Von Julian Marius Plutz.
Eines der bekanntesten Floskeln in Deutschlands Politikdiskussionen ist die Moralformel „gesellschaftliche Verantwortung“. Um in Hayeks Geiste zu denken: Es handelt sich hier um eine Wieselfloskel. Sie sagt nix aus ist und ist nix wert, wabert aber bedeutungsschwanger durch die Talkshows. Wir alle haben sie, diese gesellschaftliche Verantwortung. Vor allem aber haben sie die Anderen.
Am 8. Oktober wurde in Nürnberg der öffentliche Nahverkehr bestreikt. Die Mittelfranken suchten nach der richtigen Verkehrsverbindung, fanden jedoch nur leere Straßenbahnwagons. Im Gegensatz zum Warnstreik in der Woche zuvor gab es keinen Ersatzverkehr. Die Begründung des Nürnberger Verkehrsbetriebe entpuppte sich als Unverschämtheit. Da man, so die Verantwortlichen bei der letzten Arbeitsniederlegung keinen reibungslosen Ersatzverkehr anbieten konnte, verzichtete man nun in Gänze darauf. Wow. Weil der Chirurg bei der letzten Operation das Bein nicht retten konnte, muss der Patient nun bei der zweiten Operation leider verbluten. Schade.
Ich stand nun vor der Herausforderung, in etwa 100 Mitarbeiter von denen wenigstens 60 auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, zu ihren Arbeitsstätten zu bringen. Was am Tag vor dem Streik nach 12 Stunden Koordination von Schichtplänen und Fahrdienste begann, endete am Tag der Arbeitsniederlegung ebenfalls nach rund 12 Stunden. Anerkennung durch Lob kam von vielen: Vorgesetzte, Kollegen, vor allem aber erleichterte Kunden meldeten sich bei uns. Gerade für das Kundenunternehmen bedeutet weniger Mitarbeiter das Einstellen mindestens einer Produktionslinie. Kurz gesagt: Der Betrieb verliert pro Stunde bares Geld.
Wann streikt die Lohnbuchhaltung des ÖPNV?
Bei all der Zufriedenheit bleiben Mehrsausgaben für Taxis und Fahrdienste, die den Ausfall der öffentlichen Verkehrsmittel kompensierten. Hier bewegen wir uns im vierstelligen Bereich, was kaum wundert, wenn man weiß, wie sich die wackeren Fahrer durch die völlig überlastenden Straßen von Nürnberg zwängen mussten. Auch denen gilt das aufrechte Lob. Und doch wirkt es die Frage des „Warum’s“ auf. Warum müssen die Verkehrsbetriebe in Gottes Namen streiken?
Als Wahlnürnberger habe ich darauf eine simple Antwort: Sie haben es schon immer gemacht. Wenigstens alle zwei Jahre stehen die U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen still. Was für den Einzelnen ein Ärgernis darstellt, ist für die Gesellschaft ein Politikum. Denn Kapitalgeber sind, wenn man genau hinsieht, wir alle. Ja. Wir alle finanzieren zu beträchtlichen Ausmaßen den öffentlichen Nahverkehr. Mehr als Fünf Milliarden Euro subventioniert der Staat den ÖPNV. Geld, wofür Leute bei Bolta, Leoni oder Ruag am Band stehen.
Für die sogenannten Verkehrswende, so werden die Verkehrsbewegten argumentieren, braucht man doch einen funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr mit motivierten und wohl bezahlten Mitarbeiter. Vielleicht. Hier wäre mir jedoch eine Intelligenzwende lieb, eine hin zu mehr Schläue und Weitsicht. Denn meine Mitarbeiter können es wenden, wie sie wollen – sie kommen erst gar nicht zu ihrer Arbeitsstätte. Die Verkehrsaktivisten würden dann argumentieren, dass man an solchen Tagen sehe, wie wichtig die Arbeit Trambahnfahrer sei.
An der Logik kann etwas dran sein, wenn man ein empathieloser Klappspaten ist. Natürlich ist es wichtig, dass der Bus oder die U-Bahn mich zur Arbeit fährt. Was für eine banale Erkenntnis soll das sein? Muss ich erst ins Gefängnis, damit ich weiß, dass Knast irgendwie doof ist? Oder Waterbording mitmachen, um zu wissen, dass Waterbording Schmerzen und Panik verursacht? Nein, ein paar Dinge versteht man, wenn man sich in andere hineinversetzt.
