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Schrecklicher Verdacht: Sie sind rechts?!

von Julian Marius Plutz

Hoch stand das Moralintermometer, als Herbert Grönemeyer keinen Milimeter nach rechts ins Mikrofon krakeelte und damit Menschenmassen, die zuvor noch „Wann ist ein Mann ein Mann“ hören durften, entzückte. Ich komm‘ nicht drauf, an welchen ehemaligen Politiker einer ziemlich hart rechten Partei er mich erinnert. Ich weiß nur, dass der Nachname mit „G“ beginnt. Sei es drum, ganz mutig gefiel sich der Herbert, ist er doch im Recht, so gegen rechts. Wer will schon dafür sein?

Mir geht es gar nicht um die Person Grönemeyer, der ansonsten überaus sympathisch und humorvoll wirkt. Nicht zuletzt dürfen seine Hits an keinem Karaokeabend fehlen. Ja. Und seine Texte verbergen außerordentliche Rätsel. Heißt es in „Mensch“ etwa „es tut gleich mäßig weh“ oder doch „es tut gleichmäßig weh“? Wissen Sie‘s? Die Antwort bitte in die Kommentare. Wie auch immer und wie gesagt: Es geht nicht um die Person, eher um den Mechanismus dahinter. Was ist „rechts“? Ist der Begriff überhaupt noch zeitgemäß oder dient er nur als Schlagwort zur Diffamierung?

Im Zweifel liberal

Die Frage „was ist rechts“ ist einerseits leicht. So versuchte ich mich vor einiger Zeit an dieser sicherlich unvollständigen Abgrenzung. Ergebnis: Rechte sehen Menschen grundsätzlich als ungleich an, auch was ihre Wertigkeit angeht. Sei es aufgrund der Herkunft, der Staatsangehörigkeit, des Geschlechtes, oder Ähnliches. Also benötigt eine Gesellschaft, aber auch eine Weltgemeinschaft klare Hierarchien und Kollektive. Letzteres ist im Übrigen die große Gemeinsamkeit zur Linken. Während Linke als Kollektiv zb „die Arbeiter“ oder „die Flüchtlinge“ auserkoren haben, sind mögliche Kollektive der Rechten „Das Volk“ „die weiße Rasse“, etc.

Andererseits ist „wer oder was ist rechts“ im Praxistest ungleich komplizierter. Ist Boris Palmer, wie gerne zugeschrieben, ein Rechter, weil die unkontrollierte Migrationspolitik kritisierte? Oder ist eine Alice Schwarzer rechts, weil sie eben die Agenda Angela der offenen Grenzen für falsch hält? Ist es rechts, wenn man der Bundeswehr positiv gegenübersteht? Und ist man neuerdings rechts, weil man viele Corona Maßnahmen hinterfragt? Zu dem Schluss muss man kommen, wenn man die hiesigen Debatten verfolgt.

Die letzte Zuschreibung ist die Obskurste. Denn gegen staatliche Maßnahmen zu sein, ist zunächst eine freiheitliche Angelegenheit. Der ganze Ethos des Liberalismus ist geprägt von einem tiefen Skeptizismus, was staatliches Handeln angeht. Wohin Rechte eine klare, hierarchisch geklärte Herrschaft erwarten, am besten mit einem Führer an der Spitze, wählt der Liberale den unbequemen Weg der dezentralen und individuellen Entscheidungen. Natürlich nicht in Gänze und ganz ohne Staat scheint es auch nicht zu gehen. Doch da die Voraussetzungen des Liberalismus der Individualismus ist, heißt die höchste Entität ist nicht der Staat, sondern eben das Individuum, werden staatliche Handlungen im Zweifel kritisiert.

