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Das ewige Virus

Von Julian Marius Plutz

In Zeiten des kommoden Autoritarismus finden Themen jenseits Aerosole, Sperrstunden und Fliege tragende Panikbeamte mit Stasifantasien kaum statt. Wie denn auch, so wird doch an jeder Ecke an die kratischen Maßnahmen erinnert, die den Alltag steuern wie Controller die Spielekonsole. Die Angst vor Sanktionen lässt die Menschen den größten Unsinn machen. So wagten Freunde und ich es unlängst, uns zu sechst in einer Kneipe an den Tisch zu setzen. Wir mussten verrückt gewesen sein, denn ist doch die Anordnung vom Amt auf fünf Leute beschränkt gewesen. Auch Geselligkeit hat die Grenzen des Virus einzuhalten. Und natürlich hält das Personal diesen Wahnsinn ein, klar, wollten sie doch nicht bestraft werden. Mit der Pistole an der Schläfe machen Sie so manchen Unsinn mit. Befehl und Gehorsam ist das nötige Instrument der Ideen- und Inspirationslosen, die nicht überzeugen können, einfach deswegen, weil sie nicht überzeugend sind. Am Ende saß immer einer von uns etwas Abseits wie ein Ausgestoßener, dem man zwar fröhlich entgegen prostete, ihn aber ob des Geräuschpegels kaum verstand. Unglaublich albern. Frei nach der Sendung X-Faktor: Diese Geschichte ist wahr. Die habe ich mir nicht ausgedacht.

Bei all dem Irrsinn kommen andere Themen kaum zur Geltung. Der stete Klos im Hals, der dauernde graue Teppich – das ewige Virus – es überstrahlt alles. Und dass obwohl es auch andere Themen gäbe. So dauert es mehrere Tage, bis der bis der tödliche Anschlag von Dresden auf zwei Homosexuelle eben als ein islamischer Terrorakt bezeichnet wurde. Der Trend, er steht schon seit einiger Zeit entgegen schwuler Opfer. Ob Reading oder Dresden – es geht das Messer um. Jeder Schwule weiß das seit Jahren und es ist auch kein Geheimnis – Achtung Rechte Hetze – dass in ausländisch, konkreter muslimisch geprägten Vierteln – die Gefahr tätlicher Angriffe höher ist, als in der Provinz. Ja. Für Medien, die Hüter und Lenker des Zeitgeistes, bedeutet das allen erdenklichen Aufwand, die Berichterstattung in die politisch korrekte Richtung zu lenken. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Panik regiert die Gazetten

Für den Tod eines Schwarzen in den USA, der mit deutschen Zuständen recht wenig zu tun hat, gab es epische Ausmaße der medialen Empörung. Sonderseiten und Doppelspalten voller detailreicher Beschreibungen und Schuldzuweisungen. Schiefe Analogien sponnen bedeutungsschwangere Redakteure von us-amerikanischen zur deutschen Polizei. Rassismen wurden ohne Rassisten und ohne Opfer erschaffen und gleichzeitig echte Täter zu ständigen Opfern deklariert. Bei anderen Übergriffen spannten die Tugendwächter dagegen ein Band des Schweigens. Es darf nicht sein, dass ein Moslem ein schwulenfeindlicher Täter ist, weil er doch zur auserkorenen Opfergruppe gehört. Ohne schützenswerte Randgruppe ist die Linke kollektivloses Neverland und damit für sich und ihre Anhänger bedeutungslos. Die Arbeiterklasse hat sich selbst und längst emanzipiert. Aus Arbeiterselbsthilfe und Schutz der Schwachen wurde Klientelbefriedungspolitik und Opferpflege. Dass die Arbeiter in Teilen häufiger AfD wählen, als die SPD, spricht zwar nicht für die AfD – vor allem aber spricht es gegen die Sozialdemokratie.

Und die schreibende Garde? Sie geht den Trend mit und befeuert sogar noch die mediale Ausgrenzung. Als ich diese Schieflage in einem Artikel beschrieb, kam die politisch korrekte Reinemachetruppe, das selbsternannte Recherchenetzwerk Correctiv, das für Facebook die auf vermeintliche Fake News Jagd geht und wertete den Text wegen einer Ungenauigkeit als eben Falschnachricht ab. Mit welchen Herzen aus Holz müssen die Correktivisten ausgestattet sein, um Texte mit Themen wie diesen auf eine Unwichtigkeit zu reduzieren? Die Folge der Abwertung ist beträchtlich. Durch die Bewertung wird ein Kommentar weniger bei Facebook gesehen, sprich in der Sichtbarkeit abgestuft. Dieses Konzept hat Methode und hilft dem Zeitgeist gerecht zu werden, indem sie Meldungen, die diesem konträr sind, verschwinden lassen.

