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Die Corona-Politik der emotionalen Führer

von Julian Marius Plutz.

Das Trikot nebst Hose war längst mit Grasflecken camoufliert, soo oft wie er von den Argentiniern auf den Rasen befördert wurde. Doch das und eine fletschende Wunde unter dem Auge konnten den Fußballer nicht stoppen, der spätestens mit dieser Großtat die Kosenamen „Basti-Fantasti“ und „Schweini“ entwachsen ist und im Maracana-Stadion Geschichte schrieb.

Bastian Schweinsteigers Anteil am Gewinn der WM kann man gar nicht hoch genug hoch bewerten. In der Verlängerung des Finales, als alle anderen deutschen Spieler kurz vor dem Delir standen, mobilisierte der Bayer seine letzten Kapazitäten. Er war überall und immer anspielbar. Seine Haltung und seine Kommandos strahlten einen unbedingten Siegeswillen aus, der in diesem Spiel den Unterschied machte. Schweinsteiger verkörperte das, was man „Emotional leader“ nennt.

Die Kapitänsbinde trug ein anderer, Philipp Lahm. Doch der klare Chef auf dem Platz der Nationalmannschaft war Schweinsteiger. Ja. Er riss die Mannschaft mit. Er motivierte seine Jungs mit einer unglaublichen körperlichen und mentalen Präsenz. Immer wieder wurde er gefoult und immer wieder stand er auf. Immer wieder peitschte er seine Kameraden an. Als emotionaler Anführer dirigierte er sein Team von der Spitze schließlich an die Spitze. Nichts als seine Emotionen begründeten den maximalen Einsatz, um den Titel zu gewinnen. Schweinsteiger war in diesem Moment wahrscheinlich der unumstrittenste Anführer, den die deutsche Mannschaft je hatte. Es sollte sein letztes Pflichtspiel im Trikot mit dem Adler auf der Brust sein.

Absurde Vergleiche ohne Konsequenzen

„Emotional leader“ müssen keine Charismatiker sein, das ist Schweinsteiger auch nicht. Aber ihr handeln muss emotional sein und Emotionen wecken können, um Menschen zu Dingen bewegen zu wollen, zu die sie vielleicht nie bereit gewesen wären. Viele Menschen erwarten oder benötigen eine emotionale Begründung. Das ist in der Politik nicht anders. Als Macron seinem Volk scharfe Maßnahmen vermeintlich gegen Covid erklären wollte, sprach der französische Präsident von La Guerre , vom Krieg. Mit Kanonen auf Viren schießen. Naja. Aber es emotionalisierte seine Bürger, die wie kaum ein anderes Land in Europawissen, was tatsächlicher Krieg durch Terrorismus bedeutet.

Deutsche Politiker wählen die klassische Panikmache. Vor einiger Zeit verglich Söder die Zahl derjenigen, die mit einem positiven Coronatest gestorben sind, mit einem Flugzeugabsturz. Eine entsetzliche Entgleisung, in der man zu normalen Zeit hart und völlig zurecht kritisiert werden würde. Heute wird man potenzieller Kanzler. Medien und Menschen beginnen vor lauter Angst hohl zu drehen und alles abzunicken, was die herrschenden Herrschaften befehlen. Die Lehre vom reinen Rechtspositivismus trieb das Deutschtum nach nur vier Jahren von der Kapitulation der einen Diktatur in die Gründung einer anderen. Diese Totalitarismusdichte ist bemerkenswert und vielleicht charakteristisch für den Deutschen, der Regeln einhält, weil es Regeln sind und das verdammtnochmal die Pflicht eines jeden ist.

Zum Zwecke der Massensuggestion entschied sich Angela Merkel ihre Facon zu verlassen und eben das zu tun, was aus ihrer Warte heraus zu tun ist: Sie hielt eine Rede und wurde zum emotionalen Anführer. „Es tut mir von Herzen leid“, betonte Merkel. Ihre Stimme überschlug sich. „Was wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis mal sagen, wenn wir nicht in der Lage waren, für diese drei Tage irgendeine Lösung zu finden?“ sagte sie weiter.

Verhältnislose Zahlen

Ich weiß wirklich nicht viel. Aber dass der Ausgang eines vermeintlichen Jahrhundertereignisses sich in drei Tagen entscheidet, eines, das seit spätestens März stattfindet, in Europa wohl schon seit 2019 anhält, kann Merkel den Hasen erzählen. Dass die Zahlenlage in Deutschland überhaupt ausreicht, um das Virus als „Jahrhundertereignis“ zu bezeichnen, darf zuminindest bezweifelt werden. Die Auslastung der Intensivbetten beispielsweise, die die Politiker unter anderen für die Maßnahmen angeben, ist im Dezember, wir reden von Bayern, nicht höher, als im ungleich wärmeren August, wie man sich hier erklicken kann.

