Als ich das letzte mal einen Beitrag auf der Achse des Guten verfasste, hätte ich mir nicht träumen lassen, mit welchen Widrigkeiten wir es bald zu tun haben werden. Ihnen wird es nicht anders gegangen sein. Nur kurze Zeit später gingen im Lande die Lichter aus. Ein Shutdown wurde beschlossen aufgrund eines Virus, Corona sein Name.
Mein Arbeitsalltag hatte sich seit dem dramatisch verändert. Um uns herum gingen die meisten Niederlassungen, ich arbeite für einen Personaldienstleister, in die Kurzarbeit. Ein Standort verlor über Nacht de facto all seine 300 Mitarbeiter. Ich hatte Glück. Denn unser Schwerpunkt liegt in der Lebensmittelherstellung. Plötzlich war mir bewusst: Wir sind in Zeiten der Pandemie Grundversorger. Und da die Saison für einen wichtigen Kunden in der Fleisch- und Wurstherstellung gerade begann, waren wir zum rekrutieren und einstellen verdammt. Ämter machten uns einen Strich durch die Rechnungen. Belehrungen nach dem Infektionsschutzgesetz konnten Mitarbeiter nicht mehr in den Gesundheitsämtern bekommen. Allgemein waren alle Ämter geschlossen und Ansprechpartner nicht erreichbar, was insofern problematisch war, wenn es um Arbeitserlaubnisse von Flüchtlingen ging.
Aber all das haben wir im Laufe des Märzes hinbekommen, was mich nicht ohne Stolz erfüllt. Es waren die härtesten, aber auch spannendsten Zeiten meines Arbeitslebens, die ich niemals missen möchte. Die meiste Zeit kämpften wir gegen den Staat und Bürokratien, als gegen ein vermeintlich tödliches Virus. In meinem Artikel vom Februar merkte ich bereits an, dass meine Branche von Teilen der Gesellschaft, aber vor allem von der beinahe gesamten Politik keine Anerkennung bekommt. Die vielen positiven Kommentare auf Achgut haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Nur einen Tag, denke ich mir, nur einen Tag sollte Arbeitsminister Hubertus Heil mit uns mitlaufen, um zu sehen, was hier vor Ort, „an der Front“, geleistet wird und welchen Wert unsere Arbeit hat.
„Werkvertrag ist nicht gleich Zeitarbeit, Herr Heil!“
Aber es ist ihm nicht nur egal, er spuckt geradezu auf uns und auf die vielen Mitarbeiter. Am 20. Mai beschloss das Kabinett das Verbot von Werkverträgen und Zeitarbeit in der Fleischindustrie, sehen Sie hier. Gerade zu lachhaft euphemistisch klingt das Gesetzesvorhaben: „Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft“. Heil reagiert damit auf die Zustände in vielen Schlachtbetrieben, die schlicht unter aller Sau waren und sind. Kein Arbeitgeber mit dem Herz am rechten Fleck und dem Gedanken nachhaltiger Profitabsicht, die langfristig durch solche Praktiken zerstört wird, kann dies wollen. Aber deswegen Werkverträge und Zeitarbeit per se in Fleischunternehmen zu verbieten, ist der falsche Weg und zeigt den massiven Realitätsverlust des Arbeitsministers.
Zunächst handelt es sich um einen Logikfehler: Wenn einige Schlachtbetriebe Schindluder treiben, warum müssen dann die Handwerksunternehmen der Lebensmittelherstellung unter einer Gesetzesverschärfung leiden? Das sind völlig unterschiedliche Betriebsarten und Geschäftszweige! Das ist so, als würde die Politik die Pizzeria in München dicht machen, weil der Auslieferfahrer in Würzburg besoffen ausliefert. Völlig absurd! Und überhaupt ist diese Art von Sippenhaft und Kollektivstrafe moralisch fragwürdig. Oder sollte man die Politik verbieten, weil es intrigante Politiker gibt? Das wäre ungünstig für Heils SPD, die wenigstens in den Spitzenriegen aus vornehmlich rotlackierten Messerfrauen und -Männern besteht, die das „S“ ihrer Partei mit allem füllen, was jenseits Menschlichkeit und sozialem Miteinander steht, wenn mal wieder ein Topfunktionär aus dem Weg geräumt werden soll.