Es widert mich an, weil diese Mechanismen immer wieder greifen. Und die Corona Dauerberieselung tut ihr Übriges zur Monothematik bei. Es ist doch auch verständlich: Wenn die Gefahr eines Virus über Monate so dermaßen hochgejazzt wird, dass es über Monaten beinahe täglich die Medien bestimmt, wie will man sich da als „normaler Bürger“ auf Dauer von der Panik fernhalten? Natürlich bestimmt das Thema irgendwann auch die eigene Agenda und andere Themen, die auch wichtig sind, vielleicht sogar relevanter, finden keinen Raum. Der Mensch ist ausgestattet mit einem mentalen Haushalt, mit dem er im wahrsten Sinne haushalten muss. Ist dieser aufgebraucht, ist die Möglichkeit, neue Probleme wahrzunehmen, vertan. Ich verstehe es und es ärgert mich. Denn ein Terroranschlag auf Deutschen Boden ist nichts unwichtiges. Und wenn dann zwei Menschen getötet werden, weil sie die gleiche sexuelle Orientierung haben wie ich, dann ist mir das noch wichtiger, weil es mich noch mehr betrifft. Das hätte ich sein können.

Corona über alles und der REst ist nicht wichtig

Ob der Anschlag in Reading, oder in Dresden, oder der Terrorakt auf einen Lehrer, der es gewagt hatte, die Mohammed Karikaturen im Unterricht zu zeigen und dafür sterben musste. Islamische Terroristen sind weiterhin unter uns. Trotz hoher positiver Testzahlen, was Covid19 angeht, bei keiner erhöhten Übersterblichkeit, letzteres könnten Medien thematisieren und Menschen beruhigen, ist der islamische Faschismus weiterhin existent. Das Schlachten, es geht weiter. Währenddessen will Karl Lauterbach private Haushalte von der Polizei kontrollieren lassen, ob sie die Hygieneregeln einhalten. Wir erleben gerade den unglaublichsten Polizeistaat und die erschreckenste mediale Verzerrung, die ich bis vor kurzen nicht für möglich gehalten habe. Beim Schafkopf sagt man „Ober sticht Unter“. Ein Thema, die Pandemie, überdeckt alles. Die heilige Kuh der politisch Korrekten, niemals Leute unter Generalverdacht zu stellen, gilt nicht in Zeiten von Corona. Denn jeder ist ein potentieller Gefährder, die Pandemie weiter zu forcieren. Selbst die krassesten Antiterrorgesetze sind nichts gegen die Allmachtsfantasien der herrschenden Klasse. Wo sind die Linken, die das kritisieren? Wo sind die Liberalen?

Und so kriegen wir das, was wir offenkundig verdient haben. Ab Montag, den 2. November, gelten noch härtere Gesetze, genannt „Maßnahmen“, die Corona aufhalten sollen. Keine Kultur, kein Theater. Keine Kneipen. Nicht mehr als zwei Haushalte, die sich treffen dürfen. Da haben wir noch gelacht, zu sechst am am Tisch. Nun wird innerhalb der Kneipen gar nicht mehr gelacht. Die Betreiber kämpfen unter verschärften Bedingungen um ihre Lebensgrundlage. Traumschön. Und die Medien? Die haben sich längst auf die Monothematik eingestellt. Andere Themen finden keinen Raum, weil sie nichts zählen. Der Zeitgeist muss bedient werden und der Zeitgeist kennt keine islamischen Terroristen, die Homosexuelle schlachten. Der Zeitgeist ist eine intellektuelle Zumutung, ein emotionales Desaster und eine faktische Einseitigkeit. Corona über alles und der Rest ist nicht wichtig.

Am Ende sind wir zwar nicht an Covid-19 gestorben, begingen aber Selbstmord aus Angst vor der Infektion. Dabei ist die älteste Binse die Tatsache, dass das Leben voll von Risiko ist. Wer den Staat als höhere Entität sieht, als das Individuum selbst, schafft ein Monster, dessen Tentakeln in jede Pore des Lebens reicht. Der Staat braucht Befehl und Gehorsam, nur so kann er sich definieren und nur so ist er erkennbar. Sein Selbstverständnis ist die Ausbreitung von Macht. Dafür kommt die Krise zupass. Themen jenseits Aerosole, Sperrstunden und Fliege tragende Panikbeamte stören da bloß.

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Auf der Suche nach der verlorenen Leichtigkeit

Von Julian Marius Plutz

Irgendwo habe ich die Überschrift „Kann man über Corona lachen?“ gelesen. „Ja, wenn es lustig ist“, hätte ich in alter Hagen-Rether-Manier geantwortet. Hätte. Doch lustig ist gerade gar nicht sehr viel. Trübsal verteilt sich über die Menschen. Ganz ohne Massenaufläufe, denn die sind ja untersagt. Und so scheint es, als würde sich die Traurigkeit in den Aerosolen verstecken und sich im Wortsinn pandemisch verbreiten. Blätter werden zu Laub und Gewissheiten zu wohltemperierten Grausamkeiten.

Die Leichtigkeit des Lebens sagte schon vor Monaten „Adieu!“. Und auch die Launigkeit meines Schreibens findet kaum mehr seinen Raum. Ja. So verfasste ich noch in der Unwirklichkeit des Lockdown im Frühjahr mein Corona Tagebuch mit mehreren Episoden, das vor allem eines sein sollte: Fröhlich. Während weiland der Deutschlandfunk in Gestalt eines Dauergrabredners im 30 Minutentakt Leichen- und Infektionszahlen vortrug, wollte ich eben diese Leichtigkeit des Seins wiederhaben. Und eine Zeit lang gelang mir das sogar. Doch nun ist sie weg, wie das Bernsteinzimmer. Unauffindbar. Und ich bin mit dem Virus der Bedenken und der Unsicherheit infiziert.

