Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, ist das Recht, unser Wohlergehen auf unserem eigenen Wege zu verfolgen, so lange wir nicht anderen das ihrige verkümmern oder ihr darauf gerichteten Bemühungen durchkreuzen.
– John Stuart Mill
Ich glaube, Sie kennen das: Zum Herbst fegt es die gold’nen und gelben und braunen Blätter umher. Sie und ich. Wir sitzen da, an unterschiedlichen Orten, und es denkt in uns. Ich denke fast alles in Pattern. In Gesellschaft, Gemeinschaft, in Individuen und Kollektiven, wie sie mit sich und anderen agieren. Es ist manchmal müßig, oft anstrengend und störend, nervig. Ja. Ich bin damit weder besser, oder klüger, weitsichtiger oder tiefer, als andere. Ich bin nun mal so und anders könnt ich nicht sein.
Ein Thema, das mich stets beschäftigt, ist die Freiheit. Fast alle Gedanken, Fragen oder Probleme, alle Erkenntnisse daraus konfrontiere ich mit individueller Freiheit. Deswegen bin ich überzeugt, dass es weniger um „rechts“ oder „links“ geht, was Parteien angeht, sondern viel mehr um „kollektivistisch“ und „individuell“ oder, um es mit Hayeks Worten zu sagen, um „Freiheit oder Knechtschaft“. Ich glaube, dass rechts und links nicht immer, aber immer wieder eine Seite einer Medaille ist. Auf der anderen Seite steht „Freiheit“ oder „Individualität“.
Zunächst kurz zu den Begriffen. Unter Kollektivismus wird ein Wertesystem verstanden, in dem das Wohlergehen einer bestimmten Gemeinschaft, also eines Kollektivs höchste Priorität genießt. Kollektive können sein: Ein Volk, eine Ethnie, eine Klasse, gewisse Mitglieder einer Religion/Ideologie. „Die Modernisierungsverlierer“, „die Armen“ etc…Der Gegensatz dazu ist der Individualismus. Hier steht der Nutzen des Individuums, sprich der Nutzen des einzelnen im Vordergrund. Dies ist höchstes Ziel.
Eng mit beiden Begriffen verbandelt ist der Utilitarismus, ein Wort, dass auch nüchtern nicht so leicht auszusprechen ist. Der Utilitarismus ist die Idee, dass eine Aktion dann moralisch richtig ist, wenn sie das Wohlergehen einer vorher definierten Gemeinschaft oder des einzelnen erhöht. (Siehe auch Nützlichkeitsprinzip) Mill sprach noch von „utility“, also Nützlichkeit, daher der Name. Doch später, das las ich bei Jack Nashers „die Moral des Glückes“, verwendeten Beschreiber der Denkschule das Wort „Wohlergehen“.
Beide Ethiken, Kollektivismus und Individualismus, sind in ihrem Charakter als „-ismen“ benannt und erregen daher den Verdacht des Absoluten. So wie der Sozialismus von rechts oder links kompromisslos daher kommt und es in seiner Definition „alle Produktionsmittel in staatlicher, bzw gemeinschaftlicher Hand“ keinen Spielraum anderer Interpretation gibt. Dennoch findet sich ein gewaltiger Unterschied. Schauen wir noch mal auf die Definitionen: Höchstes Ziel des Kollektivismus, darunter hat sich jeder zu unterwerfen, ist das Wohl der Gemeinschaft. Das heißt, dass individuelle Bedürfnisse dem „großen Ganzen“ weichen müssen. Dieses Leitziel muss vorher definiert und im Zweifel durch Befehl und Gehorsam durchgesetzt werden. Denknotwendig kann ein kollektivistisches System im Kern nur als „-Ismus“, also absolut und totalitär, funktionieren, wenn man eine staatliche Verpflichtung voraussetzt. Davon zu trennen sind beispielsweise Genossenschaften, in der eine Zugehörigkeit freiwillig ist, worum es hier nicht gehen soll.
Der Individualismus dagegen wäre selbst in Reinform nicht kompromisslos und totalitär. Denn wenn der Nutzen des einzelnen unter der Prämisse des Utilitarismus im Vordergrund steht, ist es ihm gar nicht möglich, totalitär zu sein. Wir sehen genau das am Eingangszitat von John Stuart Mill, einem der Väter des Utilitarismus und Vordenker des später beschriebenen Individualismus. Ich denke nur beide Werteideen funktionieren miteinander.
