Ab und zu habe ich so Ideen, ich Paradiesvogel, ich verrücktes Huhn, ich. Neulich zum Beispiel bestellte ich bei meinem Thailänder (wichtig, immer „meinem“ dazusagen) nicht wie üblich Nummel Dleiundachzig, sondern die Nummel Einhundeltfünf. Im Darm herrschte dann anschließend Fasching, ganz ohne Corona, und geschmeckt hat es auch nicht besser als die Dleiundachzig. Naja. Hauptsach‘ Gsund.
Auch gestern hatte ich so eine verrückte Idee, keine kulinarische, dafür eine intellektuelle. Ich gehe zu einer Lesung. Ja. Warum auch nicht? Sich mit einem Hefeweizen zwischen die Stirn klemmend in einen wohl temperierten Raum zu setzen und den prosaischen Ergüssen eines bedeutenden Autors zu lauschen, klingt doch ganz kommod. Dachte ich.
Ich muss dazu sagen, dass meine Eltern mit von der Partie waren, denn sie hatten ihre zwei Karten gewonnen. Ich dagegen nicht und da kam mir die erwähnte verrückte Idee: Ich geh’ mit. Geboten war irgendein Buch von einem Faller und einem Zirner. Letzteres Gesicht ist mir ein durchaus bekanntes, so habe ich es schon im Fernsehen gesehen. Und so begann um Punkt 20 Uhr das Spektakulum.
In sonorer Whiskeyliebhaberstimme, rauchig und sexy, leider nicht so versoffen, verraucht und versaut wie Bukowski, trug der Zirner ein Gedicht auf Englisch vor und der andere spielte dabei Kontrabass. „Why not?“, Würde der gepflegte Amerikaner sagen. Oder einfach nur „why“. Nachdem das Gedicht zu Ende war, packte der Zirner seine Flöte aus. Seine Querflöte natürlich, ihr Schlawiner. Und dann spielten sie und ich muss sagen, das klang ganz gut. Ja, wirklich! Es folgte ein Wechsel von Vortrag und Musik und Musik und Vortrag. Das Buch würde ich nie lesen und die Texte haben mich auch nicht vom Hocker gehauen. Aber 45 Minuten ging das alles ganz flott runter, ebenso wie das Hefeweizen.
Das Buch ist irgendwie autobiographisch, was okay ist, aber die Biografie vom Zirner und Faller ist jetzt nicht das, was mich brennend interessiert. Aber fair enough, ich hab‘ was neues probiert. Nach einiger Zeit und nachdem sich die anfängliche Aufmerksamkeit in schwere Augen umwandelte, begann ich das Publikum zu beobachten. Schräg vor mir saß ein Ehepaar, intellektuell bis in die Haarspitzen, die immer wieder bei Stellen, die alles waren, außer lustig, lachten. Aber nicht so, wie wenn jemand etwas komisches sagt, sondern so, naja, intellektuell zustimmend. So ein Hihi. Leise, belesen, kontrolliert.
Der Zirner sei‘ Oma, wie wir Franken sagen, hieß „Zwieback“ mit Nachnamen – Intellektuelles Gekicher. Der Zirner wurde geboren und schrie. Sein Vater, ausgestattet mit einem absoluten Gehör, nannte ihn „Es“. Nicht aber, weil er sein Kind als Sache sah, sondern weil der Ton des Kreischens eben ein „Es“ war und kein „Dis“. Diesen Sparwitz hat sich das der Zirner sicher ausgedacht, aber, er funktionierte. Denn das Paar von schräg gegenüber kicherte intellektuell. Bestimmt schauen sie Arte. Nur Arte.
Mit zunehmender Uhrzeit machte es sich bei mir die Müdigkeit breit und ich kann sagen, dass ich ab Minute 50 regelmäßig wegsackte. Nur kurz, vermute ich zumindest, denn ab und an erwachte ich ob eines hohen Tons. Dann schaute ich zu den Intellektuellen von gegenüber, nicht weil ich die so spannend finde, sondern viel mehr, weil mein Sichtfeld ob der physischen Schwere stark verengt war. Ich sehe Lächeln, intellektuelles Lächeln, „ich habe gerade den Scheibenwischer geschaut“ Lächeln. Dann schauen sie sich an und wippen ganz leicht -intellektuelles Wippen – zur Musik.
Ach ja, die Musik. Zunächst komm‘ ich nicht umhin zu sagen, es handelt es sich bei dem Zirner und dem Faller um zwei absolute Könner. Ehrlich, die können was und manch ein Stück würde ich mir auch privat (als wäre ich dienstlich auf einer Lesung) anhören. Aber je länger es wurde, desto jazziger klangen die Songs (amerikanische Aussprache). Und bluesiger. Viel Blues, klopfen im Takt auf dem Bass und dann die Querflöte, verspielt und gewollt nicht im Takt und dissonant. Und dann Bass, jetzt mit Bogen, wo hat er denn nur so schnell her? Meine Augen klappen weg.
Der Jazzfan hat es jetzt spätestens bemerkt, eigentlich der gemeine Musikfan: Ich habe keine Ahnung. Für mich ist „ey man muss die Platte (auch wichtig immer „Platte“ zu sagen, statt Album) einfach mehrfach hören“ ein anderes Wort für „Die Platte ist einfach scheisse“. Ich höre gern mal den Mahler oder den Bartok, komplexe Musik, aber einen Zugang hatte ich bei beiden zu Beginn. Aber belassen wir es ruhig bei: Ich habe keine Ahnung. Für den Abend war ich auch viel zu müd‘ um Ahnung zu entwickeln.
Um halb 10 trug der Zirner, wieder auf Englisch, das Gedicht vom Anfang vor und ich wusste, das ist das Ende der Veranstaltung. Euphorisch und mit Lust auf eine Zigarette schnappte ich mein intellektuelles Jackett und ging nach draußen. „Kann ich eine Zigarette haben?“ fragte ich das Ehepaar, das gerade intellektuell rauchte. Ich bekam, was ich wollte und da ich auf meine Eltern warten musste, dachte ich, ich mach‘ mal Smalltalk.
„Wie hat es Ihnen denn gefallen“? Es folgte ein Monolog, wie gelungen die Musik, gerade der Bass mit der jüdischen Herkunft harmonierte (Juden und Bass?! Okay. Ja. Why not, sagt der Ami) und seine Biografie immer auch eine musikalische Prägung hatte. Ich rauchte so schnell, wie ich nur konnte. Bitte keine Frage an mich. Ich zog an dem Glimmstängel wie ein Weltmeister und fast hätte ich die Zigarette gegessen, als die Frage kam, allerdings nicht die, die ich erwartet hatte
„Sind Sie der Veranstalter?“, erkundigt sich der sehr hochdeutsch sprechende, sehr intellektuelle Mann mit Giovanni DiLaurenzo Krause. „Nein“, erwiderte ich und in dem Moment kamen meine Eltern nach draußen. Mit leichten Kreislaufproblemen, da ich meine erste Zigarette am Tag in 90 Sekunden verspeiste, gingen wir zum Auto. I‘ hab‘s geschafft. Schlimm war es nicht, 45 Minuten gingen runter wie Öl. Am End‘ gewann die Müdigkeit überhand. Passiert.
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