Um mich richtig zu verstehen: Eine Corona-Infektion kann eine schwere, tödliche Krankheit auslösen. Doch das ist nicht die Angst, die ich meine. Ich bin 33, wahrscheinlich etwas zu fett. Doch ich würde eine Erkrankung überleben, wenn ich eine Ansteckung überhaupt bemerkte. Menschen jedoch, die der inzwischen recht geklärten Risikogruppe angehören, leben in diesen Zeiten gefährlich. Sie sollte man und sie sollten sich besonders schützen. Vielleicht sogar noch mehr, als es gerade der Fall ist. Wenn es von der Person gewünscht ist. Freilich nur dann. Vielleicht nimmt der alte Mann mit vielen Vorerkrankungen in Kauf, mit COVID-19 infiziert zu werden, um seinen Enkel, oder Sohn in den Arm zu nehmen. Und vielleicht nicht, aber das sollte zur freien Entscheidung des Individuums gehören. Wer sind wir, diese höchst intimen Angelegenheiten verurteilen zu wollen? „Wie, Opa geht zu seiner Tochter?! Wie kann er es wagen!“

Ich habe Bedenken. Und wahrscheinlich auch Angst. Angst, dass der Staat mein Leben mehr und weiter dirigiert. Denn der Staat ist ein grauenhafter Musiker. Er kennt nicht sein Orchester und er weiß auch nichts über Symphonien. Das einzige, was er hervorragend beherrscht, ist der Taktstock des Zwanges. Maßnahmen in entsprechenden Maßnahmenkatalogen anzuordnen und mit Hilfe der Polizei zu vollstrecken. Doch es handelt sich hierbei nicht um die bunten Kataloge von Otto oder Quelle, die die Freiwilligkeit von Konsumentscheidungen angepriesen hatten. Die Kataloge der Coronamaßnahmen des Staates sind nicht illustriert. Sie sind entsättigt wie die Gelben Seiten. Kein Mensch würde sich daraus ein Produkt auswählen, es sei denn, der Staat zwingt ihn dazu.

Ich gehöre zu den Leuten, die weitaus mehr Bedenken haben vor den Auswirkungen der Corona Maßnahmen, als vor dem Virus selbst. Ja. Es wird einfach nicht mehr nachgedacht. Bücken vor der Autorität ersetzt den Verstand, dessen Kerosin doch immer der Zweifel war. Ohne stetes Hinterfragen entartet eine jede Gesellschaft in eine Zusammenkunft von Lemmingen. Und Gründe, die Maßnahmen zu hinterfragen, finden sich mehr, als in diese Zeilen passen könnten.

Hier in Nürnberg gibt es in der Innenstadt, egal wie viel oder wenig belebt diese sei, eine Maskenpflicht. Wenn eine erfundene Ampel auf eine unliebsame Farbe schaltet, wird der Gesslerhut zum verpflichteten Accessoires. Von nun an gibt es in Bayern eine vierte Stufe. Dunkelrot. Kommt danach „blutrot“ oder doch gleich schwarz? Landstriche abzuschotten gilt nicht mehr als eine spinnerte Idee von wenigen Autoritaristen. Sie wird diskutiert, die Gefahr der Umsetzung ist real. Im Land der ehemaligen zwei Deutschlands geht das Gespenst der Reisebeschränkungen um. Diese Geschichte ist wahr, die habe ich mir nicht ausgedacht.

Aus Angst, dass die Zugbrücken nach oben geklappt werden, agieren die Leute panisch. Jetzt noch schnell die Lieben, die etwas weiter entfernt sind, zu besuchen. Ich nehm‘ mich da nicht aus. Ich werde bald nach Köln fahren, um meinen besten Freund sehen zu können. Keine Ahnung, wann die Ampel umspringt. Hoffentlich nicht, wenn ich gerade in der Rheinmetropole weile. Der Druck, er steigt. Politiker, die endlich Ihre Allmachtsfantasien ausleben können, werden zu potentiellen Kanzlern. Klischees von heut‘ waren früher Utopien.Und der Zweifel? Nur eine Lächerlichkeit von Coviditioten, die man in alle dreckigen Ecken, am liebsten die „rechte Ecke“ stellen kann. Mit der Anklageschrift folgt das Urteil. Sag „Adieu“ zur Gesellschaft und zu dem einen oder anderen guten Freund. Und sag „Grüß Gott“ zur zu Tode hygienisierten Umma der Maßnahmengläubigen.

Man kann nicht wirklich über Corona und deren vielen schlimmen Maßnahmen, lachen. Ich habe keinen flotten, nicht mal einen deplatzierten Spruch auf Lager, was für mich ungewöhnlich ist. Aber ein bisschen Ausblick der Hoffnung auf Altes und Neues bietet meine Reise nach Köln. Vielleicht ist das auch etwas für Andere, um die verloren gegangene Leichtigkeit des Seins wieder zu finden. Ich hoffe es. Denn wie der Abschied ist auch Hoffnung ein scharfes Schwert.

