von Julian Marius Plutz
Für die gemeine Dorfpomeranze, auch Landei genannt, gibt es nichts schöneres, als Samstag in die nächste Großstadt zu tingeln und sich beim sogenannten Shoppen, also Einkaufen und nicht Wein trinken, die Beine in den Bauch zu laufen. Für den Bewohner in der Großstadt ist dies Verhalten so unerträglich wie unbegreiflich. So ist auch mir Landei, als ich nach Nürnberg zog, die Lust an der Innenstadt schnell vergangen. Es ist eng, es nervt und an jeder Ecke trifft man auf die Dorfpomeranzen, wie sie in „United Colors of Bennhatten“ Schaufenster gaffen, als hätten sie noch nie eine Hose gesehen.
Und so kam ich nicht umhin, eben in die Vergangenheit meines alten Ichs zu reisen – zum Landei. Und das nur, weil meine liebe Kollegin mich um einen Gefallen bat. Ob ich denn zum Karstadt gehen könne in der Stadt und ihr ein „Tonies“ zu kaufen. Für den Sohn. Der Tonies ist ein Hörspiel-Abspiel-Würfel für Kleinkinder. Bei Hörspiel wurde ich hellhörig, bin ich doch ein außerordentlicher Fan von Sherlock Holmes, Lennet, Drei ??? Und der Ding mehr. „Na klar“, sagte ich der Kollegin, deren Vorname einer fränkischen Rebsorte nicht unähnlich ist. Da sie zwar ebenfalls ein Landei ist, aber völlig verständlicherweise keine Lust hat auf die samstägliche Doofen-Liturgie, fragte sie den Julian. „Ich erledige das, Frau Bacchus!,“
Und so marschierte ich trotz eiserner Kälte und mit einem, da haben wir’s, Hörspiel im Ohr in Richtung Galeria Kaufhof Karstadt – nicht mehr – Quelle. Ein Mann von geschätzten 250 Lenzen raunte mich sodann gleich an: „Maske auf!“. Charmant. Und ja, man kann diesen Irrsinn nicht oft genug betonen: Bei 0 Grad und menschenarmer Innenstadt herrscht in der Wirkungsstätte vom Hans Sachs Maskenpflicht. Kein einziges menschliches Wesen näherte sich mir auf fünf Meter, wenn man diese altfränkische Mumie mit dem Zeigefinger einmal abzieht. Blöder wird’s nimmer mehr. Aber jede Zwang braucht einen Devoten, der ihn ausführt.
Also kramte ich eine Maske aus dem Mantel, die nach abgestandene Rauch roch. Da ja Rauchen der Corona gar nicht mag, war ich mir sicher: Zwar könnte ich ersticken, aber das Virus würde ich sicher nicht verbreiten. Traumschön. Angekommen im Einkaufsparadies stand ich vor einen dieser ellenlangen Informationstafeln. Problem: Meine Brille verwandelte sich in ein Milchglas-Nasenfahrrad. Durch den Atem beschlagen, nahm ich die Seehilfe ab, um festzustellen, dass ich ohne Brille kaum etwas entziffern konnte. Hastig versuchte ich, die Seehilfe mit meinem Schal zu reinigen. Schön verschmiert setzte ich das Gerät wieder auf meinen Riechkolben. Binnen 5 Sekunden war es wieder beschlagen. Also nahm ich die Brille wieder ab. Ich sah nun wieder nichts.
Nach 45 Minuten schließlich entschied ich mich, ohne Brille fortzufahren. Ja. Kennen Sie diese komischen Pixel-3D-Bilder noch, die man intensiv und 25 Sekunden zu betrachten hat und seine Augen dann langsam entfernen musste, damit statt Pixel sagenumwobene Dinge wie ein rosafarbenes Einhorn zum Vorschein kam? Ich sah ja bei diesem Riesenspaß niemals etwas, außer Pixelsalat. Und schwindelig wurde mir noch dazu.
