das Setzen von Reitzen.

Im Falle des Beamtentums hat der Staat ein Ziel: Er möchte, dass bestimmte Menschen Beamte werden. Da er Menschen nicht dazu zwingen kann, schafft er Reize, dass es Menschen schwer fällt, nein zu sagen. Er macht ihnen gewissermaßen ein Angebot, das sie nicht, oder nur mit Nachteilen ablehnen können. Nudging geht von einem Menschen aus, der grundsätzlich nicht in der Lage ist, optimale Entscheidungen zu treffen. Also muss er in die richtige Richtung geschubst werden. Der Widerspruch ist hierbei der selbe, wie beim Paternalismus (manche sprechen beim „Staatsnudging“ vom libertäten Paternalismus, ein Begriff, den ich für eher unglücklich halte). Denn die Entscheidung, was besser für den Menschen ist und die Lösung des Problems, dass es Reize geben muss, um das Individuum dorthin zu lenken, ist ebenfalls von einem anderen Menschen getroffen worden. Will sagen: Wie kann die Entscheidung zb. eines Politikers rationaler sein, als die eines „einfachen“ Bürgers? Woher hat er andere Informationen, dass er zu dem Ergebnis kommt, dass Entscheidung A besser sei, als Entscheidung B? Und wenn er diese Informationen hat, wieso teilt er sie nicht mit dem Bürger, so dass er möglicherweise selbst zu dem Ergebnis kommt und, nach Mises, zu einem Wahlakt treten kann?

So ist es durchaus möglich, dass ein Lehrer eine Verbeamtung ablehnt, weil er bei einer bestimmten, privaten Schule arbeiten möchte. Hierbei verzichtet er auf Sicherheit und wählt die andere Schule. Dieser Wahlakt ist aber durch den Versuch der Einflussnahme konterkariert. Laut Mises ist eine Handlung ein Akt, den ich schadenfrei ablehnen kann. Der Lehrer würde jedoch einen Schaden erleiden. Er verzichtet auf diverse staatliche Annehmlichkeiten. Womöglich, so wird sich der alerte Leser denken, hätte er zb. einen höheren Salär im Vergleich zwischen zwei privaten Schulen. Das kann sein. Jedoch haben diese sich in einem Marktsystem etabliert und insofern bewährt, als dass sie ihren Preis an Arbeit, das Gehalt, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Prosperität errechnet haben; das Ergebnis aus Angebot und Nachfrage. Das Salär des Lehrerbeamten dagegen ist fernab davon, es ist in Stein gemeißelt. Auch die Finanzierung erfolgt nicht innerhalb der Logik des Marktes, sondern über Budgets, die Politiker verteilen, generiert aus Steuergeldern.

Nudging ist also so etwas wie Paternalismus light. Es gibt zwar weder Befehl, noch Gehorsam, jedoch das Spielen mit Reizen, die eine schadenfreie Ablehnung des Angebots konterkariert. So gesehen ist Nudging aus praxeologischer Sicht wenig wünschenswert und unterstellt, dass der Staat in persona von Politikern besser wisse, was für das Individuum gut sei, als das Individuum selbst.

Was zu Beginn ist, bleibt auch am Ende: Was für ein Irrglaube.

Literatur:

Ludwig von Mises – Human Action

Max Weber – Wirtschaft und Gesellschaft

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