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Seien Sie unsolidarisch!

Von Julian Marius Plutz.

Geht es Ihnen auch so schlecht, weil Sie unsolidarisch sind? Ja, Sie haben richtig gehört. Sie sind unsolidarisch! Nicht nur, weil sie keine SPD, Linke, Grüne oder Merkel-Union wählen – geschenkt. Zwar ist das auch ganz schön unmoralisch, aber schlimmer ist etwas anderes: Ihr Denken ist das Problem. Ja, machen wir uns nichts vor, Sie denken falsch! Komplett daneben, richtig kreuzdoof. Denken Sie solidarisch, verdammtnochmal, weil sonst sterben Menschen! Wachen Sie endlich auf, Sie herzloser Omakiller.

Sie werden es glauben oder nicht – viele glauben es, weil sie es erlebt haben – aber die obigen Schilderungen sind mir und Bekannten in den mehr oder weniger groben Schattierungen widerfahren. Das andere Denken wird zum Problem. Und seit sich Jens Spahn de facto für #nocovid ausgesprochen hatte, freilich ohne es zu nennen, wird es deutlich: Nach Ostern geht es in den Lockdown. Denn aktuell haben wir ja nur einen Shutdown. Diese semantische Spitzfindigkeit hat insofern einen humorigen Part, da gleiche Oberlehrer bei anderen zu zu unterscheidenden Vokabeln wie „rechts“, „rechtsextrem“, „rechts-x“ gar nicht so differenzieren. Aber das nur am Rande. Seien Sie sich bewusst: regierungskritisches Denken wird zum Problem. Sie denken falsch.

Das erkannte auch Anne Will und unterließ auch in der diesjährigen Audienz mit Königin Angela entsprechend die kritischen Fragen. Zum Glück bekommt die Kanzlerin nicht genug PR aus den öffentlichen Funkanstalten. Aber es geht ja um mehr. Keiner will unsolidarisch sein. Sie etwa? So schaffte Jogi Löws DFB-Elf im Sedationskick gegen Rumänien eine kleine Sensation. Die Mannschaft schlug doch tatsächlich das Kanzler-Interview in der Kategorie „Unterhaltung“. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

Wer ist schon gegen Solidarität? Das ist für Gewalt gegen Kinder zu sein, oder für Kücken schreddern, oder Ameisen-mit-dem-Daumen-zerdrücken. Doch im Gegensatz zu Kinder schlagen und Kücken schreddern ist es gar nicht so klar, was mit Solidarität genau gemeint ist, weil jeder darunter etwas anderes versteht. Es handelt sich um ein Wieselwort. Heißt, es wird unklar, je häufiger man es benutzt. Es ist ein Begriff zum framen, der oberflächig ist und, wenn man ehrlich ist, im politischen Kontext fast immer deplatziert. Ich will Ihnen das einmal genauer erklären:

Es gibt keine Solidarität mithilfe von Zwang

Der Begriff hatte seinen ersten Frühling während der französischen Revolution. Neben Égalité und Liberté hieß der dritte Schlachtruf Fraternité. Solidarität. Also Brüderlichkeit. Sind beide Begriffe das gleiche? Ja. Das selbe sind sie aber noch lange nicht. Wenn man in den berühmten Luftreden von Politikern Solidarität mit Brüderlichkeit austauscht, merken Sie, wie wenig geistreich und semantisch-sorglos der Begriff verwendet wird. Ein durchschnittlicher Satz von Politikern, tausendfach in der Art gefallen, lautet so: „Wir brauchen für die Bewältigung der Corona-Krise mehr gesellschaftliche Brüderlichkeit (Solidarität)“.