So ungefähr versuchte ich, die Infotafel zu lesen, um zu erfahren, wo denn die Tonies Soundbox zu finden sei. Weder ein rosa Einhorn, noch den Tonie konnte ich jedoch erblicken. Wie denn auch, ich hatte ja keine Brille auf. Also irrte ich wie ein Wahnsinniger durch das Einkaufsparadies. Ich war bei den Uhren, beim Thermomix, bei der Gourmeabteilung. Ich stand vor dem Klo und vor einem Notausgang. Entzückt beobachtete ich maskierte Rentner in der Dessous Abteilung. Entrückt sah ich eine Jugendliche, die sich mit Nuttendiesel besprühte. Aber kein Tonies. Wo ist Tonie?
Die Mitarbeiter, sofern ich sie als Mitarbeiter identifizieren konnte, waren allesamt in Kundengesprächen. Ich will ja nicht stören. Also ging ich zu einer Kasse und stellte mich brav an, bis ich an der Reihe war.
„Ich suche den Toni!“ sagte ich der Kassierin.
„Ist das Ihr Sohn?“ fragte sie mich.
„ Nein, er ist ein Hörspielwürfel.“ antworte ich.
„Das Schweigen irritierte mich.
Ihr Sohn ist ein Hörspielwürfel?! “ fragte sie verdutzt.
Um sie nicht erschlagen zu müssen, atmete ich kurz durch. „Nein, ich suche den Tonies Hörspielwürfeldings. Wo gibt es die denn?“
„Also mit den Abteilungen kenne ich mich hier gar nicht aus“, entschuldigte sich die Mitarbeiterin von Galeria Karstadt, nicht mehr Quelle, dafür Kaufhof.
„Ach so.“ antwortete ich.
In dem Moment sprang ein noch kompetenterer Mitarbeiter ihr zu Hilfe.
„Tonies gibt es in der Spielzeugabteilung“. rief der Mann.
„Aha. Und wo ist die?“ fragte ich, nicht in Gänze abgeneigt.
„ In der Spielzeugabteilung“, antwortete der Mitarbeiter, wie aus der Pistole.
„Ja, danke, das erwähnten sie. Doch wo ist denn diese ominöse Abteilung?“ hakte ich in Manier eines investigativen Journalisten nach.
„ Im dritten Stock.“
„Danke.“
„Sie können auch den Fahrstuhl nehmen“, warf die nicht ganz so kompetente Mitarbeiterin ein, „ der ist….“
„Danke, ich nehme die Rolltreppen“, unterbrach ich sie. Ich finde den Lift doch eh nicht.
Ich muss dazu sagen, dass ich mit einem überaus unterentwickelten Orientierungssinn ausgestattet bin, was ich als familiär vorgeprägt bezeichnen möchte. So verlief ich mich bereits mit meiner Mutter in der Kleinstadt Iphofen, aber auch in der Kreisstadt Kitzingen. Erschwerend kommt hinzu, dass das elterliche Haus in nur wenigen Kilometer fern dieser Orte steht. Doch auch alleine schaffe ich es, mich zu verlieren. So suchte ich etwa zwei Stunden mein geparktes Auto in Fürth, bis ich bei der Polizei anrief und fragte, ob es nicht abgeschleppt worden ist. Kurzum: Es stand einfach ein paar Straßen weiter und wartete wacker auf den Halter.
Nach dem Aufstieg mithilfe der elektronischen Stufen stand ich endlich im korrekten Stockwerk. Ein Mitarbeiter plauschte mit einer einer Mitarbeiterin. Beide maskiert. Haben sie etwas zu verbergen? Ich unterbreche sie mit einem zarten „Entschuldigen Sie.“ Entschuldigung angenommen, „Ja, bitte?“
„Ja äh, ich suche den Tönnies. Äh, den Toni. Und der ist nicht mein Sohn, sondern eine Hörspielbox für Kleinkinder. Haben sie da was da?“
„Haben wir da und zwar fürwahr“, sagte der Mitarbeiter, der sich mit dem Satz bereits als ARTE Zuschauer zuerkennen gegeben hatte.
