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Home-Office Zwang ist übergriffig

Von Julian Marius Plutz.

Ich möchte mit Ihnen über Home-Office sprechen. Ja, ja, keine Sorge. Nicht wie die Zeugen Jehovas, die bei Ihnen zu Haus‘ klingeln und „mit Ihnen über Gott“ sprechen wollen. Das ist zur Zeit eh kaum en vouge, da der direkte Kontakt mit Menschen nicht erwünscht ist. Doch genau darum geht es mir: Um den Kontakt mit Menschen. Im beruflichen Alltag, live und direkt vor Ort. Ich möchte Ihnen erklären, warum dieser in meiner Branche, aber sicherlich auch in vielen Anderen, unerlässlich ist. Und ich will Ihnen nahe legen, dass eine Abschottung der Präsenzarbeit menschliches Leben verändert. Und in wesentlichen Teilen zum Schlechteren.

So pathetisch es klingen mag: In meinem Berufsalltag dreht sich alles um den Menschen. Ich arbeite für einen Personaldienstleister. Meine Aufgabe ist, Menschen in Arbeit zu bringen. Damit verdiene ich mein Geld. Sei es über Arbeitnehmerüberlassung oder über Direktvermittlung. Ersteres hat bei uns Priorität, denn sie ebnet unsere geschäftliche Grundlage. Jedoch wächst das zweite Standbein, der direkte Verkauf einer Arbeitskraft, Headhunting im weitesten Sinne. Gerade in Zeiten dieser Krise, was nur auf den ersten Blick paradox klingt. Wirtschaftlich schwierige Zeiten haben für Personaldienstleister den Vorteil, dass Fachkräfte eher freigesetzt werden und uns zur Verfügung stehen.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass wir Dienstleister sind. Das heißt, wir stellen einen Service zur Verfügung, von dem andere profitieren und dafür Geld ausgeben. Diesen Service nutzen einerseits Unternehmen, die uns beauftragen. Aber andererseits profitieren auch die Bewerber, die dann hoffentlich zu Mitarbeiter werden. Auch sie erwarten von uns eine Dienstleistung. Sei es die Vermittlung in ein Unternehmen, oder sei es die Betreuung während des Einsatzes. Sei es das Zahlen von Vorschüssen, Hilfe bei Terminen, was Ämter angeht und vieles mehr. Und bei all diesen Themen steht uns das Vorhaben einer Home-Office Pflicht, das Politiker fordern, entgegen.

Der Weg in den Polizeistaat

Es ist undenkbar, unseren Beruf von zu Hause aus zu üben. Im Helferbereich verfügen die Mitarbeiter oft über wenig bis gar keine Deutschkenntnisse. Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie unmöglich ein Telefoninterview oder ein Videochat sich gestaltet. Es geht nicht. Ferner muss ich die potentiellen Mitarbeiter als Person kennenlernen. Sind sie körperlich geeignet für den Beruf? Haben Sie eine Vorstellung, was es heißt, in einer Produktionsstätte zu arbeiten? Sind sie in der überhaupt in der Lage, einen Vorstellungstermin einzuhalten, heißt, pünktlich und verlässlich zu sein? Passen sie in das Team und in das Unternehmen? All das erschwert Home-Office enorm. Ich kann mir als Dienstleister nicht erlauben, einen kaum gekannten Kandidaten, weil ich ihn lediglich über eine Kamera kennengelernt habe, einen Arbeitsvertrag unterschreiben zu lassen und in den Kundeneinsatz zu schicken.

Wesentliche administrative Tätigkeiten, wie die Lohnbuchhaltung, sind aktuell im Home-Office ausgelagert. Das ist nicht ideal, aber machbar. Jedoch Disposition und Recruiting, aber auch Teile des Vertriebs, können unmöglich alleine in Heimarbeit getätigt werden. Ich kann natürlich meine Bewerber zu mir nach Hause einladen. Aber damit ist keinem geholfen. Und ich verrate Ihnen noch etwas: Hochpreisige Bewerber bewerben sich bei uns, weil sie einen Service erwarten, dass wir für sie das ideale Unternehmen finden. Sie erwarten mit Recht, dass wir uns vor Ort, und nicht vor einer Webcam, ihren Belangen widmen. Letzteres kann in einzelnen Fällen ergänzend eine Option sein. In Gänze wird es das persönliche Gespräch nicht ersetzen können.

Davon abgesehen ist eine Pflicht zur Heimarbeit, neben der rechtlichen Hürden, nicht kontrollierbar. Und wenn doch? Das konsequente Umsetzen dieser Forderung führte die Gesellschaft in eine Situation, in der die Polizei flächendeckend zehntausende Unternehmen überprüft. Eine andere, fach fremde Instanz, oder womöglich sogar der Beamte vor Ort, hat dann aus völlig subjektiven Maßstäben heraus zu entscheiden, ob diese Arbeit vor Ort erledigt werden darf, oder ob die Mitarbeiter nach Hause müssen. Zu Ende gedacht führt dieses Gesetz zu einem willkürlichen Polizeistaat. In einer freie Gesellschaft gilt frei eben nicht nur, wenn aktuell überhaupt noch, für das Individuum. Frei sind auch Unternehmen in ihren Entscheidungen, weil Unternehmen meist am Besten wissen, wie sie zu ökonomischen Erfolgen kommen und damit Menschen einstellen und gute Löhne zahlen. Und, nebenbei erwähnt, auch die Steuern abführen, die Politiker dann verteilen.

Kommunikation verödet

Für einen wichtigen Punkt halte ich die Auswirkung von Home-Office auf das Arbeitsleben selbst. Ja. Mit digitalen Mitteln entmenschlicht sie die Kommunikationsprozesse. Durch Programm und Kamera einsteht eine Distanz, bei der menschliches Leben verloren geht. Das Arbeitsleben verändert sich. Die Ferne von Kollege zu Kollege erschafft ein großes Problem: Die Interaktion wird grob. Nuancen der Kommunikation, wie weite Teile von Mimik und Gestik, oder die Aura, wenn jemand einen Raum betritt, geht verloren. Hat die Kollegin die Tür ihres Büros geschlossen, obwohl sie meist offen steht? Und warum hat der Praktikant wieder den Kaffee vergessen, zu kaufen?! Im Ernst: Je mehr der Job ein Teamgame ist, desto mehr wird Teamplay gebraucht. Für den Erfolg einer bürolichen Mannschaft ist ein gewissen Grad an Intimität unabdingbar. Und das kann die Heimarbeit niemals in der Form leisten. Ich werde nie erfahren, weshalb die Bürotür der Kollegin geschlossen ist.

Eine Pflicht auf Home-Office verändert das Arbeitsleben aber noch auf eine andere Art. Sie nimmt den Arbeitnehmern, aber auch vielen Arbeitgebern, einen wesentlichen gesellschaftlichen Anker. Ich erzähle immer wieder die Geschichte eines Freundes, der hunderte Kilometer von seiner Heimat arbeitet, nicht zuletzt, weil seine Geschichte für viele Karrieren prototypsch ist. Er wohnt in einem kleinen, aber schmucken Appartement in einer deutschen Großstadt. Er verdient gut und der Spitzensteuersatz dankt es ihm. Ich fasse zusammen, mit welchen Einschränkungen, was die Corona-Maßnahmen angehen, er zu kämpfen hat: Keine Gastronomie, vor allem keine Kneipen. Keine Clubs, ab und an will man doch mal feiern. Um 21 Uhr darf er nicht mehr nach draußen, was bei einem Arbeitstag, der oft bis 19 Uhr und länger geht, besonders schwer wirkt. Kontakte sind auf eine Person beschränkt, was eigentlich auch schon egal ist; ist der Tag doch um 21 Uhr vorbei. Und nun möchte ihn die Politik in die Heimarbeit verbannen, weg vom Büro, der für ihn vielleicht letzten geselligen Ort? Wirklich?