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Wie ich achgut.com schätzen lernte und dabei plötzlich nicht mehr links war

Von Julian Marius Plutz

Vermutlich gehöre ich zu den Lesern der ersten Stunde von Achgut.com. Doch nicht etwa als Fan, nein nein. 2004 gründete sich der Autorenblog und 2004 war ich 17 Jahre alt. Jung, dynamisch und – selbstredend – links. In dem Jahr trat ich in die PDS ein und rief solid, die sozialistische Jugend in Würzburg ins Leben. Ich war sicherlich nicht so links wie Erich Fried, auch wenn ich mich – hoffnungslos überschätzend – als Dichter sah, indem ich wie er Zeilen schrieb, die sich nicht immer reimten und sich nur sich durch Zeilenbrüchen von einem Fließtext unterschieden. Ein wenig wie Günter Grass, der mir den ersten, unverhofften Beitrag auf der Achse bescherte. Doch dazu später mehr. Ich hätte mir 2004 nie träumen lassen und ich hätte es auch nicht gewollt, einer der Autoren auf achgut.com zu sein.

In der Zeit war ich Moderator des damals größten HipHop Forums in Deutschland. Dort gab es einen Nutzer, der sich rickjames nannte und regelmäßig die Achse in Diskussionen verlinkte, was mich wiederum regelmäßig in den Wahnsinn trieb. Gerade die Texte von Henryk Broder erzielten ihren Zweck, denn man konnte die Uhr danach stellen, dass ich mich ob der schallenden Polemik empörte. Doch etwas blieb hängen. Und das war die Leichtigkeit des Spottes. Ja. Immer wieder erwischte ich mich beim Schmunzeln, als Broder ein mir liebes Thema als lächerliche Posse dechiffrierte. Und ab und zu hatte er auch recht. Je älter ich wurde, desto öfter war dies der Fall. Wahrscheinlich war es der Humor, der mir den Zugang zur anderen Meinung erleichterte.

Opfer des Zeitgeists?

Und so war ich bis 2008 Mitglied der inzwischen mehrfach umbenannten SED, DIE LINKE. Dass ich vier Jahre lang Teil der Partei war, die Maueropfer und multiple Unterdrückung zu verantworten hat, muss ich mit mir ausmachen. Ich kann heute sagen, dass ich es besser weiß. Der stalinistische Geist dieser Vereinigung wurde mir spätestens dann klar, als ich eine harmlose Anfrage an die Bundespartei stellte. Ich las damals auf achgut, dass Milliarden an altes SED Vermögen verschollen sei. In meiner jugendlichen Naivität schrieb ich an DIE LINKE in Berlin, ob sie mir sagen könne, wo denn das Geld sei.

Statt einer Antwort erhielt ich wenige Tage später einen Anruf des Kreisvorsitzenden. Es könne nicht sein, dass ich solche Fragen einfach der Bundespartei stellte. Ich sollte das doch in Zukunft lassen. Schon komisch: Offensichtlich delegierte der Berliner Apparatschik die Schelte zum Würzburger Apparatschik, der dem Befehl von oben auch formvollendet nachkam. Traumschöner Autoritarismus. Somit etwa hatte man wohl auch den Laden jenseits der Mauer zusammengehalten.

2008 hatte die spuckgewordene Mitgliedschaft in dieser Partei ein Ende. Was blieb, was die Achse des Guten und eine gehörte Portion Zweifel. Wenn ich ehrlich bin, war ich nie Kritiker des Kapitalismus. Und eigentlich empfand ich die Hartz Reformen als gerechtfertigte Maßnahme für ein System, das bislang steuerfinanzierte Bequemlichkeit evozierte. War ich vielleicht nie links, sondern lediglich ein Opfer des Zeitgeists? Naja.

Die Leichtigkeit des Unideologischen

2004 war auch die Zeit, als ich in der 11. Klasse war. Dort gab es den Markus. Markus war so konservativ, wie eine Tanne immergrün ist. Mit 18 Jahren bereits ausgestattet mit einem fertigen, wenig charmanten, aber um so geklärten Weltbild. Mitglied der Jungen Union und der CSU. Und ich Mitglied der PDS und solid. Wir haben uns gestritten und dabei angefreundet. Der Zeitgeist war nicht links, er war auch nicht rechts. Der Zeitgeist schmeckte nach Dosenbier, hörte Punkmusik und liebte das Verliebtsein. Die Leichtigkeit des Unidologischen gab uns ein Gefühl der Freiheit.

Ich erinnere mich an lebhafte Diskussionen voller Respekt und auf Augenhöhe. Der Schiedsrichter war nicht selten unser Sozialkundelehrer, der uns streiten ließ und nicht ein einziges Mal seine politische Meinung zum besten gab. Weil sie dort auch nichts verloren gehabt hätte.

Ich habe den Eindruck und die Erzählungen von heutigen Schülern bestätigen das, dass diese Neutralität nicht immer bei den Lehrern angekommen ist. In den Fächern wie Geschichte, Sozialkunde, aber auch Geographie besteht die Gefahr eines ideologisierten Unterrichts. Wir hatten damals „Rede: Gegenrede“ und einen unparteiischen Lehrer. Und nach der Diskussion ging es zum Bolzen, Abends in die Eisdiele und am Wochenende zum Feiern in die nächste Stadt.