Sie merken, wie unsinnig die Behauptung ist, die Kritik an den Maßnahmen zur Bewältigung von COVID seien per se rechts. Sie wird partiell rechts, ganz bestimmt sogar, wenn aus der Skepsis eine Melange aus Verschwörungstheorien und rechten Ideologien ergibt. Doch das sind, meiner Einschätzung nach die wenigsten. Und sie sind auch nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, wogegen sich der Protest richtet. Und wenn sie gegen staatliche Maßnahmen gehen, ist das zunächst eine freiheitliche Idee. Sie wird freilich ganz und gar unfrei, wenn nach Abschaffung des ohnehin schon autoritären Staat ein noch autoritärerer Staat nach eigenen Vorstellung erschaffen wird. Klar. Doch die Haltung, skeptisch gegenüber den Maßnahmen zu sein, ist ein Liberalismus.

Rechts und Links verschwimmen

Ohnehin evoziert Corona beeindruckende Rochaden in den politischen Spektren. So habe ich mit viel Lust den Podcast „The Curve“ mit Augstein und Fleischhauer gehört. Zum einen halte ich beide, jenseits ihrer politischen Haltung, für absolute Sympathieträger und sehr fähige Entertainer im besten Sinne, was die Grundvoraussetzung für den Erfolg eines Podcasts ist. Zum anderen musste ich feststellen, dass ich zunehmend dem dezidiert linken Augstein zustimmte, zumindest was die Corona Maßnahmen anging. Während Fleischhauer die Maßnahmen tendenziell verteidigte, zweifelte sein Gegenüber. Nun ist Fleischhauer trotz zahlloser Zuschreibungen nicht wirklich rechts, zumindest aber alles andere als links. Und auch bei Augstein wird sich der eh schon autoritäre Staat nach Abschaffung in einen sicherlich ähnlich, wenn nicht sogar noch autoritäreren, sozialistischen Staat verwandeln. Doch auch Augsteins Moment der Ablehnung vieler Maßnahmen kommt aus einem freiheitlichen Gedanken.

Ich persönlich werde immer wieder als „Rechter“ eingestuft, was ich für einigermaßen erstaunlich halte. Dabei wird der Begriff weniger als politische Richtung gesehen, sondern mehr als Kampfbegriff. Und da „rechts“ bei nicht wenigen „rechtsextrem“, also Glatzen, drittes Reich und Gaskammern bedeutet, ist klar, wohin die Reise geht. Im Moment des Aufbringen des Etikettes ist der soziale Tod gewiss. Denn mit Rechten ist es wie mit den Schmuddekindern: Man spielt nicht mit denen.

Doch es sind längst nicht alle so. Für viele ist Differenzieren mehr als eine mathematische Methode. Aber was bleibt ist der Kampf mit ungleichen Mitteln. Wenn ich einen Linken, was ich nicht tun würde, vorwerfe, es sei ein „Volksverräter“, ernte ich allenfalls ein Schulterzucken, wenn nicht sogar ein Kopfnicken. Damit kann man keinen abwerten, was auch völlig okay ist. Die Zuschreibung der gleichen Seite, ich sei ein „Rassist“, unabhängig ob es stimmt, oder nicht, hat gesellschaftlich gravierende Folgen. Vielleicht sollten beide Seiten, und wahrscheinlich sollte auch ich, das eine oder andere mal, verbal abrüsten.

Auf dem Höhepunkt der Moralinsause schrie der Grönemeyer einen vielsagenden Satz ins Publikum. „Dann liegt es an uns zu diktieren, wie ’ne Gesellschaft auszusehen hat“. Das klingt mehr nach Autoritarismus, als ich von den allermeisten fremdbeschriebenen Rechten kenne. Im Juste Milieu wurde dieser Satz nicht mit Empörung kommentiert, was verwundert. Zeigt er doch des Geistes Kind, das Grönemeyer in einer kostenlosen Mutigkeit an sein Publikum richtet. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber Diktieren tun Diktatoren. Und das ist das letzte, was ich möchte.

2 Antworten auf „Schrecklicher Verdacht: Sie sind rechts?!“

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