Eine Home-Office Pflicht bietet noch weiteren Sprengstoff. Er belastet Unternehmen, die ohnehin aufgrund der Maßnahmen Mühe haben, ihre Anzahl an Mitarbeitern zu halten. Heimarbeit ist in vielen Bereichen ineffektiv; für manche Branchen völlig ungeeignet und weltfremd. Kündigung wegen eines Zwangs zu Home-Office? Durchaus möglich. Zu guter Letzt würde diese Anordnung, wird sie denn konsequent umgesetzt, Deutschland in einen willkürlichen Polizeistaat verwandeln. Politiker und Unterstützer dieser Forderung sollten über ihren Tellerrand blicken und überlegen, ob sie flächendeckende Kontrollen am Arbeitsplatz wirklich möchten.

Der Wähler hat die Entscheidung in der Hand. Welche Partei macht sich stark für die nächste Stufe in Richtung einer noch unfreieren Gesellschaft? Und welche Partei biete andere Konzepte. Sie haben die Wahl.

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Wer steht hinter Zero-Covid?

Von Julian Marius Plutz.

Der Grundsatz, „Es ist weniger wichtig, wer etwas sagt, sondern wichtig ist, was die Person sagt“ stimmt. Um so mehr überrascht es, wenn Menschen etwas aussprechen, was ich nicht erwartet hätte. So beeindruckte mich Heribert Prantl, der Grantl-Prantl, im Talk im Hangar 7 mit einer scharfen Abrechnungen zum Thema „Corona-Maßnahmen“. Ich bin ehrlich, das hätte ich dem ehemaligen Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung nicht zugetraut.

Als erfreulich empfinde ich außerdem, wenn Abgeordnete, selten genug, jenseits der üblichen Parteimuster abstimmen. Doch Vorsicht ist geboten, kann bereits der Versuch strafbar sein und folgen haben. Zumindest wenn ein CDU Abgeordneter erwägt, bei den Erhöhung der Rundfunkgebühren mit der AfD zu votieren. Besser dran ist man als Mitglied der SPD und der Linken. Oder man heißt Martin Sonneborn. Dann ist es kein Problem, mit den Blauen für Nord Stream 2 zu votieren. Glück gehabt. Möge der Standard doppelt sein.

Einmal Marx und Zurück

Aber trotzdem: Die Person kann immer nur zweitrangig sein, wenn man Inhalte beurteilen will. Doch meist erleben wir keine Überraschungen, sondern es geschieht genau das, was man erwartet hatte. Die Aktion zero-covid ist so ein Fall. Die Liste der Erstunterzeichner liest sich wie ein Auswahlregister meinungsstarker Saisonsozialisten- abzüglich dem Grantl-Prantl. Wie inszeniert wirkt die Zusammensetzung derer, die sich gerne „linksliberal“ nennen und gleichzeitig die unfreiste Politik Deutschlands seit 1945 bejubeln. Zu den Damen und Herren der Schöpfung werde ich noch kommen.

Zunächst jedoch halte ich es für wichtig, für den der die Bewegung noch nicht kennt, Zero-Covid zu erklären. Die Petition hat das Ziel einer „Null Infektion“ von Corona. Ferner streiten die Unterzeichner um „einen solidarischen, europäischen Shutdown“. Für eine ungewisse Zeit fordern die Aktivisten einen totalen Lockdown, also auch alle Unternehmen, die nicht „systemrelevant“ seien, wie auch immer dies definiert wird. Ferner soll das Gesundheitssystem ausgebaut werden, da „das Profitstreben die (…) kollektive Gesundheit“ gefährde. Finanziert werden soll dies „solidarisch“, heißt mit dem höheren Besteuern von Vermögen und „höchster“ Einkommen, sowie Unternehmensgewinne und mit Hilfe einer Finanztransaktionssteuer.

Wieder einmal wird die Büchse von Marx und Engels Werke geöffnet und wacker hinein gegriffen. Zum Vorschein kommen Konzepte, die noch nie funktioniert hatten und historisch, wie empirisch längst widerlegt sind. In einem anderen Beitrag schrieb ich bereits darüber. Aber auch andere Leute kritisierten die Forderungen, sehen Sie hier, hier oder hier. Den ersten „Zero-Lockdown“ wandte übrigens China an. Eine Diktatur als Vorbild für einer Petition, in der nicht wenige selbst ernannte „Linksliberale“ unterzeichneten. Klingt komisch, klingt gar nicht logisch, ist aber so. Womöglich geistert beim einen oder anderen Petitenten das Bild vom echten Sozialismus im Kopf umher, der in China nun endlich, endlich einmal klappt. Bei einem mindestens bin ich mir da ganz sicher:

Die Liga der Salonsozialisten

Mario Sixtus. Der, der gerne mal die Julis mit der Hitlerjugend vergleicht, ist ein echter Fan der chinesischen Politik. Halbe Sachen sind dem Filmemacher des öffentlichen Rundfunks fremd: „Wenn das autoritär regierte China es tatsächlich schaffen sollte, das eigene Land mit erneuerbaren Energien und Elektromobilität in eine Art Öko-Diktatur zu verwandeln, während die westliche Demokratien weiterhin den Planeten abfackeln, wer ist dann wem moralisch überlegen?“, schreibt er in Twitter. Früher war das Übernehmen von Forderungen von Diktaturen ein Tabu in bürgerlicher Diskussionen. Heute schafft man es damit bis zum Erstunterzeichner einer Politik, die genau das aussagt: „Wir diktieren euer Leben.“

Auf Platz drei der Erstunterzeichner findet sich ein Kollege von Sixtus, unser aller Liebling. Georg Restle. Er selbst bezeichnet sich als Journalist und meint, seine Branche befände sich im „Neutralitätswahn“, Ja. Stattdessen plädiert er für einen „werteorientierten Journalismus“. Heißt übersetzt: Weniger Fakten, weniger Sachlichkeit, dafür mehr bereits konnotierte Beiträge. Weniger Neutralität und mehr Gesinnung. Ein Konzept, das Restle in seinen Kommentaren der Sendung „ARD Monitor“ bereits anwendet. Der Moderator gehört übrigens zu einer der ganze besonders ulkigen ARD/ZDF Mitarbeiter, die in ihrer Twitterbiografie „privat hier“ oder „spricht für sich“ hinein schreiben. Schaut man sich aber das Profil an, so trieft die Seite nur von Bildern mit den Senderlogos, Fotos bei der Arbeit und Lobhudelei auf die eigenen Beiträge. Aber Hauptsache privat.

Wo immer sie ihren Gratismut beweisen kann, ist auch Luisa Neubauer mit von der Partie. Klar. Als angehende Grünen-Politikerin muss sie sich schon mal an ihr Klientel – Stichwort obere Mittelschicht – anpassen. Sorgen um den Arbeitsplatz? Da genügt ein Schulterzucken. Finanzielle Bedenken dürfte es bei ihr nicht geben und selbst wenn der Zero-Lockdown befohlen und im Anschluss das Fliegen verboten wird, egal. Die Vielfliegerluisa war bereits überall. Natürlich unterschrieb sie die Petition. Sie kann es sich leisten.

Es folgen Granaten wie Hengameh Yaghoobifarah, die in einem stilistisch wenig erbaulichen Beitrag Polizisten auf einer Mülldeponie entsorgen will. Oder Natascha Strobl, fremd erkorene Expertin für Rechtsextremismus und gleichzeitig Kämpferin gegen alles, was ihr nicht links genug zu sein scheint. Sofort unterschrieben hatte auch Andrej Holm, Geistiger Vater des desaströsen Berliner Mitdeckels und ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, der in seiner Akte für seine „Standhaftigkeit, seinen Mut und seinen Klassenstandpunkt“ gelobt wird. Als einziger Ökonom unterzeichnete übrigens Rudolf Hickel, ehemaliger Gast in Talkshows und seit Jahren untergetaucht. Trotz wissenschaftlicher Widerlegung hält Hickel an der Kaufkrafttheorie fest und steht natürlich, oh wunder, für noch höhere Steuern. Genau das, was auch die Petition fordert. Der Altökonom, der in einem Interview zur Finanzierung der Vorhaben genau einen einzigen Satz hierzu parat hat: „Die Finanzierung ist nicht so entscheidend.“ Das ist alles an Expertise, die Herr Hickel aus seiner Profession zu der Petition beizutragen vermag.