In dem Beispiel lass ich Unsinnigkeiten wie das ständige „wir“-en weg (Das wiehernde „Wir“-en der Viren). Allein das wäre ein Beitrag wert. Schauen wir uns allein den Begriff (gesellschaftliche-) Brüderlichkeit an. Um zu jemanden brüderlich zu sein, muss man in einer gewissen Beziehung zueinander stehen. Man muss sich kennen. Im Idealfall ist man, daher entstammt der Begriff, in einer Familie brüderlich, sprich solidarisch. Auch in einem Dorf erlebt man erstaunliche, brüderliche Momente. Es ist emotional, aber auch logisch ein recht kompliziertes Unterfangen, von Nürnberg aus sich mit fremden Menschen aus Passau, Düsseldorf oder Klein-Eutin per se brüderlich zu verhalten. Und überhaupt? Wo endet diese Solidarität? An Landesgrenzen? Oder doch eher gar nicht? Ist dann jeder mit jedem solidarisch?

Meine Überzeugung liegt hier im Dezentralismus. Je kleiner die Entität ist, desto glaubhafter können Politiker Begriffe wie „Solidarität“ verwenden und tatsächlich im Sinne von Brüderlichkeit Politik zu machen. Eine „gesellschaftliche Solidarität“ ist jedoch ein bedeutungsschwangeres Riesenwort aus der Luftbibliothek der SPD, das alles aussagen kann, was man nur darunter verstehen möchte.

Ein zweites Argument, das die Solidaritätseinforderer falsch verstanden haben: Solidarität ist freiwillig. Man kann sie so wenig einfordern, wie man Liebe oder Freundschaft einfordern kann. Kein Gesetz kann jemanden zur Solidarität verpflichten. Oder anders: Wer Brüderlichkeit beschließt, beschließt keine Solidarität, sondern Zwang. Es handelt sich bei einem Gesetz, beispielsweise Sozialleistungen durch Umverteilung zu erschaffen, ja nicht um einen brüderlichen, also freiheitlichen Akt, den der Andere im Zweifel ablehnen kann. Es stehen immer herrschaftliche Entscheidungen dahinter und bei Zuwiderhandlung folgen Zwangsmaßnahmen, bis die Polizei vor der Tür steht. Das ist, zu Ende gedacht, die Definition von „Brüderlichkeit“, von Leuten, die mir unsolidarisches Verhalten vorwerfen. Muss ich noch mehr sagen?

Denken Sie weiterhin falsch!

Was aber aufgebaut wird ist ein gemeinschaftlicher Druck unter dem Deckmantel des so schön und moralisch hochwertigen Begriff der „Solidarität“. Selbst der autark denkende Mensch steht in Verbindungen mit anderen Menschen, die ihm wichtig sind, aber gänzlich anders denken. Und vielleicht sind diese auch der medialen Panik verfallen, was angesichts der steten Bestrahlung völlig verständlich ist. Und wenn diese Person eine andere Person treffen möchte, vielleicht ein Freund, vielleicht ein Date, dann wird sie in womöglich in eine Zwickmühle geraten. Die „Solidaritätseinforderer“ „raten“ jedoch, zu Hause zu bleiben. Doch so wenig Muttis: „ich rat‘ dir ja, dein Zimmer aufzuräumen“ ein gut gemeinter Tipp ist, so ist „ich rat‘ dir, bleib zu Hause“ nichts anderes, als eine implizite Aufforderung und damit ebenso wenig brüderlich, wie ein „solidarisches Gesetz“.

So gesehen muss es Ihnen gar nicht schlecht gehen, nur weil sie als „unsolidarisch“ bezeichnet werden. Und natürlich ist Ihr Denken auch kein Problem. Ich war zum Beispiel einmal allein Ernstes unsolidarisch gegenüber Pfleger und Ärzte, weil ich einen polemischen Absatz geschrieben hatte, ohne auch nur irgendwelche Mitarbeiter aus Krankenhäusern genannt zu haben. Stehen Sie drüber, auch wenn es bei engen Freunden oder der Familie ganz schön schwer sein kann. Die Solidaritätsbesoffenen müssen sich ernsthaft die Frage stellen, ob sie noch alle Elektrokerzen in der Weihnachtsbox haben, wenn sie das bloße Andersdenken in Gut und Böse kategorisieren.

