Im Land der Phrasenkraken hat man’s als Freund des Deutschen, als Befürwortern der klaren Sprache nicht leicht. Ich hör‚ förmlich täglich das leicht verbitterte und ungleich hämischere Lachen von Wolf Schneider, wenn unsere Politiker das Wort ergreifen und mit Phrasen um sich ballern, wie „Maxim“ in der Sherlock Holmes Folge „Der ehrlose Löwe“. Sorry, für die, die es betrifft: Das war ein mega Spoiler.
Von den Regeln Schneiders, einen leserlichen Satz oder gar eine verständliche Rede zu formulieren, sind die allermeisten Politiker entfernt. Sicher, es mag unter anderem an persönlichkeitsgespaltenen Medien liegen, die einerseits das Fehlen von „Typen in der Politik“ beklagen, auch so eine Phrase, andererseits jede Sau durchs Dorf treiben, wenn sie mal wieder die unsichtbare Schmalspur des politisch Korrekten verlassen. Im Zweifel entscheidet sich der Politiker lieber für keine Aussage, oder verschachtelt sie in einem Wald von Silben, vor dem man kaum den Inhalt sieht.
Sascha Lobo, auch genannt Blocky Luke, der Mann, der auf Twitter schneller blockt als sein Schatten, sagte bei Markus Lanz etwas kluges. Er meinte, Politiker redeten gleichzeitig mit sehr vielen verschiedenen Menschen, wenn sie zum Beispiel in einer Talkshow sitzen. Und da hat er recht. Zum einen gibt es das Publikum, das eine Pointe erwartet. Dann sitzt da der Moderator, der den Skandal wittert, jenseits des Studios warten hunderte Journalisten auf die nächste Headline. Ebenfalls sehen Parteimitglieder zu, die Botschaften nach innen hören wollen. Und dann schauen die restlichen, normalen Menschen zu, die einfach nur unterhalten werden möchten. Viele Erwartungen verderben den Inhalt, oder so. Zumindest dann, wenn man alle erfüllen mag. Die Frage ist, muss ein Politiker so denken?
Muss er wirklich jeden ansprechen, jedem etwas liefern? Wie wäre es mit der eigenen Meinung, fern ab vom Moderator oder den Genossen? Was wir erleben ist betreute Politik, Statements von Abgeordneten, die meinen, das Volk sei sackdoof und so zart besaitet, dass es bei jedem Wort fern ab der Phraserei an Herzversagen verenden. Oder sie wählen Dann AfD, was für sie irgendwie das gleiche ist – wenn nicht schlimmer.
Mich stören Phrasen. Die meisten machen mich sogar aggressiv, manche dagegen ein wenig wehmütig. Wenn eine Partei, wie die SPD, mit ihrem neuen (zwischen-)Fraktionsitzenden in Worthülsen erstickt, während die Sozialdemokraten im 11% Ghetto gefangen sind, läuft bei den Roten etwas gehörig schief. Ich habe mir nur einen kleinen Teil der Nullaussagen im Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem Interim- Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich angehört. Es ist unsäglich. Ich verstehe es nicht. Die haben den Schuss nicht gehört. Ich werde diese Unmöglichkeit an politischer Kommunikation, diese grobe Misshandlung armer, unschuldiger Worte, die gar nichts dafür können, ab jetzt immer mal wieder niederschreiben. Ja. Ich bin der Phrasenjäger. Haha!
Also los:
Der Wunsch meiner Kolleginnen und Kollegen ist es, das Selbstbewusstsein der Fraktion zu stärken und das versuche ich anzutreiben und dann schauen wir mal was über die Strecke passiert
- Mützenich will also das Selbstbewusstsein stärken. Wie er das vorhat, verrät uns Dr. Freud nicht. Überhaupt kam mir die Fraktion ziemlich selbstbewusst vor, denn hat sie doch Andrea Nahles, immerhin die Chefin damals, formvollendet abserviert.
- Was er weiter „versucht (…) anzutreiben“ weiß ich nicht. Ich weiß nur eins: Der Satz ist inhaltsleer, was auch immer und vor allem auf welcher „Strecke“ passieren soll, eine Panne vielleicht oder der Superstau, bei dem er Otti Fischer trifft, weiß wahrscheinlich Mützenich nicht mal selbst.
Auf die Frage, was in der Fraktion so alles schief lief, antwortete er in einer beeindruckenden Wortflatulenz, die ich mehrfach lesen musste:
Ich frage mich das, natürlich im Nachhinein weiß man auch selbst, welche persönlichen Fehler man gemacht hat. Ich bin auch nicht dazwischen gegangen, als es doch auch sehr persönliche Wortwechsel gegeben hat, aber wir alle waren auch geschockt über die Situation, über das Wahlergebnis, über die Frage, ob die Fraktion jetzt doch noch ganz rasch wieder in die Vorsitzenden-Wahl gehen soll und einige fühlten sich vielleicht dadurch auch zu stark unter Druck gesetzt, dass man die Fraktion auch nicht mitnimmt. Das waren alles Momente letztlich gewesen, die vielleicht dazu beigetragen haben.