Am Deutschen Wesen soll Europa genesen

Und so kommt alles zusammen, was zusammen passt. Der Diktaturenliebhaber, der Journalistenaktivist. Die Klimabewegte, ohne Klima geht heute gar nix mehr. Die, die Polizisten hasst, dort, der Stasimitarbeiter. Und da der Vulgärkeynesianer.

Zero-Covid ist nichts weiter als ein riesengroßes Stück Planwirtschaft. Es ist der Versuch, Gott spielen zu wollen und über Millionen Menschen zu entscheiden. Das Selektieren von notwendigen und nicht notwendigen ökonomischen Prozessen ist unmöglich und führt zu absurder Bürokratie und Willkür. Die Forderungen sind anmaßend und das Gegenteil von angewandter Freiheit. Zero-Covid entmündigt, demütigt und diktiert. Als Bewohner eines Landes, in dem zwei Diktaturen in einem Jahrhundert Heimat fanden, sollten die Unterzeichner und Unterstützer es besser wissen. Eigentlich. Aber man behält den Geist von damals bei: „Am Deutschen Wesen soll Europa genesen“. Wer bereit ist, diktatorische Maßnahmen anzuwenden, wird selbst zum Diktator. Er verlässt den Konsens einer freien Gesellschaft, von der ich hoffe, dass sie nach Ende dieser Maßnahmen noch existiert.

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„Von Abi kann keine Rede sein“ – Zwei Schüler vor dem Covid-Abschluss

Ein Interview von Julian Marius Plutz.

Die Lage in den Abschlussklassen ist angesichts der Corona-Maßnahmen angespannt. Neomarius hat sich mit zwei angehenden Absolventen via Chat unterhalten, die sich zwischen motivierten und unmotivierten Lehrern, wackeligen Internetverbindungen und kruden Petitionen fragen: „Wie können wir unter diesen Umständen Abitur machen?

Julian Marius (neomarius): Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt. Seid doch so gut und stellt euch kurz vor.

Jonas: Ich heiße Jonas, bin 19, wohne in der Fränkischen Schweiz und besuche dort ein Gymnasium bzw. gerade auch nicht.

Max: Ich bin der Max, wohne bei München und bin 17 Jahre alt. Ich habe das Vergnügen dieses Jahr Abitur machen zu dürfen…vielleicht.

neomarius: Das klingt ja nicht gerade erbaulich. Ich kam auf die Idee für dieses Gespräch, als Max meinte, es könne sein, dass das Abitur erneut verschoben wird. Auf der Seite des bayrischen Kultusministeriums ist zu lesen, dass die Prüfungen „voraussichtlich“ am 12. Mai stattfinden. Haltet ihr es für möglich, dass ihr in diesem Jahr gar keine Abiturprüfungen geschrieben wird?

Jonas: Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Der letzte Abiturjahrgang musste schreiben, als noch viel weniger über das Virus bekannt war. Deshalb bin ich mir zu 100% sicher, dass wir es schreiben müssen bzw. es stattfinden wird.

Max: Ich halte es für eher unwahrscheinlich. Man erinnere sich zurück. Vor genau einem Jahr, als erste Infektionsfälle des neuartigen Corona Viruses bekannt wurden, hatte damals auch niemand gedacht, dass zwei Monate später vollkommener Lockdown sein würde. Oder dass es irgendwann mal eine Masken Pflicht geben würde. Oder dass die Pandemie mal solche Ausmaße annehmen würde. Unmöglich halte ich angesichts des letzten Jahres daher nicht. Außerdem gibt es bereits erste Petitionen – zumindest bei mir an der Schule – die erreichen wollen, dass Abitur dieses Jahr ausfällt.

neomarius: Die Petitionen haben Schüler initiiert?

Max: Ja, es gibt verschiedenste Arten. Einige wollen das Abitur nur noch auf individuellen Wunsch stattfinden lassen, andere wollen ein drastisch vereinfachtes Mini Abitur und wieder andere wollen das Abitur komplett ausfallen lassen.

Jonas: Wenn ich da einwerfen dürfte: Bei uns an der Schule gibt es keine solchen Petitionen und darüber hinaus empfinde ich diese als nutzlos. Solche Forderung sind realitätsfern, dem Abschluss schädigend und schlicht ein Versuch, sich vor den Prüfung drücken zu können.

 Max: Das sehe ich genauso. Klar wird es nicht einfach, und ein Entgegenkommen ist sicherlich angebracht, aber ausfallen lassen geht meines Erachtens absolut nicht.

Jonas: Ja, das stimmt, ein Entgegenkommen muss es seitens des Ministeriums geben! Der jetzige Zustand kann keinesfalls als wirklicher Unterricht angesehen werden.

Max: Absolut richtig. Das ist auch was ich der Bundesregierung vorwerfe, dass es keine Sonderregelung für Abschlussklassen gibt. Da fällt mir gerade ein, dass es auch eine Petition gibt, die fordert, dass Präsenzunterricht für die Oberstufe und Abitur stattfinden soll.

„Die Schüler haben kaum Angst vor dem Virus“

neomarius: Zu den politischen Forderungen kommen wir am Ende des Gespräches. Noch einmal kurz zurück, was Jonas gesagt hat: „Vor dem Abi drücken“. Davon abgesehen, dass ich womöglich einer von den Drückebergern gewesen wäre: Vielleicht haben manche Schüler – berechtigt oder nicht – auch einfach Angst vor dem Virus. Vielleicht sehen Sie die Schulen in ihren Augen nicht ausreichend geschützt? Wie sind denn die Hygienemaßnahmen eurer Schulen? Wenn ich an Hygiene und Schule denke, denke ich an eher an die Toiletten und, naja, die waren in einem eher unterirdischen Zustand.

Jonas: Ich denke, das Hygieneonzept hängt stark von der Schule ab und variiert deshalb stark. Als die Schule für alle geöffnet war, gab es Chaos. Das Hygienekonzept war nicht wirklich umsetzbar. Wären nur die Abschlussklassen an den Schulen, wäre es deutlich einfacher machbar gewesen. Ich kann zu meiner Schule sagen, dass sich bemüht wurde, es aber bei fast 1000 Schülern schwer ist, das Hygienekonzept durchzusetzen. Die Bereitschaft bei vielen Schülern ist auch einfach nicht gegeben. Ich kann aber sagen, dass es genug Desinfektionsmittel gab.

Max: Große Unterschiede zu den vorgeschriebenen Maßnahmen gibt es bei uns nicht. Eine Maskenpflicht und die Abstandsregeln. Unsere Schule hatte auch andere Konzepte angedacht, wie Rechtsverkehr auf Gängen, um die Kontakte möglichst gering zu halten. Allerdings wurden diese Sondermaßnahmen in kleinster Weise von den Schülern beherzigt. Außerdem scheinen viele Schüler wenig Angst vor dem Virus zu haben, zumindest bei mir an der Schule. Im Oberstufenzimmer oder auch an der frischen Luft unterhalten sich viele Schüler ohne Maske und ohne Abstand.

Jonas: Das ist bei uns genauso.

„Es hängt an der Motivation des Lehrers“

neomarius: Kommen wir zum Unterricht selbst. Wie kann ich mir Distanzunterricht im Hinblick auf die Abiturvorbereitung vorstellen?

Max: Unsere Lehrer bemühen sich, stets Online Unterricht abzuhalten. Allerdings ist das in keinster Weise mit Präsenzunterricht zu vergleichen. Die Konzentration und Motivation ist in der Schule wesentlich höher als zu Hause. Vor allem ist es auch nicht immer einfach. Ich wohne in einem Haushalt mit weiteren Personen. Wenn meine Geschwister und ich gleichzeitig Onlineunterricht haben, gibt es häufig Probleme mit dem Internet, was zu Abbrüchen und Stocken führt. Und auch die Lernplattform mebis ist immer mal wieder überlastet.

Jonas: Der digitale Unterricht läuft bei uns je nach Motivation des Lehrers besser oder schlechter, an der Technik scheitert es selten. Außer natürlich an mebis. Das ist ziemlich unzuverlässig. Über Microsoft Teams lässt sich das nicht sagen. Unsere Lehrer kämpfen aber trotzdem damit den Stoff fertig zu bekommen. Bei uns ist vom Abi jedoch noch keine Rede.

neomarius: Jonas, du sagst, es hängt von der Motivation des Lehrers ab. Kannst du da noch mehr ins Detail gehen? Was macht ein motivierter Lehrer besser und ein „unmotivierter“ Lehrer schlechter?