Daher mein Bitte: Denken Sie weiterhin falsch. Seien Sie unsolidarisch. Zumindest im „gesamtgesellschaftlichen Kontext“ können Sie getrost sein, denn hat das Wort dort nun wirklich keine Bedeutung.

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Bernd Lucke stoppt vorerst die Schuldenunion

Von Julian Marius Plutz. Bild von Albert Schmelzkäs.

Erinnern Sie sich noch an Bernd Lucke? Ja, genau, der! Das freundliche Gesicht der AfD. Ein Mann, der harmloser und höflicher kaum sein könnte, aber dennoch der für die Linke als der neue… – naja, Sie wissen schon wer – beschimpft wurde. Bis er abtrat und von einer Frau Namens Petry, die heute keiner mehr kennt, abgelöst wurde.

Den Lucke aber sollte man nicht abschreiben, auch wenn es um den Hamburger Hochschullehrer zuletzt ruhig geworden ist, abgesehen von unsäglichen Versuchen, den Ökonomen in seiner eigenen Universität mundtot zu machen. Kleiner Fakt am Rande: Eine Vorlesung in der Form möglich zu machen, wie im Fall von Lucke, also für die Sicherheit der Anwesenden, vor allem des Dozenten selbst zu sorgen, kostet rund 100.000 Euro. Pro Vorlesung. Freie Rede muss man sich eben leisten können.

Nun sorgt der ehemalige AfD Sprecher erneut für Schlagzeilen. Genauer gesagt das Bündnis Bürgerwille, in dem sich Lucke maßgeblich engagiert. Was ist passiert? Bundestag und Bundesrat stimmten am vergangenen Donnerstag, bzw am Freitag dem sogenannten Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz zu. Das Hilfsprogramm umfasst eine deutsche Beteiligung von 750 Milliarden Euro, teils als Zuschuss und teils als Darlehen, und soll anderen EU Ländern helfen, die Coronakrise zu bewältigen. Das Bündnis Bürgerwille reichte Verfassungsbeschwerde in Verbindung mit einem Eilantrag ein. Das Bundesverfassungsgericht gab dem recht und ordnete an, dass der Bundespräsident das Zustimmungsgesetz bis zum Abschluss des Eilverfahrens nicht ausfertigen darf. Sprich: Das Gericht hindert dem Steinmeier, das Gesetz zu unterschreiben. Ich habe da ja sofort Bilder im Kopf:

Frau Giffey würde es „Gutes-Geld-Gesetz“ nennen

Wie dem auch sei: Dieser Vorgang ist im höchsten Maße unüblich. Denn eigentlich bitten die Karlsruher Richter in einem solchen Fall den Bundespräsidenten in einem netten und vor allem informellen Gespräch, einfach mit der Unterschrift bis zur Entscheidung des Eilverfahrens zu warten. Da das Verfassungsgericht nun den Weg eines richterlichen Beschlusses gewählt hat, werte ich dies als Kampfansage der höchsten deutschen Instanz gegenüber der Bundesregierung und ihre Pläne, immer weiter Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Die Hoheit über den Haushalt muss im Bundestag bleiben, welcher das eigentlich das Souverän des Staates sein soll. Man kann nur hoffen – die Begründung des Gerichtes folgt in den nächsten Tagen – dass die Richter hierbei einen langen Atem beweisen.