Diese Begriffe sind in meinen Augen wichtig, um meine Idee zu verstehen, dass sich links und rechts in vielen Punkten ähneln und der eigentlich Antipode, falls es überhaupt einen gibt, der Liberalismus sein kann. Hier gibt es kein schwarz und weiß. Ich würde es so formulieren: Es gibt aus nachvollziehbaren Gründen links- oder rechtsorientierte Menschen, die liberale Ideen teilen. Es ist aber denklogisch unmöglich, dass ein klassisch liberaler Geist rechte oder linke Ideen vertritt. Der Grund ist, dass der Liberale individualistisch denkt und der rechte und linke, nicht in toto, aber tendenziell und je extremer, desto stärker, kollektivistisch argumentiert, was Liberalen zuwider ist. Ferner bin ich überzeugt, dass es keinen totalitären Liberalismus, der auch, siehe Hayek, aus dem Individualismus entstammt und auch ein Utilitarismus ist, geben kann. Eine breite Diskussion an dieser Stelle über die Definition von „links“ und „rechts“ führt hier zu weit und habe ich in diesem Blog an anderen Stellen getan, siehe hier und hier.
Rechts und Links haben erstaunliche Parallelen. Eine Theorie ist die sogenannte Hufeisentheorie, die in meinen Augen zwar in die richtige Richtung zu gehen scheint, jedoch zu holzschnittartig ist. Die Theorie besagt, dass Extremismen von rechts und links, je intensiver sie erscheinen, desto mehr, sie sich ähneln, bis sie gleichzusetzen sind. Das ist zwar nicht falsch und in meinen Augen historisch durchaus begründbar, jedoch vergisst das Hufeisen Begriffe wie „Liberalismus“, „Individualismus“ und „Utilitarismus“. Ich versuche in den folgenden Punkten die Paralellen von „links“ und „rechts“ in Inhalt und Agitation zu beleuchten.
I. Sozialpolitik
Da links wie rechts tendenziell kollektivistisch denken, möchten Sie Ihre Gemeinschaft alimentieren. Ein gutes Beispiel sind die Ostverbände der AfD, die nach den Landtagswahlen zumindest in Brandenburg und Sachsen die Partei „Die Linke“ als Kümmererpartei abgelöst hat. Sie sind diejenigen, die „die Nöte und Sorgen der Menschen ernst nehmen“. Wo früher in der AfD noch individualistische, freiheitliche Ansätze dominierten, herrscht heute immer mehr ein rechtssozialistischer Ansatz. Herr Meuthen wird sich mit seinem Rentenkonzept nicht durchsetzen, stattdessen wird auf mehr Umlage gesetzt, gesalzen mit einem Deutschenbonus, den kein BGH der Welt legalisieren wird. Es ist kein Zufall, dass der Nationalsozialismus ein Sozialismus war.
Interessant hierbei ist auch, wenn man sich die sozialen Medien ansieht, wie ähnlich beide Anhänger argumentieren. Das Bild der Flaschen sammelnden Rentnerin wird von beiden ungehemmt geteilt ebenso wie halbwahre Klickbilder zu Artmut in Deutschland, ungeachtet, dass es dieser Rentendynastie besser geht, als allen anderen, die folgen werden.
2. Außenpolitik
Waren die Altrechten noch territorial expansiv, „holen wir uns Polen“ usw. so ist die Neurechte im fast schon klassischen Appeasement gefangen und damit sehr vergleichbar mit der heutigen Linken. Die NATO wird kritisch gesehen, bis zu ihrer Abschaffung. Überhaupt haben beide ein Ziel, möglichst wenig Verantwortung jenseits der Staatsgrenzen zu übernehmen. Das Verhalten der USA wird scharf verurteilt, wenn nicht gerade ein geistiger Verbündeter im Weißen Haus sitzt.
Größte Gemeinsamkeit finden sich bei Die Linke und AfD in ihrer Nähe zu Russland, was einerseits mit dem heimlichen oder gar nicht so heimlichen Wunsch verbunden ist, einen starken Führer zu haben. Andererseits ist Russland Antipode zu USA und EU, was für beide eine Herzensangelegenheit zu sein scheint. Auch, dass Russland als Gegenspieler der NATO ist, finden Vertreter beider gut. Schauen Sie sich eine Talkrunde mit Alexander Gauland und Sahra Wagenknecht zum Thema Russland an. Sie werden in den Argumenten kaum Unterschiede finden. Natürlich darf man nicht vergessen, dass beide Parteien im Osten überproportional stark sind. Viele Ostdeutsche haben, nicht zuletzt durch die Prägung in der DDR, ein anderes Verhältnis zur ehemaligen Sowjetunion, was manchem Westdeutschen fremd ist.