Jonas: Motivierte Lehrer sind für mich solche, die sich in die Technik gefuchst haben und gelernt haben damit umzugehen und jetzt via Teams Konferenz einen nahezu ähnlichen Unterricht abzuhalten. Unmotivierte sind die, die eben nur schreiben, Arbeitsaufträge aufgeben und sich nicht wirklich um normalen Unterricht bemühen. Aber man muss dabei auch ein bisschen differenzieren. Im Deutschunterricht merkt man schon, dass man das Pensum einer normalen Doppelstunde in weit kürzerer Zeit effizienter durch bekommt, wenn man nicht an eine Zeit gebunden ist und die Schüler die Aufgaben auch gut alleine machen können, wie z.b. Recherche. In diesem Fach ist eine Konferenz deshalb auch nicht unbedingt notwendig.

Max: Sehe ich ähnlich. In der Tat hängt in gewisser Weise die Qualität des Unterrichts von der Motivation des Lehrers ab. Einige Lehrer scheinen die freie Zeit zu genießen und stellen maximal Arbeitsaufträge ein. Aber fast alle machen Online-Unterricht. Leider können nicht alle Lehrer mit der Technik umgehen, wodurch auch die Qualität des Unterrichts leidet.

neomarius: Wenn meine Mitarbeiter ihre Arbeit nicht nachgehen, werden sie abgemahnt. Bei mehreren Abmahnungen erfolgt die Kündigung. Sind euch Sanktionsmöglichkeiten oder wenigstens Einflussmöglichkeiten bekannt, diese Lehrer dahingehend zu beeinflussen, besseren Unterricht zu machen?

Jonas: Wenn die Frage ist, ob man sich beschweren kann. Die Antwort ist: Nein. Weil jeder weiß, dass der Lehrer am längeren Hebel sitzt.

Max: Das stimmt. Es gibt nur wenig Möglichkeiten, sich zu beschweren. Allerdings gibt es auch einige wenige Lehrer, die auch immer wieder fragen, ob der Unterricht via Onlinekonferenzen gut ist, beziehungsweise was sie verbessern können.

„Wir brauchen unkonventionelle Lösungen“

neomarius: Markus Söder hat mehrmals betont, keinem Schüler solle durch Corona Nachteile erfahren. Wenn ich in dem Gespräch lese, von Abitur sei derzeit keine Rede, dann scheint Söders Vorgabe ein frommer Wunsch zu sein. Am 12. Mai sollen nun die Prüfungen stattfinden. Was fehlt denn noch? Woran hackt es am meisten, damit Söders Forderung auch wirklich eintritt?

Jonas: Im Wesentlichen sind das zwei Dinge. Erstens: Welcher Stoff wird wirklich geprüft? Und zweitens: Ist die Vorbereitung auf die Aufgaben gewährleistet? Wir haben bis jetzt noch nichts dafür geübt. Viele aus dem Jahrgang haben Angst, dass sie durch Corona den Stoff nicht so verinnerlicht haben, wie es bei normalem Unterricht der Fall gewesen wäre. Es fehlt die Klarheit. Die wird es aber nicht geben, weil auch Markus Söder nicht in die Zukunft sehen kann.

Max: Die Frage ist, was Herr Söder mit seiner Aussage meint. Für Schüler, die mit ihrem derzeitigen Notenschnitt zufrieden sind oder durch die Corona Pandemie Nachteile und Wissenslücken im Stoff haben, mag das vielleicht zutreffen. Aber Schüler, die mit ihrem Notenschnitt nicht ganz zufrieden sind, darunter auch ich, würden gerne das Abitur zur Verbesserung nutzen. Zumal ich bereits angefangen habe, für das Abitur zu lernen. Aktuell wurde das erste Halbjahr nochmals verlängert und endet damit für uns in Bayern Anfang März. Das heißt, wir hätten noch gerade mal zwei Monate für das zweite Halbjahr, in denen wir uns noch etwas Stoff aneignen müssen und in denen wir uns auf das Abitur vorbereiten müssen. Bis jetzt war von Abi Vorbereitung noch nie die Rede gewesen….

neomarius: Was würdet ihr euch von der Politik wünschen, euch die Vorbereitung auf das Abitur zu erleichtern?

Jonas: Das ist in der Tat schwer, weil man das Abitur nicht zu leicht machen darf, sodass es keine Aussagekraft mehr hat, aber auch nicht so schwer, dass viele durchfallen. Ich denke die Politik muss einen Weg finden, dass so gut wie keiner durchfällt. Ich muss dazu sagen, dass mein Landtagsabgeordneter, Michael Hofmann, sehr auf die Interessen der Schüler achtet, weil er auch Kinder in der Schule hat und weiß, was für eine Belastung Schüler haben. Ich weiß nicht, welche Maßnahmen konkret getroffen werden sollen. Ich hoffe nur, dass das Abitur seinen Wert nicht verliert und wir nicht auch in der Zukunft unter dem „CoronaAbi“ leiden werden.

Max: Ungeachtet des Infektionsgeschehens wünsche ich mir ein halbwegs normales Abitur. Mit entsprechender Abiturvorbereitung und in Präsenzunterricht. Selbst wenn dafür unkonventionelle Lösungen gefunden werden müssen, wie etwa Unterricht in Theatern, Hotels, etc. Und in gewisser Weise ein Entgegenkommen. Das ist das mindeste was unsere Politik tun kann.

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Die gefällige Partei wählt Armin Laschet

Von Julian Marius Plutz.

Tief sitzt der Frust bei den Anhängern aus dem Team Merz. Wieder gescheitert. Wieder der zweite Wahlgang. Wieder knapp. Und wieder am Willen der Basis vorbei, die, wäre sie gefragt geworden, sich wohl für den Sauerländer entschieden hätte. Wurden sie aber nicht. Dafür ist die Delegierten-CDU zu autoritär. Sie mag keine Überraschungen und noch weniger Experimente. Daher wählten sie Armin Laschet.

Schon Helmut Schmidt erkannte, dass es zwei Parteien gibt: Die Delegierten-SPD und die Mitglieder-SPD. Nicht anders verhält es sich mit der CDU. Auf die Frage eines Users bei Twitter, warum denn die Partei ihre Mitglieder nicht befragt, antwortete ein Nutzer ironisch und sinngemäß: „Wer sichert denn dann sonst die Posten in der Partei?“ in der Antwort steckt mehr Wahrheit, als man meinen könnte. In den Hinterzimmern werden nun die Ämter vergeben und der Kurs für die Bundestagswahl festgelegt. Ob Laschet, Spahn oder Söder Kanzlerkandidat wird, ist letzten Endes nur noch eine Geschmacksfrage. Der Kurs steht.

Merz hätte die CDU unterscheidbar gemacht

Und der geht in die Richtung Schwarz-Grün. Was Merkel mit der Energiewende begann, die Deutschland weltweit einmalig hohe Strompreise bescherte , nahm seinen Lauf in der Flüchtlingskrise, die von Grünen und den Restlinken bejubelt und vor Freude mit Teddy’s beworfen wurde. Die Wahl von Armin Laschet, von dem niemand weiß, wofür er steht, zementiert ein Merkelsches „Weiter so“. Die CDU wird sich damit auf lange Sicht keinen Gefallen tun, denn war es doch Merkels Politik der fehlenden Prinzipien der Grund, weshalb sich Union und SPD seit langem nicht mehr unterschieden. Mindestlohn, Rente mit 63, offene Grenzen, Aromausstieg. Wer war noch mal dafür? Ach ja, irgendwie alle.

Mit Merz gäbe es in der CDU eine Profilierung jenseits Merkels weichgezeichneten Politik ohne Ziel und ohne Leitidee. Es wäre ein Risiko gewesen. Ja. Aber wenn man nichts riskiert, riskiert man alles. Ein Vorsitzender Friedrich Merz hätte die Chance gehabt, der AfD ihre Strahlkraft als vermeintlich einzige Alternative jenseits der Altparteien zu nehmen. Aber die Delegierten-CDU wollte es nicht. Sie möchte gefällig sein. Laschet verkörpert das. Das rheinisch-frohe personifizierte politische Nichts. Das schwarze Loch vom Niederrhein. Immer lächeln, immer grinsen. Und sich niemals festlegen. Inhaltlich steht er seinem Sohn jedenfalls in nichts nach. Mit dem Unterschied, dass Joe Laschet keine Politik macht, sondern Instagram.