Die finanzielle Belastung für den Steuerzahler wäre enorm. Eine Schuldenunion, die SPD, Grüne und Linke, aber auch teile der Union seit längerem fordern, stände somit nichts mehr im Weg. Denn es ist völlig klar, dass es nicht bei einer einmaligen Kreditaufnahme bleiben wird. Nach jeder vermeintlichen Wirtschaftskrise werden Mitgliedstaaten animiert, neue Hilfskredite, neue Wiederaufbaufonds zu verlangen. Was zur Folge hat, dassviele Länder die Verbindlichkeiten nicht bedienen können. Man kann diese Beschwerde gar nicht hoch genug halten. Es geht um nichts mehr, als die Konstitution der Europäischen Union. Wollen wir eine Fiskalunion? Soll Deutschland weiterhin Herr seiner Finanzpolitik sein? Großbritannien hat dem bereits vor langer Zeit abgeschworen verließ den Staatenbund, der langsam zum Bundesstaat wird. Auch das sollte für deutsche Politiker kein Tabu sein.

Der Dauerausnahmezustand scheint für die Regierung ein nützlicher Vorwand zu sein, unglaubliche Gesetze scheinbar unbemerkt am Volk vorbei zu entscheiden, das vor lauter Inzidenzahlen nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Dieser Aufbaufond wäre eine Zäsur: Laut der europäischen Verträge muss der EU Haushalt „vollständig aus Eigenmitteln“ finanziert werden. Das Eigenmittelbeschluss-Ratizifierungsgesetz, Frau Giffey würde es „Gutes-Geld-Gesetz“ nennen, bricht mit dem Versprechen, denn handelt es sich bei der Hilfe um das Fremdkapital von (unter anderem) Deutschland. Wir haften ganz explizit für das finanzielle Versagen von Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich und Konsorten. Bis auf die AfD stimmte keine Fraktion gegen den Beschluss.

Medien berichten Spärlich

Ganze vier Abgeordnete aus der FDP Fraktion und acht aus den Reihen der Union stimmten gegen den Beschluss. Gerade für die freiheitliche Partei sind die 61 „Ja-Stimmen“ ein Armutszeugnis. Offenkundig macht sich die Lindner-Truppe für eine Ampel oder eine Deutschlandkoalitionen schon mal bereit und übt im Vorfeld, liberale Grundsätze wie Budgethoheit und Dezentralismus über Bord zu werfen. Diese Partei mutiert immer weiter zu einer Zumutung, die das „F“ im Namen auch Flatulenz oder freiheitslos umbenennen könnte. Es würde keiner merken. Immer mehr und immer öfter verlässt mich die Lust an meiner Partei, in der der Austritt bald nur noch eine Formsache ist.

Vor der erfolgreich geführten Verfassungsbeschwerde interessierten sich kaum Medien für das Thema. Nach der Entscheidung fühlten sich immerhin einige freie Gazetten genötigt, zu berichten. Ins Hauptprogramm des Öffentlichen Funks hat das Gesetzesvorhaben jedoch nicht geschafft. Erst als die Verfassungsbeschwerde Erfolg hatte, bewegten sich die lethargischen Redaktionen. Für die Leute, die bedauerlicherweise lediglich zwei verschiedene Medien konsumieren, die Zeitung (Regionalzeitung) und die Nachrichten (Tagesschau) fand dieses Spektakel nicht statt. Schade. Da jedoch das System des Staatsfunks so offensichtlich selektiv berichtet, durch Weglassen von Fakten lügt, liegt es am deutschen Michel selbst, ob er ARD und ZDF noch als primäre Quelle für Informationen ernst nehmen möchte. Die deutschsprachigen Medien sind besser, als ihr Ruf. Man muss sie nur lesen und sie gegebenenfalls unterstützen.

Bernd Lucke war sicherlich nicht der beste Politiker aller Zeiten. Aber für eine Zeit gehörte er zu den wichtigsten Kritikern der EU im Lande. Vielleicht ist er wieder auf dem Weg dorthin. Zu wünschen wäre es ihm und vor allem Deutschland. Dem Land droht, Schritt für Schritt und während der unsäglichen Corona-Anästhesie in eine Schuldenunion umgewandelt zu werden.

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„Trost“ von Thea Dorn ist ein kleines Wunder

Von Julian Marius Plutz.