„Vortrefflich“, entgegnete ich dieser fleischgewordenen Höflichkeit. „Und wo finde ich dieses zauberhafte Stück technischen Fortschritts?“ Stand jetzt war ich seit zwei Stunden in dem Laden.
„ Nun, drehen Sie sich einmal um, Gnädigster, dort ist der Aufsteller“. Ach Herr je, das muss ich wohl übersehen haben. Ich nahm meine Brille aus dem Mantel und platzierte sie zwischen den Glotzern.
„Das muss ich wohl übersehen haben, danke. So, dann nehme ich die Starter Box in grün“, sagte ich dem intellektuellen Verkäufer.
„Da reiche ich sie doch an meine Kollegin weiter. Ich muss gehen. Auf Wiedersehen.“ Und noch ehe ich dem Entfleuchten und Entlauchten etwas erwidern konnte, war er weg und die Verkäuferin, also die, die soeben noch plauschte, war wieder da. Wie schön.
„Ich muss Ihnen sagen, dass wir keine Starter Paket grad da haben. Der Tonie hat Lieferschwierigkeiten“. Ja, und ich seh gar nix, weil beschlagene Brille. Aber hören, das geht.
Ich erspare Ihnen die Geschichte, die weitere 45 Minuten meines offenkundig völlig banalen Lebens in Anspruch nahm, als sie versuchte, den Tonie online zu bestellen – ohne Erfolg. Der Tonie ist ein rares Gerät und macht’s nicht mit jedem. Mit mir schon mal gleich gar nicht. Ich bin aber auch keine verblödete Hure, die mit jedem Tönnies ins Bett steigt. Der Sauerstoffgehalt in Verbindung mit Reste der Nikotin getränkten Maske hinterlässt Spuren. Ich werde wahnsinnig.
Beim hinausgehen lese ich das Schild bei Galeria Kaufstadt, ehemals Quelle, man solle nicht mehr als 222 Kunden in den Laden lassen. Wer auf die Zahl von 222 gekommen ist und wer die Zahl von 222 kontrolliert, wissen die Hasen. Es steht nun mal da und ein Amt hat sicher eine Verfügung dafür parat. Es hat schon seine Richtigkeit. Das Amt, das Amt, es hat immer recht. „Wir tun ja nur unseren Job“, sagen die. Das haben andere in noch dunkleren Zeiten auch gemacht. Und dabei rede ich nicht von Blowjobs in Darkrooms.
Am End‘ hatte ich keinen Tonies. Ich ging nach Hause. Wie will man Dinge zu Ende denken, wenn schon der Anfang falsch war? Klar, die Dorfpomeranzen hält man sich weitestgehend vom Hals. Wer will schon so absurd einkaufen gehen, wenn übellaunige Gauleiter mit erhobenen Zeigefinger und jenseits ihres Zenits Ihnen sagen, dass Sie ohne Kontakt zu Menschen doch gefälligst Maske zu tragen haben? Was ist aus dem Land geworden der freien Geister und echten Punks? Richard David Precht und Campino? Puh. Alles im buckeligen Gang vor der Macht erstarrt. Echt?
Ich hoffe es ja nicht. Zu Hause angekommen gönnte ich mir die Folge der Drei ??? Und zwar die, als Justus seine toten Eltern in Südamerika sucht. Ganz ohne Tonies schlief ich ein. Morgen, ja morgen wird der Tag besser. Oder anders. Oder genauso. Was weiß denn ich schon.
3 Antworten auf „Das Corona-Karstadt Problem“
Topp!
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Lustig und treffend!! Aber ….muss es der „Gauleiter“ sein?
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Vielleicht hätte er bei Titus Jonas danach suchen sollen…
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