- Ein klassischer Phrasenhelfer ist „man“, oder „wir“. Man hat Angst vor der Reaktion, also kreiert man ein Kollektiv, das hinter dieser Sicht steht. Oder der Phrasist verlegt die Meinung ins Allgemeine. „Man“ ist der Meinung. Also alle. Widerwort zwecklos. Wer sich hinter dem Kollektiv verbirgt, bleibt ungewiss.
- Mützenich ist „geschockt über die Situation“. Alter Falter, seit 2002 verliert die SPD Stück für Stück Wähler, seit 2009 dramatisch mehr. Er ist jetzt noch geschockt?! Ich bin geschockt, dass der Chefgenosse noch immer geschockt ist, gewissermaßen in Schockstarre gefangen, und 2019, bis auf heiße Luft, er keinen Lösung bietet.
- Neuerdings werden nicht nur Wähler „mitgenommen“, sondern gleich ganze Fraktionen. Doch wohin nur? Bei einer Fraktion kann ich nur raten: Wollen Sie Ihre Kollegen auf eine schöne Reise zum Brombachsee mitnehmen? Oder ist „mitnehmen“ so etwas wie „abholen“ und wenn ja, was zur Hölle wollen Sie uns Wählern sagen?!
Man muss Teamfähigkeit unterstellen. Das ist ganz wichtig, aber noch einmal, ich glaube, Personen werden am Ende es überhaupt nicht alleine schaffen, der Sozialdemokratie dieses wichtige Selbstbewusstsein zurückzugeben. Nicht Strukturen entscheiden am Ende, sondern die Themen.
- Wow. „Man muss Teamfähigkeit unterstellen“. Zum einen haben wir wieder dieses ominöse „Man-Kollektiv“, was jeder und somit keiner sein kann. Zum anderen negiert Mützenich den Mangel an „Teamfähigkeit“ gar nicht, er scheint zu wissen, dass die Führung nicht zusammenarbeiten kann. Daher reicht der Schein, eine Unterstellung von außen, sie seien teamfähig. Dann geht es wieder bergauf!
- Neben dem genannten „Selbstbewusstsein“ macht der Fraktionschef das, was Politikern nach Rücktritten oder vor Rücktritten, ach, eigentlich immer, tun: Zu sagen, es ginge um die Themen. Jaja, die Themen. Davon abgesehen, dass die besten Themen unbrauchbar sind, wenn es keinen Menschen gibt, die sie präsentieren, ist es unmöglich, Thema und Politiker zu trennen. Mit Kevin Kühnert als Vorsitzender würde die SPD ganz andere Themen besetzen, als mit Thomas Oppermann. Themen setzen Führungskräfte und/ oder Charismatiker.
Auf die Frage, ob er als dauerhafter Fraktionsvorsitzender antreten will, nicht nur Interim, wie im Augenblick, antwortet Mützenich so, wie jeder, absolut jeder Politiker antwortet:
Das steht zur Zeit nicht zur Debatte
- Zunächst ist es überheblich zu glauben, die Debatte um ein Spitzenamt würden ein paar Top-Genossen bestimmen, ebenso wie den Zeitpunkt des Gesperächbedarfs. Wenn dann bestimmen die Menschen die Debatte, unter anderem die Medien oder die SPD Mitglieder, die alle zusammen wissen wollen, wie es mit dem Land weitergeht.
- Irrtum. Die Nachfolge steht zur Debatte. Eben weil sie langfristig ungeklärt ist. Da kann Herr Mützenich sagen, was er will.
- Er könnte ja antworten mit „Ja“, oder „nein“, wie jeder normale Mensch in jedem anderen Beruf. Oder haben Sie schon mal Ihrem Chef gesagt, nachdem ein höherer Posten frei wurde und er Sie fragte, ob Sie das machen wollen: „Das steht zur Zeit nicht zur Debatte?“
Weiter eiert der Eiermann:
Aber nun bin ich auch von einem Naturell, dass ich selten etwas ausgeschlossen habe. Aus dieser biografischen Eigenschaft versuche ich zurzeit, auch die richtigen Antworten zu geben.
- Ok, durchatmen. Das Interview geht 5 Minuten und ich habe jetzt schon ein Puls kurz vorm Kammerflatttern. Ja. Ich bemühe mich. Herr Mützenich ist von einem „Naturell“, dass er selten Dinge ausschließt. Davon abgesehen, dass das ein absoluter Blödsinn ist, sagt er einen Satz später, dies sei eine „biografische“ Eigenschaft. Was denn nun? Angeboren oder im Laufe des Lebens angeeignet?! Merkt der Mann eigentlich, was er da sagt?