Achgut war immer ein Teil meines privaten Lesezirkels. Als 2012 Günther Grass mit letzter Tinte sagen musste, was er an sich gar nicht sagte, sondern für die Süddeutsche aufschrieb, fühlte ich mich als verkannter Dichter im Stolz gekränkt und antwortete mit was keiner sagen muss.Jetzt stand ich auf der Achse und wusste gar nicht so recht, warum. Es sollte dann noch acht Jahre dauern, bis der erste ernst zunehmende Beitrag dort erschien.

Anker im Gleichstrom des Mainstreams

Achgut ist heute mehr denn je ein ernst zunehmendes Medium, das jenseits des politischen Stroms agiert. Der Blog ist die Definition von „bockbeinig“. Und er ist völlig frei von redaktionellen Zwängen und Marschrichtungen, die in den Chefetagen vorgegeben werden. Ein große Vorteil der Achse sind die Autoren, die nicht unbedingt aus den Riegen der Journaille stammen. So schreibt ein jeder über das, wovon er am meisten Ahnung hat: Von seinem Fachgebiet. Sei es der Atomphyiker, der Immunologe , der Jurist oder der geschasste Gagschreiber von Jan Böhmermann. Wenn es für die „Schwarmintelligenz“ eine Herberge gibt, dann ist das auf den Seiten der Achse.

Das scheint nicht jedem zu gefallen. Als ich vor gut zwei Jahren einen außerordentlich formidablen Burger in einem linken Etablissement zu mir nahm, wurde ich doch tatsächlich von einer Person beobachtet, wie ich auf meinem IPad auf achgut einen Beitrag las. Die Person ließ es sich nicht nehmen, mich darauf anzusprechen, wie „rechts“ doch die Seite sei. Traumschön.

Die Fremdbezeichnung „rechts“ wundert insofern, als dass die Achse eben nicht als autoritär definiert. Viel mehr gestaltet sich das Selbstverständnis anarchistisch und freiheitlich; vielleicht trifft der Begriff neokonservativ im US-amerikanischen Sinn am ehesten. Denn wie bei der Bewegung in den Staaten, sind nicht wenige Autoren ehemalige Linke, die sich irgendwann vom Korsett der Ideologie lossagten und mehr Fragen stellten, als sie Antworten parat hatten.

So in etwa sehe ich mich auch. Für die unangepassten und unbequemen Meinungen bietet der Autorenblog Raum. Der Erfolg ist da, die Anerkennung, auch jenseits des eigenen Milieus, gibt den Machern und Mitmachern recht. Möge das noch lange so bleiben. Achgut war nicht Endpunkt meiner politischen Emanzipation, sondern ist eher Anker im Gleichstrom des Mainstreams. Und während sich die einen im Fahrwasser der ideologischen Gewissheit bewegen, geht die Achse den unangenehmen Weg des Zweifelns. Denn der muss nicht einsam machen , im Gegenteil. Der Zweifel kann auch immer verbinden.

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Der Streik der Verantwortungslosen

Von Julian Marius Plutz.

Eines der bekanntesten Floskeln in Deutschlands Politikdiskussionen ist die Moralformel „gesellschaftliche Verantwortung“. Um in Hayeks Geiste zu denken: Es handelt sich hier um eine Wieselfloskel. Sie sagt nix aus ist und ist nix wert, wabert aber bedeutungsschwanger durch die Talkshows. Wir alle haben sie, diese gesellschaftliche Verantwortung. Vor allem aber haben sie die Anderen.

Am 8. Oktober wurde in Nürnberg der öffentliche Nahverkehr bestreikt. Die Mittelfranken suchten nach der richtigen Verkehrsverbindung, fanden jedoch nur leere Straßenbahnwagons. Im Gegensatz zum Warnstreik in der Woche zuvor gab es keinen Ersatzverkehr. Die Begründung des Nürnberger Verkehrsbetriebe entpuppte sich als Unverschämtheit. Da man, so die Verantwortlichen bei der letzten Arbeitsniederlegung keinen reibungslosen Ersatzverkehr anbieten konnte, verzichtete man nun in Gänze darauf. Wow. Weil der Chirurg bei der letzten Operation das Bein nicht retten konnte, muss der Patient nun bei der zweiten Operation leider verbluten. Schade.

Ich stand nun vor der Herausforderung, in etwa 100 Mitarbeiter von denen wenigstens 60 auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, zu ihren Arbeitsstätten zu bringen. Was am Tag vor dem Streik nach 12 Stunden Koordination von Schichtplänen und Fahrdienste begann, endete am Tag der Arbeitsniederlegung ebenfalls nach rund 12 Stunden. Anerkennung durch Lob kam von vielen: Vorgesetzte, Kollegen, vor allem aber erleichterte Kunden meldeten sich bei uns. Gerade für das Kundenunternehmen bedeutet weniger Mitarbeiter das Einstellen mindestens einer Produktionslinie. Kurz gesagt: Der Betrieb verliert pro Stunde bares Geld.

Wann streikt die Lohnbuchhaltung des ÖPNV?