3. Rhetorik
Beide ähneln sich in ihrer Art der Formulierung im Populismus. Eigentlich ist der Begriff ja tot. Journalisten haben ihn ermordet, indem sie ihn, wo immer es um die AfD ging, verwendet haben und ihn auf immer und ewig ihm mir dem Label „rechts-“ verklebt haben. Dabei argumentieren sowohl Linke, als auch Rechte populistisch.
Ein wesentliches Merkmal beides ist dieses „Die da oben, wir da unten“. Beide schaffen eine Hierarchie zwischen Herrschenden und Volk. Beide machen „Politik, für den kleinen Mann“ und sind „die Stimme des Volkes (auch ein Kollektiv), für den, der sich vermeintlich nicht wehren kann. Der Politikwissenschaftler Cas Mudde sieht Populismus als Ideolgie, die zwischen „echtem Volk“ und „korrupter Elite“ unterscheidet. Bei den Linken sind es Kapitalisten, Großkonzerne, aber auch die herrschenden Parteien. Bei den Rechten sind es eben diese Altparteien (ein Begriff, den Leute wie Claudia Roth wie selbstverständlich verwendeten, bevor sie AfD aufkam. Heute kritisiert sie die Rechten genau dafür), politisch und kulturelle Eliten, „die Journalisten“ der „Systempresse“. Bei den 68zigern gab es eine ähnliche Formulierung: „Die imperialistische Schweinepresse“. Auch die Pauschalkritik gegen alles, was vom Springer Konzern kommt, reiht sich ein in eine populistische Argumentation.
Motor der Populisten ist das Bedienen von Abstiegsängsten, ob durch eine Überfremdung oder dem vermeintlichen Abbau des Sozialstaates. Es wird das Bild gezeichnet von unmündigen Modernisierungsverlierern, die sich nicht in der Lage, sich anzupassen (vgl Kümmererpartei im Osten)
4. Kollektivismus
Es ist kein Zufall, dass bei den sog. Montagdemos gegen Hartz IV von links vor 15 Jahren (teilweise waren auch dort bereits Rechte zu sehen) und PEGIDA von vor vier Jahren ein Slogan immer wieder zu hören war: „Wir sind das Volk“. Beide schaffen ein Kollektiv, das über die Bedürfnisse des einzelnen gestellt werden muss. Das sind „die Abgehängten“, „die Wendeverlierer“, „die Armen“, „die Deutschen“.
Natürlich ist nichts schwarz-weiß. Es gibt Linke und Rechte, auf die meine Beschreibung nicht, oder nur zum Teil passen. Größte Unterschiede finden sich in Teilen der Linken bei den Themen Grenz- und Einwanderungspolitik. Andere Parallelen sind jedoch deutlich geworden. Den Leitsatz von Milton Friedman, der ein klassisch liberaler Grundgedanke ist, dass es keine gesellschaftliche Freiheit ohne individueller Freiheit geben kann, können Leute von links wie von rechts vermutlich nicht unterschreiben. Dabei konterkariert die Negation dieser Kausalität die Existenz von Individualismus im Menschen selbst. Menschen streben nun mal nach ihrem Glück, nach Ihrer Selbstverwirklichung. Kollektivistische Ideologien unterstellen dem einzelnen, dass ein auserwähltes Konsortium von Menschen wisse, was für die Menschen am besten ist. Ich glaube aber, dass Wissen und Bedürfnisse dezentral sind und einer zentralen Einheit es unmöglich ist, diese ausfindig zu machen und adäquat zu befrieden. Das kann nur der einzelne, indem er handelt.
Kollektivisten entmündigen, Individualisten machen möglich. Und ich glaube, dass jeder Mensch möglich ist.
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Quellen:
Hayek – Der Weg zur Knechtschaft
Cas Mudde – Populism- A very short introduction
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kollektivismus
Georg Simmel – Individualismus in der modernen Zeit
Grayling – Freiheit, die wir meinen
Jack Nasher – Die Moral des Glückes
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