Von Julian Marius Plutz.
Kaum ein Satz verdeutlichte die unglaubliche Verbissenheit, ja, den schieren Hass auf den Anderen, einfach, weil der eine so ist, wie er ist. Einfach, weil er existiert. Der Satz geht so: „I’m fighting because you’re down here“, antwortete ein Soldat der Konföderation im amerikanischen Bürgerkrieg auf die Frage, warum er denn im Krieg sei. Er kämpfte, weil die Yankees, die Kontrahenten im Norden, leben. Ihre bloße Existenz schien dem Kämpfer, der diese Worte während seiner Verhaftung von sich gab, so zu provozieren, dass er weiland zu den Waffen gegriffen hatte. Kaum genuiner kann eine Hasserklärung aussehen. Im Sezessionskrieg von 1861 und 1865 verloren in den Vereinigten Staaten rund 750.000 Menschen ihr Leben.
So blutig und vermeidbar der Krieg aus heutiger Sicht sein mag, so wegbereitend erwies er sich aus historischer Warte – auf den Staatenbund selbst. Denn das Ende des Krieges manifestierte den Weg in ein bis heute vereinigtes Land aus souveränen, einzelnen Staaten: The United States of America. Doch der Weg war gepflastert mit Leichen. Der Preis war entsetzlich hoch.
Vergleichen heißt nicht gleichzusetzen
Nun herrscht bei vielen Menschen der Eindruck, historische Vergleiche schickten sich nicht. Sie seien ungenau und aus den damaligen Gegebenheiten, eben aus dem geschichtlichen Kontext gerissen. Das stimmt insofern, wenn man vergleichen mit gleichsetzen verwechselt. Denn es ist gut möglich, dass man zwei historische Ereignisse nebeneinander legt und zum Ergebnis kommt, dass man kann sie kaum gleichsetzen kann. Ja. Und dennoch kann man einzelne Dinge aus diesem Vergleich ziehen und Parallelen sehen.
So ist das Agieren der militanten Antifa natürlich nicht mit der Nazizeit gleichzusetzen. Aber trotzdem sind Übereinstimmungen einzelner Handlungsweisen, beispielsweise mit der SA vor der Machtergreifung im Jahr 1933 beobachtbar. Damit relativiert man noch lange nicht die unbestrittene Singularität des Hitler-Regimes, respektive der Shoah. Im Gegenteil: Oftmals wirkt ein solcher Vergleich wie ein Brennglas, aktuelle Probleme deutlicher zu machen.
Trump war „nicht hilfreich“
Am 6. Januar 2020 wurde ebenfalls Geschichte geschrieben und zwar keiner dieser vielen, schönen Momente, die man mit historischen Ereignissen auch verknüpfen kann. Es war einer der hässlichen der USA. Mehrere Hundert gewaltbereite Demonstranten stürmten das Capitol, um die Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden zu verhindern. Abgeordnete mussten evakuiert werden. Die Sitzung wurde unterbrochen. Demonstranten überwältigten Sicherheitskräfte. Mindestens 14 von den Angegriffenen wurden verletzt, zwei davon schwer. In der völligen Abwesenheit von Pietät und Respekt, pflanzte sich einer der Agitatoren auf den Schreibtisch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und ließ sich dabei fotografieren.
Das Ende vom Lied: Neben den verletzten Sicherheitskräfte starben vier der Demonstranten. Was für eine Schande. Im Momentum der praktizierten Demokratie versuchten Angreifer, die Ernennung des zukünftigen Präsidenten zu stören. Dass nicht noch mehr Tote zu beklagen waren, verdankten die Unbeteiligten und Zivilisten dem Einschreiten der Nationalgarde, dessen Präsenz laut dem Radiosender b5 aktuell Vice Präsident Mike Pence in einem lichten Augenblick seiner Amtszeit bestellt hatte.
Inwieweit der amtierende Präsident Schuld an den Attacken trägt, mag ich nicht beurteilen. Dafür bin ich zu weit weg und dafür sind mir die Kausalitätsnarrative vom Wort, das nonchalant zur Tat wird, intellektuell zu dürftig. Aber, um eine Phrase von Angela Merkel aus einem anderen Kontext zu entleihen: Trumps stetes Negieren des amtlich bestätigten Wahlergebnisses war nicht hilfreich. Oder es mit dem achgut-Autor Joachim Steinhöfel wesentlich deutlicher zu betonen: Jagt Trump aus dem Weißen Haus! Es ist Zeit, endlich, ist es Zeit. Zuviel ist passiert und viel zu wenig geschehen. Und wenn man Trump mit dem Sessel aus dem Weißen Haus tragen muss, dann sollen sie das in Gottes Namen tun.
Auch der Teil seiner fanatischen Anhänger, die am Sturm auf das Capitol beteiligt waren, tragen den Hass in sich, den der Südataaten-Soldat formulierte: „Ich kämpfe, weil ihr da seid“. Und auch an diesem denkwürdigen Dreikönigstag sah man unter den Angreifern Fahnen der Konföderation. Sie scheinen den sprichwörtlichen Schuss nicht gehört zu haben.
Es ist etwas geschehen, was nie hätte passieren dürfen
An die Journalisten, die ihre Kommentare in völliger Sicherheit der eigenen Bedeutung mit den Worten beginnen: „Amerika war noch nie so gespalten“, sei gesagt: Nein. Zwischen 1851 und 1865 waren die Staaten um Längen entzweiter, so hatte das Land gar zwei Präsidenten. Und dennoch stehen die USA vor einer enormen Herausforderung. Sei es moralisch, ideologisch oder materiell. Jedoch beweisen die bewährten Institutionen in diesem Moment ihre demokratische Handlungsfähigkeit. Joe Biden wurde seines Amtes bestätigt. Er wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein. Er ist bald der mächtigste Mann der Welt.
Und dennoch war der Sturm des Capitols mehr als nur ein Zwischenfall. Deswegen schreibe ich darüber. Am 6.1.2020 wurde eine rote Linie überschritten. Es ist etwas geschehen, was nie hätte geschehen dürfen. In einer Demokratie halten die Verlierer von Wahlen ihre Niederlage aus und akzeptieren den Sieg des Kontrahenten. Dieser Tag war mehr als nur ein Warnschuss. „Ich kämpfe, weil ihr hier seid“, ist Realität geworden. Der Geist von „Nord gegen Süd“ wabert durch die Staaten. Doch geht es dieses Mal nicht um die Duldung der Sklavenhaltung. Heute geht es um die Spielregeln einer moderner Zivilisation. Um Anstand und Respekt, eigentlich konservative Werte. Es geht um die Anerkennung und vielleicht auch um den Erhalt von Demokratie.
Man kann Joe Biden und seinem Kader nur wünschen, den Spirit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten wieder in den Vordergrund zu rücken. Denn entgegen der schäbigen Demonstranten vor und die Täter im Capitol, die sich dem reaktionären Slogan „I’m fighting because you’re down here“ unterwarfen, sind in der Declaration of Independence die wunderbaren Worte zu finden, die ein jeder freiheitliche Mensch nur bejahen kann:
Life, Liberty and the pursuit of Happiness
Eine Antwort auf „Über Schande – Der Sturm auf das Capitol“
Wenn der Confederate Soldier einem Yankee sagt, er Kämpfe „because you’re down here“, dann hasst er nicht den Yankee im Norden, sondern wehrt sich gegen eine Invasion.
Da haben Sie doch was falsch verstanden, oder.
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