Bei all der Zufriedenheit bleiben Mehrsausgaben für Taxis und Fahrdienste, die den Ausfall der öffentlichen Verkehrsmittel kompensierten. Hier bewegen wir uns im vierstelligen Bereich, was kaum wundert, wenn man weiß, wie sich die wackeren Fahrer durch die völlig überlastenden Straßen von Nürnberg zwängen mussten. Auch denen gilt das aufrechte Lob. Und doch wirkt es die Frage des „Warum’s“ auf. Warum müssen die Verkehrsbetriebe in Gottes Namen streiken?

Als Wahlnürnberger habe ich darauf eine simple Antwort: Sie haben es schon immer gemacht. Wenigstens alle zwei Jahre stehen die U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen still. Was für den Einzelnen ein Ärgernis darstellt, ist für die Gesellschaft ein Politikum. Denn Kapitalgeber sind, wenn man genau hinsieht, wir alle. Ja. Wir alle finanzieren zu beträchtlichen Ausmaßen den öffentlichen Nahverkehr. Mehr als Fünf Milliarden Euro subventioniert der Staat den ÖPNV. Geld, wofür Leute bei Bolta, Leoni oder Ruag am Band stehen.

Für die sogenannten Verkehrswende, so werden die Verkehrsbewegten argumentieren, braucht man doch einen funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr mit motivierten und wohl bezahlten Mitarbeiter. Vielleicht. Hier wäre mir jedoch eine Intelligenzwende lieb, eine hin zu mehr Schläue und Weitsicht. Denn meine Mitarbeiter können es wenden, wie sie wollen – sie kommen erst gar nicht zu ihrer Arbeitsstätte. Die Verkehrsaktivisten würden dann argumentieren, dass man an solchen Tagen sehe, wie wichtig die Arbeit Trambahnfahrer sei.

An der Logik kann etwas dran sein, wenn man ein empathieloser Klappspaten ist. Natürlich ist es wichtig, dass der Bus oder die U-Bahn mich zur Arbeit fährt. Was für eine banale Erkenntnis soll das sein? Muss ich erst ins Gefängnis, damit ich weiß, dass Knast irgendwie doof ist? Oder Waterbording mitmachen, um zu wissen, dass Waterbording Schmerzen und Panik verursacht? Nein, ein paar Dinge versteht man, wenn man sich in andere hineinversetzt.

Vielleicht sollte einmal die Verteilungbeamte streiken, wenn sie die 5 Milliarden Euro Steuergeld den Öffentlichen Verkehrsbetrieben zukommen lassen wollen. Oder ihre Lohnbuchhaltung? Dann sehen die Herr- und Frauschaften, wie elementar diese Arbeit ist.

Ist es von Leuten zu viel verlangt, die keinerlei Wirtschaftlichkeit in ihrem Berufe unterworfen sind, wirtschaftliches Denken zu erwarten? Es ist nun mal etwas anderes, wenn die IG Metal ein Unternehmen wie die Firma „Leoni“ bestreikt. Denn zum einen evoziert eine Arbeitsniederlegung keine echten systemischen Probleme, wie das Lahmlegen einer ganzen Stadt. Zum anderen ist „die Leoni“ ein privates Unternehmen mit privaten Kapitalgebern. Heißt: Die Shareholder stehen in der Verantwortung der eingesetzten oder geliehenen Monetären Mittel. Im Falle öffentlicher, also staatlicher Unternehmungen ist der Steuerzahler Kapitalgeber und implizit auch Eigentümer.

Im Fall der Staatsbetriebe klafft die Lücke von Kapitalgeber, also Steuerzahler, und Entscheider, Beamtenmanager, die von Politiker eingesetzt werden, besonders weit auseinander. Sie entscheiden über Dinge, wofür sie keine Verantwortung tragen. Sie sind eben nicht Skin in the Game. Die Kapitalgeber können keine Konsequenzen fordern, wenn der Beamtenmanager schlechte Arbeit leisten.

Die Zeche zahlt der Steuerzahler

Wenn ein privates Unternehmen streikt, dann betrifft monetäre Angelegenheiten privater Personen. Wenn der ÖPNV streikt und Verdi mehr Geld für die Mitarbeiter verlangt, dann möchte er vor allem mehr Geld von Steuerzahlern. Denn mit Ticketpreisen und Abos finanzieren sich diese Unternehmen lange nicht. Die Entscheider wissen, dass der Staat im Zweifel einspringt. Denn eine günstige, da nicht kostendeckende Infrastruktur erweist sich als glänzendes Projekt eines Politikers, mit dem er für die Wiederwahl wirbt. Dass in Wahrheit der Steuerzahler die Schmier für den Erfolg des Politikers bereitstellt, ist beschämend.

Richtig absurd werden die Forderung von Verdi jedoch, wenn man die zeitliche Dimension betrachtet. Trotz Versuche des Beschwichtigens lösten die Lockdown Maßnahmen eine der größten Wirtschaftskrisen aus, vor dessen Anfang wir gerade stehen. Was mit einer ökonomischen Depression stets einher geht, sind geringere Steuereinnahmen. Auch Kommunen, die häufig den ÖPNV entscheidend finanzieren, fehlt es an Geld. Und wenn man dann noch weiß, dass aufgrund des Lockdowns die Ticketverkäufe dramatisch sanken, vereinzelnd sogar um 100% dann kann man über die Forderungen der Gewerkschaft nur lachen, wäre es nicht so ein ernstes Thema.