Des einem Freud ist des anderen Leid

Ärgern dürfte sich dagegen die SPD. Mit Friedrich Merz hätten die Sozialdemokraten ein wirklich griffiges Feindbild, an dem man sich hätte abarbeiten könnte. Nun haben sie Laschet vor der Flinte, womöglich sogar als Kanzlerkandidat. Wo soll da der Angriffspunkt sein? Der neue CDU Vorsitzende könnte ohne Probleme auch Mitglied der SPD sein. Dann wäre er eben bei den Sozis inhaltlos. Ich glaube, dass vielen im Willy-Brandt – Haus das Ergebnis beim digitalen Parteitag der CDU gar nicht gefällt. Für die (ehemalige) Arbeiterpartei wird es nun im September noch schwerer. Es sei denn die Bundestagswahl wird aufgrund der Pandemie auf unbegrenzte Zeit verschoben und Angela Merkel bleibt uns bis auf weiteres erhalten. Mich würde es nicht wundern, aber mich wundert auch gar nix mehr.

Viele in der FDP dürfte der Wahlausgang eher freuen, befürchtete doch das eine oder andere Mitglied, Merz hätte den Liberalen aufgrund seines Fokus auf Ökonomie Stimmen nehmen können. Das ist nun mit Armin Laschet nicht zu befürchten, denn der hat kein Programm. Dank seiner Herz-Schmerz Bewerbungsrede wissen wir nun zwar, dass sein Vater Bergarbeiter war, leider vergaß der vergnügte Armin zu erwähnen, was er denn als Vorsitzender inhaltlich so vor hat. Den Delegierten hat dies genügt. Die Basis bedankt sich. Und die FDP hofft auf ein paar mehr Stimmen.

Und die AfD? Lacht sich tot. Denn das Feindbild Merkel lässt sich problemlos auf Armin Laschet, der jede Entscheidung der Kanzlerin mittrug und verteidigte, anwenden. Kein einziger AfD Wähler, der einst die CDU gewählt hatte und es seit Merkel nicht mehr tat, wird mit Laschet zurückgewonnen werden. Kein einziger. Eher noch wählen noch weniger Menschen die SPD und kommen zur Sozialdemokratie mit dem „C“ als ersten Buchstaben.

Der Tod der CDU

Leid tut es mir um die vielen Anhänger von Merz, den einen oder anderen kenne ich dann doch, die teilweise seit zwei Jahren für ihren Kandidaten gekämpft haben. Unentgeltlich, in der Freizeit. Zwischen Schule, Job oder Uni. Sie wurden übergangen, die Basis, die in allen Umfragen eindeutig Friedrich Merz gewählt hätte, wurde ignoriert. Die Delegierten hätten dies berücksichtigen müssen. Diese Ignoranz hat das Potential, die Partei zu spalten.

Für mich ist die CDU hiermit endgültig verstorben. Dieser Parteitag war vielleicht die letzte Chance, den identitätslosen Kurs von Angela Merkel, der ein ganzes Land entzweite, zu korrigieren. Es hätte ein Parteitags des Aufbruchs sein können. Die CDU hätte sichtbarer in ihren Inhalten werden können. Hätte, hätte. Und ich hätte mir einen Kommentar mit ständigen Konjunktiven, Wolf Schneider wäre wenig amüsiert, gespart. Doch das ist nicht so wichtig. Was von diesem Parteitag bleibt, ist die Einsicht, dass die CDU nicht die Lösung ist. Andere Parteien könnte das sein, oder einfach weniger Parteien. Weniger Politik und mehr Freiheit wagen kann auch eine Devise sein.

Die christlich-demokratische Partei ist dagegen am 16. Januar 2021 mit fulminanter Bedeutungslosigkeit entschlafen. Möge sie in Frieden ruhen.

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Über Mythen: „Kapital gegen Arbeit“ in Zeiten von Corona

Von Julian Marius Plutz.

Professor Ulrich Pallasch empfand sich völlig zurecht als Prototyp seines Berufsstandes. Der promovierte und folgerichtig auch habilitierte Jurist strahlte mit jedem Satz und jeder Geste die selbsterkannte Bedeutung jahrzehntelanger Forschung und Lehre, hauptsächlich Letzteres, aus. Und jedes Gespräch abseits des Hörsaals bedeutete eine kleine Vorlesung. Selbst, wenn es sich lediglich um ein paar Sätze handelte.

Bereits in der ersten Vorlesung machte der Professor seinen Studenten unmissverständlich klar, wohin die Reise in diesem Semester gehen sollte: Das Arbeitsrecht, so sinnierte er, sei der Kampf zwischen Kapital und Arbeit. Es folgten einige Zitate von Karl Marx. Man muss dazu sagen, dass es sich um einen wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang handelte einer tendenziell praxisorientierten Hochschule. Doch der Bazillus des Marxismus, der in angewandter Form eine außergewöhnliche Geschichte des Scheiterns vorweisen kann, hatte sich auch dort eingeschlichen.

Der Irrtum von „der“ Wirtschaft

Das Erzählmuster vom Kampf Kapital gegen Arbeit hat nicht nur Marx, Engels, Liebknecht, Schuhmacher, Wagenkenecht, Lafontaine und Konsorten überlebt, sondern auch sich selbst. Der Gedanke wurde längst in der DNA von Politik, Feuilleton, aber auch der Kultur und den allermeisten Journalisten implementiert. Es handelt von dem Narrativ der steten Ausbeutung der Arbeiterklasse von den Kapitalisten um den Profit zu mehren, damit sich die Kapitalisten sich die Taschen mit Geld vollstopfen, das eigentlich der Arbeiterklasse gehörte. Deswegen fordern nicht wenige, in der Regel Fachwissenfremde, dass die Wirtschaft in dem Corona Wahnsinn doch endlich auch eingeschränkt werden sollte. Doch zu diesem Irrtum komme ich noch.

Wenn man lediglich im Schwarz-Weiß Modus zu denken vermag, dort die Unternehmer, da die im Zwang Arbeitenden, kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, wie böse dieses Wirtschaftssystem doch sei. In einem geschlossenen Freund/Feind Bild kann kaum Erkenntnis jenseits des entsättigten Denkens entstehen, da ja die Einteilung bereits feststeht. „Wenn das Feindbild geklärt ist, hat der Tag Struktur“ heißt es beim Volker Pispers. Ironie: Der Kabarettist, so talentiert, wie pointiert er auch sei, hat mehr als einmal stereotype Feindbilder in seinen Programmen bedient.

Leute, die von zwei Fronten, der Wirtschaft und offenkundig dem Rest, sprechen, haben ein verklärtes Bild auf die Realität. Sie sind der Meinung, die Wirtschaft sei ein monolithischer Block in einem Subsystem, das heimlich Fäden zieht, lobbyiert und intrigiert. Die Menschen mit dieser Annahme gehen erstaunlich selektiv vor: So ist die Wirtschaft nicht etwa der kleine Buchladen, wohl aber die große Buchladenkette. Zum imaginären Weltverband die Wirtschaft gehört auch nicht der Automechaniker um die Ecke, aber in jedem Fall der Automobilkonzern. Unabhängig, dass in den Konzernen sehr viele Menschen beschäftigt sind und durch den Profit Steuern abführen, die die sozialen Herzensprojekte der Linken finanzieren.