Da das minutiöse Monitoring der DIVI, die bundesweite Vereinigung der Intensivmediziner und Notärzte, erst seit März dokumentiert wird, sind Vergleiche der Auslastung von Krankenhausbetten der Vorjahre schwierig, auch wenn jeder Mitarbeiter in Krankenhäusern berichten kann, dass es, gerade bei heftigen Grippewellen zu Engpässen kommen kann, vgl. hier, oder hier. Es ist möglich, dass die aktuelle hohe Auslastung von ITS-Betten eher aufgrund systemischer Probleme im Gesundheitssektor zu erklären sind, was die prekäre Lage vor Ort nicht besser macht. Dennoch verschiebt sich die Diskussion weg von einer singulären Erkrankung hin zu einer gesundheitsökonomischen, aber auch medizinethischen Frage.

Eine hinreichende Begründung für einen Lockdown sind die oben genannten Werte tendenziell nicht, ebenso wie die Zahlen zur Übersterblichkeit, die aus ihrem Wesen heraus keine emotionale und soziale Schäden, Depressionen, Pleiten natürlicher und juristischer Personen, aber auch häusliche Gewalt gar nicht abbilden können. Diese Punkte scheinen keine Rolle im Prozess der Abwägung in der Politik zu spielen. Verhältnismäßig soll es zugehen. Doch wie objektiv kann diese Betrachtung sein, wenn neben Infektionszahlen, lediglich die absoluten Zahlen von „Corona Toten“ so wie die Auslastung von Intensivbetten als relevante Werte gesehen werden und zur Entscheidungsfindung dienen?

Übertriebener Gesundheitsschutz ist illiberal

Anstatt jedoch den Horizont für ihre Entscheidungen zu erweitern, generieren sich Politiker sich lieber als emotionale Anführer, für die kein Vergleich zu abstrus sind. Wie viele Tote ist uns ein Shopping-Erlebnis wert“, fragte der Regierender Oberbürgermeister rhetorisch. Ja, das hat er wirklich gesagt. Es fehlte nur noch der Zusatz: „Hosen einkaufen ist Mord“. Die Banalität der Blöden ist grenzenlos. Wie gefährlich es wird, wenn der Affe ein Gewehr zu Greifen kriegt, kann man in Herges in „Tim in Afrika“ nachlesen.

Wenige Tage nach Merkels Transformation zur emotionalen Führerin kamen die Minister Merkels Fleh-Schauspiel nach. Lockdown, abzüglich leichter Lockerungen zu Weihnachten, bis 10. Januar. Gegen Tote gibt es keine Argumente. Niemand will am Versterben eines anderen Schuld sein. Und trotzdem verbieten wir keine Zigaretten und Alkohol und trotzdem steht nicht an jeder Autobahnraststätte ein Operationssaal bereit. Die emotionalen Anführer, von der Kanzlerin, bis hin zu Ministerpräsidenten suggerieren einen totalen Gesundheitsschutz. Doch dieser ist nicht nur eine Illusion, er ist vor allem totalitär und illiberal. Zur Freiheit gehört auch immer das Risiko.

Schweinsteiger bescherte uns den vierten Titel der Fußballweltmeisterschaft. Seine emotionale Führerschaft bewerkstelligte ungewöhnliche Leistungen. Die emotionalen Führer der Corona-Maßnahmen haben das Ziel, die Bevölkerung den bitteren Lockdown mit Horrorbildern von vermeintlichen Horrorzahlen zu verkaufen. Damit wir nicht wahnsinnig werden. Nachhaltig ist diese Kommunikation jedoch nicht. Denn im Gegensatz zur WM gibt es keine Titel. Es gibt gar nichts. Außer eine rief gespaltene und verängstigte Gesellschaft, die in Mitten eines gefährlichen Sozialexperiment steckt, der droht, kollektiv traumatisiert zu werden.

Eine Antwort auf „Die Corona-Politik der emotionalen Führer“

Sehr geehrter Schreiber,
ich lese ihre Artikel regelmäßig, da manch einer wirklich schön geschrieben ist. Eine Biite dennoch: Könnten Sie sich an Ihr eigenes Versprechen halten u nicht über Corona schreiben? Das wäre sehr nett, denn Sie tragen zum Allgemeinen Brei nichts, aber rein gar nichts bei: Grippevergleiche, libertäres Geschwurbel wie wie weit geht meine Freiheit, etc….
Also, Sie haben Angst, Sie sind depressiv wie viele andere auch – das ist die story, die sich aus Ihren Geschichten liest – vielleicht ließe sich daraus was machen. Eine Besuch beim Psychologen wäre vllt die erste Maßnahme, falls er offen hat…

Grüße

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