Geld wächst, vulgärkeynsianischer Versuche zum Trotz, nicht auf Bäumen. Und während unsere Mitarbeiter dem Streik zu großer Zahl ignorierten; mit ihrer Arbeitskraft eben diejenigen möglich machten, die sich dank Arbeitsniederlegung einen schönen Tag machten, höre ich die neuen Infektionszahlen im Radio. Rekordanstieg der Covid-19 Invizierten bei marginaler Mortalität. Wenn ein weiterer Lockdown verhängt wird, was zu befürchten ist, wird der ÖPNV noch weniger genutzt werden. Die Einnahmen der Verkehrsbetriebe werden weiter sinken, ebenso wie die Steuereinnahmen, die den ganzen Spaß finanzieren.

Doch verdi wird weiter und wieder streiken. Schon bald wird es weitergehen. Das lassen sich die Geoßkopferten Gewerkschaftsgremien nicht nehmen. Anerkennung durch Lob haben die Funktionäre, aber auch die teilnehmenden Mitarbeiter nicht verdient. Sie machen es sich bequem und lassen andere für sie arbeiten. Traumschön. Und zum Abend hören wir die Reden von den Roten und den Gewerkschaftern über die „gesellschaftliche Verantwortung“ von der sie doch, wenn man sie beim Wort nimmt, meilenweit entfernt sind.

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Das Hygienekonzept der politisch korrekten Sprache

Von Julian Marius Plutz.

Zum Sonntag gehe ich gerne mal wohin. Ja. In eine Ausstellung, oder auch mal, vor allem vor Corona, in ein klassisches Konzert. Wussten Sie, dass die Medizinstudenten, wie zum Beispiel die in Würzburg, ein eigenes Orchester haben, das nur aus angehenden Mediziner besteht? Wie auch immer, mit genau der Mission, „mal wohin zu gehen“ machte ich mich auf den Weg. Ziel: Das Neue Museum in Nürnberg. Jawoll.

Und noch ehe ich die Frage beantworten konnte, wo denn das „Alte“ Museum sei, stand ich vor dem Eingang. Darüber hing eine digitale Anzeigetafel, die in einer kaum erträglichen Langsamkeit das Programm vortrug, in dem Buchstabe für Buchstabe eingetippt wurde. Also, die Lettern tippte natürlich nicht wirklich jemand gerade ein, hoffe ich zumindest. Es ist eben eine Simulation, ein Programm.

Natürlich habe ich vor lauter Ungeduld nicht erfasst, worum es in der Ausstellung gehen soll. Irgendwas mit „Neuland“ und „noch nie da gewesenes“. Ach, was. Und ich dachte, sie zeigen den alten Kram aus dem Alten Museum. Egal, spätestens beim Duzen verging mir die Laune. Kennen wir uns, Herr oder Frau Anzeigetafeltipper? Haben wir uns auf das „Du“ geeinigt? „Lass dich überraschen!“ und davor ein „ 🙂 “ antwortete wie bestellt der Bildschirm. Sodann drehte ich mich um und ging zum Einkehren in Richtung „Dunkin Donuts“. Nicht mit mir.

Jeder ist ein „Du“

Dieses stete Duzen mag ja wahnsinnig hip und modern sein. Es geht mir aber auf den Geist! Halten Sie mich für konservativ und verspießt, jaja, geschenkt und meinetwegen. Beide Zuschreibungen sind sicher nicht ganz falsch. Aber andererseits: Was hat das Museum denn davon, in eine Kindersprache mit „Zwinker“-hier und „Du“-da, zu verfallen, die dem Deutschen schlicht nicht gerecht wird? Die Höflichkeitsform ist, wie sie sich selbst beschreibt: „Höflich“. Ja. Sie ist bescheiden, lässt das „ich“ des Redner zurücknehmen und schafft eine angenehme Distanz zwischen Sender und Empfänger. Man kann natürlich als distanzloser Hanswurst durch das Land ziehen und alles und jeden duzen, als hätte man nicht mehr alle Latten am Zaun. Dann aber bitte nicht wundern, wenn der eine oder andere sich dem Gespräch entzieht.

Das zunehmende „Duzen“ steht nur auf den ersten Blick entgegen dem Trend der politischen Korrektheit. Scheinbar brechen die Protagonisten die implizite Verabredung zweier unbekannter Menschen auf, die sich selbstverständlich „siezen“. Eigentlich steht das inflationäre „Du“ für einen weiteren Baustein für eine politisch sterile Sprache. Mit dem Abschied der Höflichkeitsform und dem steten Verwenden eben des „Du“ reihen sich die Gesprächspartner ein in eine allgemeine Gleichheit. Jeder ist ein „Du“. Alle kennen sich gleich gut. Doch wenn sich jeder gleich kennt, kennt sich niemand überhaupt. Und die Social Justice Warriors jubeln. Heureka!

Der wunderbare Robert Pfaller beschreibt in seinem Buch Erwachsenensprache das offenkundige Problem, dass eben diese Erwachsenensprache verschwindet. Recht hat er, der Österreicher. Ob es in Salzburg auch so zu geht, wie bei uns?