„Die“ Wirtschaft macht unser Leben möglich

Sicher: Interessensverbände betreiben Lobbyismus. Seien es große Industrieverbände, Gewerkschaften oder Umweltvereine. Die Lobbyisten der Personaldienstleister haben beispielsweise bis zu letzt das Vorhaben des Arbeitsministers versucht zu verhindern, ihre Branche maßgeblich zu schaden- ohne Erfolg. Lobbyismus ist also völlig normal und keine exklusive Handhabe der Wirtschaft. Doch offenkundig gibt es guten und schlechten Lobbyismus, was erstaunt. Denn eigentlich haben alle gemeinsam ein Ziel: Eine funktionierende Gesellschaft mit Aufstiegschancen unabhängig der gemeinschaftlichen Herkunft. Eine Idee, die sich auch lange Zeit die Sozialdemokratie in ihrer Arbeiterselbsthilfe verschrieb. Doch das scheint Hubertus Heil, der noch nie jenseits seiner Partei gearbeitet hat, vergessen zu haben.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis das marxsche Narrativ „Kapital versus Arbeit“ auch auf die Corona-Krise angewandt wurde. Eigentlich überrascht es, dass es erst so spät geschehen ist. Die Initiative #zerocovid fordert beispielsweise ein komplettes Herunterfahren der Wirtschaft, bis die Infektionszahlen bei null sind. Bezahlen sollten das die Reichen, also wohl mit einer Vermögenssteuer.

Hier ist ein kleiner Exkurs erforderlich: Eine Vermögenssteuer ist eine Substanzsteuer. Das heißt, um überhaupt Steuern daraus zu generieren, muss eine Substanz vorhanden sein. Diese kann jedoch nur gebildet werden, wenn Kapitalgeber Kapital geben können und Rendite erwirtschaften und dadurch hohe Löhne gezahlt werden können, die so viel Substanz erschaffen, dass sie gemäß der Vermögenssteuer steuerpflichtig sind. Doch genau dies wird mit einem #zerocovid verhindert. Denn wenn die gesamte Wirtschaft nicht mehr wirtschaften kann, gibt es auch keine hohe Rendite und keine hochpreisigen Mitarbeiter. Also auch keine Substanz, die die Vermögenssteuer tragen könnte.

Davon abgesehen hat die Wirtschaft bereits enorme Einschränkungen ertragen müssen. Vor dem Krisenjahr 2019 waren mehr als 140.000 Friseure beschäftigt in rund 80.000 Salons, die stillstehen. In der Hotel- und Gastronomiebranche arbeiten 428.000 Menschen, noch zumindest, in 71.800 Restaurants, 3400 Imbissbuden, 4.300 Bars und Clubs sowie in etwa 11.700 Cafés. 2019 erwirtschafteten diese Betriebe mehr als 82 Milliarden Euro, das zu erheblichen steuerlichen Einkünften für den Fiskus geführt haben dürfte. Nicht erwähnt sei der non-Food Einzelhandel, aber auch Nagelstudios, Tattoostudios – alle Dienstleister, die jenseits der Medizin am Menschen arbeiten.

Am Ende geht es um Freiheit oder Knechtschaft

Und wenn ich dann noch lese, wie grandios die angekündigte Bazooka von Olaf Scholz wirkt – Motel One bekommt für seine 75 Hotels, die so gut wie leer stehen, ganze 50.000 Euro – so könnte ich lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Vor allem aber zeigt es die Bigotterie der Vulgärsozialisten. Ist des denn erstrebenswert, dass noch mehr Unternehmen sich einschränken müssen? Ist geteiltes Leid, halbes Leid? Oder einfach nur noch mehr Leid, dass am Ende die wahrlich vulnerablen Gruppen, die Angestellten der Unternehmen betrifft?

Die Firmen, die jetzt noch wie üblich funktionieren, finanzieren die politischen Entscheidungen in einem Ausmaß, das den Vulgärsozialisten gar nicht klar zu sein scheint. Es ist undenkbar, ein Jahr wie 2019 zu wiederholen. Mit einer Staatsverschuldung von 2,1 Billionen Euro schreibt Deutschland traurige Geschichte. In Rekordzeit schnellte die Verschuldung an die Spitze der Statistik und in die Bücher der Historiker. Das gab es noch nie. Was für viele als Petitesse abgetan wird, wird sich als mehr als das erweisen. Die Kinder von heute müssen mit diesem Defizit leben. Politiker von übermorgen stehen vor der Wahl, wie sie das bewältigen sollen. Mit Wirtschaftswachstum oder mit Steuererhöhungen. Jedoch hängt beides zusammen.

Der ewige Kampf von Marx und seinen Gesinnungsbrüdern, der Kampf von Kapital gegen Arbeit, muss aufgebrochen werden. Er ist im Kern unlogisch. Wenn man ehrlich ist, geht es immer um die Frage von Freiheit oder Knechtschaft. Oder wie hat es der eben zurückgetretene Ministerpräsident der Niederlande, der im März wieder zur Wahl steht, Mark Rutte, formuliert:

Der Staat muss klein und kräftig sein, keine Glücksmaschine, die den Menschen das gesamte Leben aus den Händen nimmt. Menschen müssen mit Verve leben können, Raum bekommen, um aus ihrem Leben etwas Außergewöhnliches zu machen“

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Über Schande – Der Sturm auf das Capitol

Von Julian Marius Plutz.

Kaum ein Satz verdeutlichte die unglaubliche Verbissenheit, ja, den schieren Hass auf den Anderen, einfach, weil der eine so ist, wie er ist. Einfach, weil er existiert. Der Satz geht so: „I’m fighting because you’re down here“, antwortete ein Soldat der Konföderation im amerikanischen Bürgerkrieg auf die Frage, warum er denn im Krieg sei. Er kämpfte, weil die Yankees, die Kontrahenten im Norden, leben. Ihre bloße Existenz schien dem Kämpfer, der diese Worte während seiner Verhaftung von sich gab, so zu provozieren, dass er weiland zu den Waffen gegriffen hatte. Kaum genuiner kann eine Hasserklärung aussehen. Im Sezessionskrieg von 1861 und 1865 verloren in den Vereinigten Staaten rund 750.000 Menschen ihr Leben.

So blutig und vermeidbar der Krieg aus heutiger Sicht sein mag, so wegbereitend erwies er sich aus historischer Warte – auf den Staatenbund selbst. Denn das Ende des Krieges manifestierte den Weg in ein bis heute vereinigtes Land aus souveränen, einzelnen Staaten: The United States of America. Doch der Weg war gepflastert mit Leichen. Der Preis war entsetzlich hoch.

Vergleichen heißt nicht gleichzusetzen

Nun herrscht bei vielen Menschen der Eindruck, historische Vergleiche schickten sich nicht. Sie seien ungenau und aus den damaligen Gegebenheiten, eben aus dem geschichtlichen Kontext gerissen. Das stimmt insofern, wenn man vergleichen mit gleichsetzen verwechselt. Denn es ist gut möglich, dass man zwei historische Ereignisse nebeneinander legt und zum Ergebnis kommt, dass man kann sie kaum gleichsetzen kann. Ja. Und dennoch kann man einzelne Dinge aus diesem Vergleich ziehen und Parallelen sehen.

So ist das Agieren der militanten Antifa natürlich nicht mit der Nazizeit gleichzusetzen. Aber trotzdem sind Übereinstimmungen einzelner Handlungsweisen, beispielsweise mit der SA vor der Machtergreifung im Jahr 1933 beobachtbar. Damit relativiert man noch lange nicht die unbestrittene Singularität des Hitler-Regimes, respektive der Shoah. Im Gegenteil: Oftmals wirkt ein solcher Vergleich wie ein Brennglas, aktuelle Probleme deutlicher zu machen.

Trump war „nicht hilfreich“

Am 6. Januar 2020 wurde ebenfalls Geschichte geschrieben und zwar keiner dieser vielen, schönen Momente, die man mit historischen Ereignissen auch verknüpfen kann. Es war einer der hässlichen der USA. Mehrere Hundert gewaltbereite Demonstranten stürmten das Capitol, um die Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden zu verhindern. Abgeordnete mussten evakuiert werden. Die Sitzung wurde unterbrochen. Demonstranten überwältigten Sicherheitskräfte. Mindestens 14 von den Angegriffenen wurden verletzt, zwei davon schwer. In der völligen Abwesenheit von Pietät und Respekt, pflanzte sich einer der Agitatoren auf den Schreibtisch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und ließ sich dabei fotografieren.