Vielleicht sollte einmal die Verteilungbeamte streiken, wenn sie die 5 Milliarden Euro Steuergeld den Öffentlichen Verkehrsbetrieben zukommen lassen wollen. Oder ihre Lohnbuchhaltung? Dann sehen die Herr- und Frauschaften, wie elementar diese Arbeit ist.
Ist es von Leuten zu viel verlangt, die keinerlei Wirtschaftlichkeit in ihrem Berufe unterworfen sind, wirtschaftliches Denken zu erwarten? Es ist nun mal etwas anderes, wenn die IG Metal ein Unternehmen wie die Firma „Leoni“ bestreikt. Denn zum einen evoziert eine Arbeitsniederlegung keine echten systemischen Probleme, wie das Lahmlegen einer ganzen Stadt. Zum anderen ist „die Leoni“ ein privates Unternehmen mit privaten Kapitalgebern. Heißt: Die Shareholder stehen in der Verantwortung der eingesetzten oder geliehenen Monetären Mittel. Im Falle öffentlicher, also staatlicher Unternehmungen ist der Steuerzahler Kapitalgeber und implizit auch Eigentümer.
Im Fall der Staatsbetriebe klafft die Lücke von Kapitalgeber, also Steuerzahler, und Entscheider, Beamtenmanager, die von Politiker eingesetzt werden, besonders weit auseinander. Sie entscheiden über Dinge, wofür sie keine Verantwortung tragen. Sie sind eben nicht Skin in the Game. Die Kapitalgeber können keine Konsequenzen fordern, wenn der Beamtenmanager schlechte Arbeit leisten.
Die Zeche zahlt der Steuerzahler
Wenn ein privates Unternehmen streikt, dann betrifft monetäre Angelegenheiten privater Personen. Wenn der ÖPNV streikt und Verdi mehr Geld für die Mitarbeiter verlangt, dann möchte er vor allem mehr Geld von Steuerzahlern. Denn mit Ticketpreisen und Abos finanzieren sich diese Unternehmen lange nicht. Die Entscheider wissen, dass der Staat im Zweifel einspringt. Denn eine günstige, da nicht kostendeckende Infrastruktur erweist sich als glänzendes Projekt eines Politikers, mit dem er für die Wiederwahl wirbt. Dass in Wahrheit der Steuerzahler die Schmier für den Erfolg des Politikers bereitstellt, ist beschämend.
Richtig absurd werden die Forderung von Verdi jedoch, wenn man die zeitliche Dimension betrachtet. Trotz Versuche des Beschwichtigens lösten die Lockdown Maßnahmen eine der größten Wirtschaftskrisen aus, vor dessen Anfang wir gerade stehen. Was mit einer ökonomischen Depression stets einher geht, sind geringere Steuereinnahmen. Auch Kommunen, die häufig den ÖPNV entscheidend finanzieren, fehlt es an Geld. Und wenn man dann noch weiß, dass aufgrund des Lockdowns die Ticketverkäufe dramatisch sanken, vereinzelnd sogar um 100% dann kann man über die Forderungen der Gewerkschaft nur lachen, wäre es nicht so ein ernstes Thema.
Geld wächst, vulgärkeynsianischer Versuche zum Trotz, nicht auf Bäumen. Und während unsere Mitarbeiter dem Streik zu großer Zahl ignorierten; mit ihrer Arbeitskraft eben diejenigen möglich machten, die sich dank Arbeitsniederlegung einen schönen Tag machten, höre ich die neuen Infektionszahlen im Radio. Rekordanstieg der Covid-19 Invizierten bei marginaler Mortalität. Wenn ein weiterer Lockdown verhängt wird, was zu befürchten ist, wird der ÖPNV noch weniger genutzt werden. Die Einnahmen der Verkehrsbetriebe werden weiter sinken, ebenso wie die Steuereinnahmen, die den ganzen Spaß finanzieren.
Doch verdi wird weiter und wieder streiken. Schon bald wird es weitergehen. Das lassen sich die Geoßkopferten Gewerkschaftsgremien nicht nehmen. Anerkennung durch Lob haben die Funktionäre, aber auch die teilnehmenden Mitarbeiter nicht verdient. Sie machen es sich bequem und lassen andere für sie arbeiten. Traumschön. Und zum Abend hören wir die Reden von den Roten und den Gewerkschaftern über die „gesellschaftliche Verantwortung“ von der sie doch, wenn man sie beim Wort nimmt, meilenweit entfernt sind.