„Mit Wumms“ in die sprachliche Verblödung

Christian Lindner nennt sich CL, als wäre er ein Fußballstar und lässt sich entsättigt im Unterhemd abblitzen, als sei er 16 Jahre alt. Mit grauenhaft schlechten Herrenwitzen ausgestattet, schafft es CL zu suggerieren, er sei seit Jahren in der Pupertät stecken geblieben. Dieser Infantilismus hat nicht nur Struktur, wie sein Wahlkampf 2017 zeigte, er hat auch Methode. Und es ist vor allem eines: Nicht erwachsen.

Den sprichwörtlichen Vogel schoss jedoch die Familienministerin ab. Mit ihrem „Guten KiTa Gesetz“, Gott sei Dank, es ist kein schlechtes Gesetz, zeigt Frau Giffey, dass sie das Volk für ganz besonders doof hält. In ihrer ohnehin schon grenzwertigen, frühpädagogischen Art, erklärt sie uns Kinderlein, wie schön doch das gute KiTa Gesetz wird. Mit ihrer Babysprache. Immerhin etwas pännaler, dafür nicht weniger geistig limitiert, kommt der Finanzminister daher, der Kanzler werden mag. „Mit Wumms“ soll es aus der Krise gehen. Und „ mit Wumms“ geht es in die sprachliche Verblödung. Olaf Scholz sieht zwar so aus und er ist es auf dem Papier. Erwachsen aber spricht der Hamburger jedoch bei Leibe nicht.

Und so ist es auch kaum überraschend, dass der gute Robert Pfaller den Appell für freie Debattenräume unterzeichnete. Und das, obwohl er sich als „marxistisch-proletarischer Romantiker“ sieht. Ok, ich habe ehrlich gesagt keinen Schimmer, was das sein soll. Sicher ist: Er ist irgendwie ziemlich weit links. Macht ja nix. Um so bemerkenswerter, dass der Pfaller den Zeitgeist der Cancel Culture erkennt. Denn diese enthält auch eine sprachliche Dimension, wenn sie nicht die entscheidende Dimension ist.

Es gibt keine „Geflüchtete“ – aber es gibt „Vertriebene“

Wenn die Erwachsenensprache verschwindet, haben die Canceler so gut wie gewonnen. Vor mehr als zehn Jahren machten wir uns über die Formulierung „Menschen mit Migrationshintergrund“ lustig. Was für ein deutsches Wortmonster! Heute kann ich kaum mehr über Menschen mit internationaler Geschichte lachen, das die aktuelle politisch korrekte Bezeichnung ist. Denn offensichtlich ist „Migration“ ist ein böses Wort und „Hintergrund“ ohnehin. Der eine oder andere „internationale Mensch“ könnte sich da beleidigt fühlen. Ich sehe förmlich die Tränen meines Kumpels Schambel kullern, wenn ich ihm erkläre, er sei Ausländer. Denn er ist einer, ein waschechter und einer mit internationaler Geschichte obendrein.

Wo waren Sie, als die Befindlichkeit triumphierte? Ich weiß nicht mal, wo ich war. Vielleicht ärgerte ich mich über einen „Duzer“. Oder ich schrieb, oder ich las. Vielleicht schlief ich auch gerade oder kehrte irgendwo ein. Wie auch immer: Wann siegten persönliche Empfindungen über rationale Argumenten? Und wo waren die rationalen Menschen, die den Befindlichkeitsterroristen sagten:

„Nein, das Wort „Geflüchtete“ gibt es nicht. Wir im Deutschen haben dafür ein eigenes Wort: „Vertriebene.“ Findet in Äthiopien, oder in Serbien gerade Vertreibung statt? Nein? Dann sind es auch keine Vertriebene, dann sind es Migranten. Oder wie ihr sagt: Menschen mit internationaler Geschichte“.

Die Endlösung der sprachlichen Inklusion

„Die Mutter der Dummen ist immer schwanger“ hat der Erwin Pelzig einmal gesagt, als Reinhold Messner in seiner Sendung arg gescheit daherredete. Und das stimmt. Beim Versuch, eine Sprachhygiene herzustellen, die niemanden mehr weh tut, erstellen die Ewigguten ein Kunstsprech, das nicht nur ihre Leserlichkeit verliert, sondern auch ihre semantische Klarheit. Wenn aus „Volk“ „Menschen, die schon lange hier leben“ wird, dann ist das nicht nur unsäglich infantil und selbstverleugnend. Es ist auch einfach falsch. Das Hygienekonzept der politisch korrekten Sprache sieht vor, niemanden zu verletzen und auszugrenzen und damit jeden, wirklich direkt anzusprechen. Sie hat die Endlösung der sprachlichen Inklusion zum Ziel. Am Ende meint sie gar nix und verkommt zu einer inhaltlich ausgehöhlten und ästhetiklosen Sprache. Wolf Schneider, bitte übernehmen Sie!

Im „Dunkin Donuts“ hat mich die Bedienung dann auch geduzt. Gut, immerhin bin ich dort seit fünf Jahren Stammgast. Als dann aber jemand fragte: „Ist dein Platz noch frei?“ verkniff ich mir den Hinweis auf die Höflichkeitsform. Stattdessen verwies ich auf eine andere Art von Hygiene. „Abstandhalten“, sagte ich und wendete mich wieder meinem IPad zu.