Das Ende vom Lied: Neben den verletzten Sicherheitskräfte starben vier der Demonstranten. Was für eine Schande. Im Momentum der praktizierten Demokratie versuchten Angreifer, die Ernennung des zukünftigen Präsidenten zu stören. Dass nicht noch mehr Tote zu beklagen waren, verdankten die Unbeteiligten und Zivilisten dem Einschreiten der Nationalgarde, dessen Präsenz laut dem Radiosender b5 aktuell Vice Präsident Mike Pence in einem lichten Augenblick seiner Amtszeit bestellt hatte.

Inwieweit der amtierende Präsident Schuld an den Attacken trägt, mag ich nicht beurteilen. Dafür bin ich zu weit weg und dafür sind mir die Kausalitätsnarrative vom Wort, das nonchalant zur Tat wird, intellektuell zu dürftig. Aber, um eine Phrase von Angela Merkel aus einem anderen Kontext zu entleihen: Trumps stetes Negieren des amtlich bestätigten Wahlergebnisses war nicht hilfreich. Oder es mit dem achgut-Autor Joachim Steinhöfel wesentlich deutlicher zu betonen: Jagt Trump aus dem Weißen Haus! Es ist Zeit, endlich, ist es Zeit. Zuviel ist passiert und viel zu wenig geschehen. Und wenn man Trump mit dem Sessel aus dem Weißen Haus tragen muss, dann sollen sie das in Gottes Namen tun.

Auch der Teil seiner fanatischen Anhänger, die am Sturm auf das Capitol beteiligt waren, tragen den Hass in sich, den der Südataaten-Soldat formulierte: „Ich kämpfe, weil ihr da seid“. Und auch an diesem denkwürdigen Dreikönigstag sah man unter den Angreifern Fahnen der Konföderation. Sie scheinen den sprichwörtlichen Schuss nicht gehört zu haben.

Es ist etwas geschehen, was nie hätte passieren dürfen

An die Journalisten, die ihre Kommentare in völliger Sicherheit der eigenen Bedeutung mit den Worten beginnen: „Amerika war noch nie so gespalten“, sei gesagt: Nein. Zwischen 1851 und 1865 waren die Staaten um Längen entzweiter, so hatte das Land gar zwei Präsidenten. Und dennoch stehen die USA vor einer enormen Herausforderung. Sei es moralisch, ideologisch oder materiell. Jedoch beweisen die bewährten Institutionen in diesem Moment ihre demokratische Handlungsfähigkeit. Joe Biden wurde seines Amtes bestätigt. Er wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein. Er ist bald der mächtigste Mann der Welt.

Und dennoch war der Sturm des Capitols mehr als nur ein Zwischenfall. Deswegen schreibe ich darüber. Am 6.1.2020 wurde eine rote Linie überschritten. Es ist etwas geschehen, was nie hätte geschehen dürfen. In einer Demokratie halten die Verlierer von Wahlen ihre Niederlage aus und akzeptieren den Sieg des Kontrahenten. Dieser Tag war mehr als nur ein Warnschuss. „Ich kämpfe, weil ihr hier seid“, ist Realität geworden. Der Geist von „Nord gegen Süd“ wabert durch die Staaten. Doch geht es dieses Mal nicht um die Duldung der Sklavenhaltung. Heute geht es um die Spielregeln einer moderner Zivilisation. Um Anstand und Respekt, eigentlich konservative Werte. Es geht um die Anerkennung und vielleicht auch um den Erhalt von Demokratie.

Man kann Joe Biden und seinem Kader nur wünschen, den Spirit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten wieder in den Vordergrund zu rücken. Denn entgegen der schäbigen Demonstranten vor und die Täter im Capitol, die sich dem reaktionären Slogan „I’m fighting because you’re down here“ unterwarfen, sind in der Declaration of Independence die wunderbaren Worte zu finden, die ein jeder freiheitliche Mensch nur bejahen kann:

Life, Liberty and the pursuit of Happiness

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Prof. Dr. Propaganda Drosten

Von Julian Marius Plutz.

Steffen Seibert hat es in der Pandemie schwer. Nicht, weil die Fragen der Journaille in der Bundespressekonferenz so hart geworden wären. Nein, alles Kritik perlt an dem ehemaligen „Heute“- Moderator, jetzt Merkels Pressesprecher, ab, als sei er eine Teflonpfanne von WMF. Die schiere Arroganz gegenüber der ehemaligen Kollegen des Herrn Seiberts lässt kaum vermuten, dass er einst mal einer von ihnen war.

Nein, Seibert hat es schwer, weil er Konkurrenz bekommen hat in seiner Kernkompetenz: Agitation und Propaganda. Ein Christian stieg empor und macht ihm seinen Status als Chefverkünder von Muttis Politik streitig. Prof. Dr. Christian Heiner Maria Drosten. Ganz kostenlos, womöglich zumindest, verteidigt er die Beschaffungspolitik der Bundesregierung in Sachen Corona-Impfstoff.

Der Berliner Morgenpost stand der neue Pressesprecher Rede und Antwort, warum die EU im Besonderen und Deutschland im speziellen Stand 3.1.2020 so wenig Impfstoff eingekauft hat. „Das ist eine Frage, die ich so gar nicht beantworten kann und auch nicht will.“ so Herr Drosten. Okay, das klingt ehrlich. Zumindest wenn das Interview an der Stelle beendet gewesen wäre. War es jedoch leider nicht. Denn der Virologe fabulierte weiter: „Man musste den Impfstoff mit Monaten Vorlauf bestellen – und wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, ob der betreffende Impfstoff auch funktionieren würde. Es ist jetzt praktisch unmöglich, das im Nachhinein zu bewerten“.

Nun ist es so, dass andere Länder wie Israel, Großbritannien, aber auch die USA die Herausforderung mit dem Vakzine besser gelöst haben, als Deutschland. Die Neurologin Frauke Zipp beschreibt das wie folgt: „Ich halte die derzeitige Situation für grobes Versagen der Verantwortlichen.“ So habe es im Juli mehr Angebote gegeben für mehr Impfstoff vom deutschen Unternehmen BioNTech. Dessen Gründer Ugur Sahin zeigte sich ebenfalls erstaunt. Der Prozess in Europa sei nicht so schnell und geradlinig abgelaufen wie anderen Ländern, so der Forscher. Und weiter: „Offenbar herrschte der Eindruck: Wir kriegen genug, es wird alles nicht so schlimm, und wir haben das unter Kontrolle (…) Mich hat das gewundert.“

Und Regierungssprecher Drosten? „Es ist praktisch unmöglich, das (die Impfstoffbeschaffung) im Nachhinein zu bewerten“. Okay, aber warum kommen Herr Sahin und Frau Zipp zu gänzlich anderen Ergebnissen? Vielleicht, weil sie nicht so nah an der Regierung sind? Sie stehen für die uneingeschränkte Solidarität für Merkel, Spahn, Söder und Co. nicht zur Verfügung. Drosten hat sich anders entschieden. Wieder einmal überschreitet der Virologe die Grenze von deskriptiv zu normativ. Er redet lange nicht mehr als Wissenschaftler. Er ist zum Politiker geworden. Er ist längst Teil des Regimes.

Das ist Steffen Seibert freilich auch. Er bekommt für seine Agitation Geld und auf dem Schild seines Büros steht: „Regierungssprecher der deutschen Bundesregierung“. Bei Drosten hingegen ist zu lesen: „Insitutsdirektor des Instituts für Virologie der Charité“. Einen Titel, den er längst überwunden hat. Er ist zu größeren Würden berufen. „Drosten der Mann, der die Krise steuert, der uns durch die Krise navigiert.“, schrieb der Stern. So wohlwollend die Gruner + Jahr Gazette es gemeint hat, so erschreckend und wahr sind diese Zeilen. Ob er will, oder nicht, er hat die Macht, die deutsche Politik in Sachen Corona entscheidend zu beeinflussen.

Eine Macht, von der Steffen Seibert nur träumen kann.

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Die Grenzen der Wissenschaft in Zeiten von Corona

Von Julian Marius Plutz

Das Jahr des Virus, 2020, ist auch das Jahr der Präzedenzlosigkeiten. Seit 1945 haben die Deutschen nicht mehr solche autoritäre Entscheidungen erleben müssen. Ludwig von Mises, maßgeblicher Wegbereiter der Österreichischen Schule, würde diese kratisch nennen, sprich herrschaftliches, also vom Staate erzwungenes Handeln (vgl: „Demokratie“, demos: das Volk, kratos: Herrschaft). Die Politik war sich stets sicher, mit Maßnahmen aus dem Mittelalter, also Wegsperren von Menschen, COVID-19 zu besiegen. Dekrete sollten die Epidemie in Schach halten.