Zum anderen ist es absurd, Werkverträge und Zeitarbeit in einen Topf zu werfen. Wir hier vor Ort arbeiten gar nicht mit Werkverträgen. Der Unterschied besteht in der Auslegung der Arbeitsart. Im Werkvertrag gibt es ein „Werk“, eine bestimmte Sache oder Dienstleistung, an denen die Arbeit geknüpft ist. Ein Unternehmen hat beispielsweise die IT- Abteilung in eine andere Firma ausgelagert. Deren Werk liegt darin, die Server zu warten oder einen neuen Arbeitsplatz einzurichten. Die Übernahme von eigenständigen und abgeschlossenen Aufgaben werden hier in toto übernommen
In der Arbeitnehmerüberlassung (=Zeitarbeit) ist der überlassene Mitarbeiter in die Organisation des Kundenunternehmens implementiert, das heißt, der Zeitarbeiter arbeitet neben dem Stammpersonal. Nicht selten war der eigene Mitarbeiter des Kundenunternehmens auch einmal bei uns beschäftigt. Der Personaldienstleister gibt in der Arbeitnehmerüberlassung das Weisungsrecht de facto, aber auch de jure an das Kundenunternehmen ab. Logisch; wir sind ja nicht vor Ort und sagen dem Mitarbeiter, an welcher Maschine er heute steht. In einem Werkvertrag behält der Dienstleister das Weisungsrecht im Rahmen des Projektmanagements bei sich.
Aber das sind für Hubertus Heil Spritzfindigkeiten. Ich bezweifle, dass er den Unterschied überhaupt kennt, geschweige denn ihn dieser interessiert. Er will ein Zeichen setzen gegen zwei Branchen, die ihm im Grunde ein Dorn im Auge sind. Zeitarbeit und Fleischindustrie. Er spricht vom System der „Sub-Sub-Sub-Sub-Unternehmen“, das zweifellos existiert, keine Frage, aber in der gesamte Branche einen Bruchteil ausmacht, weswegen er eine ganze Branche, genauer gesagt zwei Branchen, schreddern will. Zwei Branchen, die seinen Haushalt klein halten, weil viele Mitarbeiter ansonsten Arbeitslosengeld 2 erhalten würden, da sie aufgrund mangelnder Qualifikation und Sprachkenntnissen keiner einstellen würde.
Per Knopfdruck beschlossene Arbeitslosigkeit
Liberalismus heißt, nicht Gott spielen zu wollen. Und genau das tut der Arbeitsminister und das Kabinett. Wenn dieses Gesetz durch alle Instanzen geht, bedeutet das das womöglich das Ende meiner Niederlassung. Ganz sicher aber heißt es, dass wir die Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Unqualifizierte Helfer, in der Regel Ausländer, nicht selten Flüchtlinge. Eben noch im Kalkül der Linksbesaiteten zum schützenswerten Kuschelmenschen degradiert, sind sie nun das Bauernopfer in einem in sich perversen Politikerspiel ohne Moral und Haltung. Während wir jeden einzelnen Mitarbeiter wertschätzen, ihnen das Gefühl geben, dass sie gebraucht werden (und nicht nur das Gefühl. Sie sind unschätzbar wichtig und werden gebraucht!) sind sie für Heil und Co Mittel zum Zweck in einem moralinverbitterten Wettbewerb.
Zum Beginn der größten Wirtschaftskrise seit 1945 kommt aus dem Arbeitsministerium ein ganz besonderes Geschenk:Per Knopfdruck beschlossene Arbeitslosigkeit. Hubertus Heil wird die Krise nicht treffen. Er ist finanziell wohl gepampert. Aber seine Wähler, falls noch welche übrig bleiben, werden die Rezession mit voller Wucht spüren. Sie werden sich an Hubertus Heil erinnern und eine im Kern entkernte Sozialdemokratie, die gern über ihre Erfolge spricht, vorausgesetzt sie hängen nicht mit dem Namen Gerd Schröder zusammen. Der Kanzler, der die Arbeitnehmerüberlassung möglich machte und damit Millionen Menschen, hoch zufriedene Beschäftigte und Ex-Mitarbeiter, die uns stetig weiterempfehlen, in Arbeit und Würde brachte.