- „Zur Zeit“ versuche er, „die richtigen Antworten zu geben“, bis es dann wieder so weit ist, vielleicht im November, die falschen Antworten zu zu suchen. Manmanman….
Definitiv und es ist uns ja nicht unwichtig, aber ich muss auch letztlich dafür sorgen, dass alle die mitgenommen werden, die eben für dieses Klima dann auch die entscheidenden Stellschrauben setzen können.
- Nicht nur die Fraktion soll mitgenommen werden, nein, wie ich schon dachte, „alle“, also einfach jeder, soll irgendwohin mitgenommen werden. Wohin? Keine Ahnung!
- Eines der beliebtesten Phrasen sind die sogenannten „entscheidenden Stellschrauben“, in dem Fall für das Klima. Zunächst bin ich sehr froh, dass Mützenich von den „entscheidenen“ spricht und nicht von den belanglosen Schrauben. Aber das nur am Rande.
- Ich sehe das bildlich. „Das Klima“ ist vermutlich eine Art Maschine, an der lediglich „entscheidende Stellschrauben“ gesetzt werden müssen, damit „alle mitgenommen werden“. Verstanden? Ich nicht. Aber dafür muss er „sorgen“. Was wenn nicht? Na logisch, können wir alle nicht „mitgenommen werden“.
Ich zucke manchmal dann als Außenpolitiker, wenn ich über rote Linien nachdenke
Der Arme. Zuckt der bei roten Linien. So lang er nicht bei weißen Linien zuckt, ist doch alles paletti, nicht wahr, Michel?
Die (roten Linien) lohnen sich oft in der Außenpolitik nicht. Die kann man vielleicht für sich persönlich definieren, aber man muss dann auch immer über die Rahmenbedingungen nachdenken
- Eigentlich sagt er, dass sich Überzeugungen nicht lohnen. Persönlich vielleicht, im Privaten. Freitags gibts Fisch und Sonntags Braten. Aber in der Politik? Näh. Giftgasangriff auf das eigene Volk? So what? Widrige Anexionen von fremden Territorien? Gähn. Staaten finanzieren Terror? Alles egal. Rote Linien sind was für Amateure! Weiße Linien dagegen… lassen wir das.
- Immer wichtig bei Politikern aller Art sind diese „Rahmenbedingungen“. Die müssen passen, über die muss man „auch immer“, also nicht nur Mittwochs, nein, immerimmerimmer, „nachdenken“. „Rahmenbedingung“ ist ein Nullwort. Ich habe keinen Schimmer was das in dem Kontext bedeuten soll.
- Auf die Frage, ob es einen dauerhaften Fraktionsvorsitzenden bis Weihnachten (!) geben wird, antwortete Mützenich:
Auch das ist eine Strecke, die wir gemeinsam betrachten müssen und ich bin sicher, wir haben ganz viele gute Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in unserer SPD-Fraktion, die das auch könnten.
- Beim Zeitraum bis Weihnachten handelt es sich um eine „Dauer“, nicht jedoch um eine „Strecke“. Köln-Nürnberg ist eine Strecke, ja, auch die dauert, aber ich weiß ungefähr wie lange. Mützenich, fürchte ich, weiß gar nix.
- Er möchte diese Strecke mit einem „Wir-Kollektiv“ „gemeinsam betrachten“. Wenn ich in Nürnberg in den Zug einsteige und nach Köln fahre und wenn ich noch einen Freund dabei habe, dann können wir tatsächlich die Strecke gemeinsam betrachten. Aber wie will irgendein „Wir“ die „Strecke“ bis Weihnachten „betrachten“, bis die SPD endlich einen dauerhaften Fraktionschef hat?! Holy Cow, um was geht es?
Ich habe dieses Interview zufällig ausgewählt, weil ich es zufällig gehört habe. Dabei habe ich sicherlich 2/3 aller Phrasen weggelassen. Ohne Not könnte ich aus allen Parteien ähnliche Gespräche heraussuchen. Die meisten Politiker geben sich, was Phrasen angeht, nichts oder nicht viel.
Die SPD steht heute, Stand 16. Juni 2019, bei 11%. Spitzenpolitiker wie Mützenich meinen, mit solchen Interviews würden sie irgendjemanden ansprechen. Dem ist nicht so. Im Land der Phrasenkraken sticht der Politiker bereits aus der Masse, der nicht in die ewigen ausgelutschten Satzfetzen benutzt. Hier kann die SPD anfangen, jeder einzelne. Das kostet keinen Cent, außer den Mut, einzusehen, dass das jetzige, fehlende Bewusstsein für Sprache keinen verlorengegangene Wähler „erreicht“.
Ja. Ich wollte unbedingt mit einer Floskel enden.