Intellektuell und am Ende des Tages auch emotional legitimierten Naturwissenschaftler die Politik strikter Maßnahmen gegen SARS-Cov-2. Mein Eindruck ist jedoch auch, dass Virologen an mancher Stelle Entscheidungen nicht nur legitimieren, sondern in letzterer Konsequenz diktieren. Freilich ohne es zu wollen, so haben Drosten und Konsorten keine explizite Macht, sprich legislative oder exekutive Autorität. Aber dennoch kann ein Interview oder ein Tweet eines exponierten Wissenschaftlers in dieser Krise enorme Auswirkungen haben.

Denn mit der Macht der Expertise und der medialen Aufmerksamkeit beginnt die Aussage größer und größer, sprich mächtiger zu werden. Am Ende ist es möglich, dass ein Politiker sich bemüßigt fühlt, die Entscheidung zu übernehmen, weil der gesellschaftliche Druck so sehr gewachsen ist, dass er seinen Posten in Gefahr sieht. Tut es er nicht, manövriert er sich in die für ihn ungünstige Lage, gegen einen Experten zu opponieren. Wer will schon gegen die Wissenschaft sein? Zu dieser erstaunlichen Erwartungshaltung, einer Art Einheits-Empirie und ex cathedra-Wissenschaft komme ich später.

Naturwissenschaften erklären – mit Geisteswissenschaften verstehen

Nun ist es keine Überraschung und auch gut so, dass sich Politiker Ratschläge von Wissenschaftlern einholen. Zwar gibt es Fachpolitiker, die entweder aufgrund ihrer Profession Wissen mit in die parlamentarische Arbeit bringen. Eine andere Möglichkeit ist, dass sie sich mehr oder weniger intensiv in ein Themengebiet eingearbeitet haben und sie von nun an als Fachpolitiker auftreten. Was nicht vergessen werden sollte: Auch jenseits der Universitäten stehen Experten bereit, die durch ihren Beruf Erfahrung und Wissen erworben haben, das für die Politik wichtig sein können. Als Beispiele seien hier Pfleger genannt, aber auch Polizisten, Soldaten oder alle Art von Handwerker. Doch dieses Fachwissen reicht nicht immer aus, richtige politische Entscheidungen zu treffen. Deshalb benötigt es von mal zu mal akademische Hilfe jenseits des Parlaments.

Schwierig wird es, wenn sich Politiker allein aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis leiten und andere gesellschaftliche Argumente außen vor lassen. An dieser Stelle ist eine wichtige Differenzierung nötig. Ob bei dem Mantra von Fridays for Future oder dem der Beführworter und Verantwortlichen der autoritären Corona-Maßnahmen geht es stets um Naturwissenschaften. Dieses Mantra lautet „folgt der Wissenschaft!“, was beinahe wie eine Drohung klingt. In vielen süddeutschen Dialekten ist „folgt“ gleichbedeutend mit „befolgt“, also eine eindeutig imperative Aussage. Die Politik hat die Forderungen von Naturwissenschaften zu befolgen. Dabei besteht Erkenntnisgewinn über die das menschliche Leben in all seinen Facetten aus wesentlich mehr.

Wilhelm Diltrey, der Vater der Geisteswissenschaften, beschrieb es so: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“ Naturwissenschaften können mittels einer Verbindung von Hypothesen einen Zusammenhang der Natur erklären. Eine Wirkung entspringt einer Ursache. Für die Geisteswissenschaften folgt dagegen, dass in ihnen „der Zusammenhang des Seelenlebens“, wie Diltrey es nennt, als ursprünglich gegeben ist und überall zu Grunde liegt. Oder vereinfacht gesagt: Naturwissenschaften befassen sich mit dem „wie“. Wie verbreitet sich ein Virus? Wie sind die Risikogruppen definiert? Geisteswissenschaften dagegen versuchen das „warum“ darzustellen. Warum handeln Menschen in der Pandemie in einer Weise, andere handeln dagegen anders?

Überleben statt Leben

Es ist nachvollziehbar, dass in den Zeiten einer unklaren epidemischen Lage im März 2020 die ersten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse dazu genutzt wurden, Maßnahmen der Exekutive zu begründen. Doch heute darf die Nützlichkeit dieses Regierens angezweifelt werden. Inwieweit der Passus im Infektionsschutzgesetz, wir haben es mit „einer Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ zutrifft, der die allerhand kratischen Maßnahmen legitimiert, werden am Ende Juristen entscheiden müssen.

Doch so wie das politische Argumentieren im zweiten Quartal 2020 verständlich war, so schwierig stellten die Entscheidungen im November und Dezember, erneut das Leben in Deutschland – in letzter Konsequenz – per polizeilicher Gewalt lahmzulegen. Spätestens dann hätte das Mantra „folgt der (Natur-)Wissenschaft“ beendet sein bzw, neben ihren Erkenntnissen auch andere Disziplinen zu Worte kommen müssen. In Zeiten COVID-19 gibt es vulnerable Gruppen, wie alte und multipel Erkrankte. Doch in Zeiten des Lockdowns leiden gesellschaftlich vulnerable Personen ebenfalls. Psychisch Kranke, Menschen ohne Familie – sprich einsame Menschen. Kinder aus prekären Familien werden in diesen Momenten ihrer Zukunft beraubt. Häusliche Gewalt nimmt zu. Künstler zerbrechen am Berufsverbot. Der Eindruck entsteht, dass Deutschland sich im Kriegszustand befindet und wir deshalb bereit sind, kollektive Grausamkeiten in Kauf zu nehmen.

Doch die politische Agenda unterwirft sich einem inszenierten Kampf ums nackte Überleben. Jeder Tote in Verbindung mit Corona sei einer zu viel, heißt es. Vergessen hierbei werden die Tausenden großen und kleinen Nadelstiche. Die beschriebenen Kollateralschäden werden hingenommen, in Medien zwar kurz bedauert, aber sodann als Unvermeidbar abgeknickt. Dieses als Pandemie-gegebene Schicksal hingenommene Leid ist für einen Staat, der sich ansonsten an jeder Stelle als ein Sozialer deklariert, eine Zumutung. All diese Opfer sind auch Opfer des Mantras „Folgt der (Natur-)Wissenschaft“.

Empirie stößt an ihre Grenzen

Dabei gibt es weder die Wissenschaft, noch spricht sie wie der Papst ex cathedra. Wissenschaft ist organisierter Zweifel. Im Januar 2020 noch war Christian Drosten der Ansicht, Masken helfen nicht, das Infektionsgeschehen zu beeinflussen. Kurze Zeit später musste er sich korrigieren, die Erkenntnislage änderte sich. Das ist ihm natürlich nicht zum Vorwurf zu machen ( allenfalls seine absolute Aussage damals in der Sendung) Wissenschaft ändert sich. Das ist normal. Untypisch daher ist der Aufruf, der Wissenschaft zu folgen. Von welcher Wissenschaft sprechen sie? Kann man tatsächlich menschliches Verhalten mithilfe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse planen? Es scheint, dass dieser technokratische Sozialismus für viele Politiker das totale Ziel darstellt.

Auch Ludwig von Mises war der Meinung, dass Empirie das menschliche Handeln nicht erklären kann. Also entwarf er seine eigene Denkschule, die der Praxeologie. Politik kommt nicht umhin, Geisteswissenschaften einen größeren Raum zu gewähren, um am Ende zu politischen Entscheidungen zu kommen. Auch in Corona-Zeiten können Infektions- und Todeszahlen, nicht alleiniger Maßstab sein. Die Selbstverantwortung muss wieder Fokus der deutschen Apparatschiks werden. Doch gerade hierzulande hat die Freiheit einen schweren Stand, da der Eindruck entstanden ist, der Deutsche ziehe im Zweifel Sicherheit und Unmündigkeit vor. So befand auch Mises:

Man kennt in Deutschland den Liberalismus nicht mehr, aber man weiß ihn zu schmähen.