Anfang Februar, nach mehr als einem Jahr, als sich alles änderte, erschien „Trost“ von Thea Dorn. Und von Beginn an erstaunten mich die vielen schlechten Kritiken. „Okay“, dachte ich mir, „vielleicht ist das Buch tatsächlich ein Misslungenes“. Doch als dann eine gewisse Twitter-Blase unter #Theadorn das Buch, respektive die Autorin selbst anging, wurde ich neugierig. Wo immer sich virtuelle Aktivisten einschalten, um Literaturkritik zu üben, freilich ohne das Buch gelesen zu haben, verspricht das Werk, spannend zu sein. Das war es bei „Unterwerfung“ von Houellebecq so, so ist es bei beinahe jedem Buch von Hamed Abdel-Samad der Fall.

Ich muss der Ehrlichkeit halber vorausschicken, dass ich Thea Dorn sehr, sehr mag. Sie schreibt, wie sie spricht und daher schreibt sie ganz wunderbar. Sie war die erste, die noch sehr früh, im April 2020, vor Vereinsamung aufgrund der Lockdown Politik warnte. „Es gibt noch etwas schlimmeres als den Tod. Den elenden Tod.“ Und genau davon handelt das Buch. Von Elend, aber auch von Freundschaft. Von Hoffnung und von Verzweiflung. Es geht um Trost.

Wut auf das Virus, auf die Politik und auf sich selbst

Johanna mag mittleren Alters sein und steht vor ihrer schwersten Lebenskrise. Ihre Mutter ist gestorben, nachdem sie mit 84 Lenzen („Vierundachzig“, wie die Autorin das Alter betonend ausschreibt) und am Höhepunkt der Corona-Pandemie nach Italien reiste, sich mit dem Virus infizierte und – da ohnehin schon lungenkrank, daran verendete. Das schreibt sie – und so ist das Buch auch konzipiert- ihrem alten Freund Max. In Briefform. Wütend ist Johanna auf ihre Mutter, warum sie gerade jetzt nach Italien fahren musste. Wütend ist sie aber auch auf das Virus und auf den Tod, den die Protagonistin als schwere Beleidigung und Kränkung empfindet. Zunächst. Und sie tobt vor Wut, als es zur Beerdigung kam.

„KEIN STAAT DIESER WELT HAT DAS RECHT, EINEN MENSCHEN ZUM EINSAMEN TOD ZU VERDAMMEN. KEIN MENSCHENLEBENRETTENWOLLEN RECHTFERTIGt ES, EINER TOCHTER ZU VERBIETEN; BEI IHRER STERBENDEN MUTTER ZU SEIN“ wütet Johanna.

Netta, die Mutter, sie starb allein. Und Johanna, die Tochter, verbot man, in den letzten Stunden bei Netta zu sein. Das ist der elende Tod, den Thea Dorn im April letzten Jahres meinte. Und ja, Johanna schreibt einseitig. Sie ist wütend. Sie ist verletzend, weil sie bis ins Mark verletzt wurde. In einer himmelschreienden Ungerechtigkeit und einer staatlich angeordneten Grausamkeit fühlt sie sich alleine gelassen. Es sind vermutlich die ersten Kapitel, die vielen Kritikern störten. Jedoch kann jeder, der einmal einen schmerzlichen Verlust erlitten hatte, die Gefühlslage in der zweiten Phase der Trauer nachvollziehen. Schade, dass es viele nicht vermochten, zwischen literarischer Figur und Autorin zu unterscheiden.

Und ihr alter Freund Max? Er antwortet allen ernstes mit Postkarten und dazu geschriebene Einzeiler. Nach Johannes wütenden Zeilen kam lediglich ein schmaler Satz: „Liebe Johanna! Bist du bei Trost? – Dein alter Freund“. Das Motiv zeigt Maria mit Kind, zur linken den heiligen Sebastian und zur rechten Johannes, den Täufer. Das ist das Muster des Buches: Johanna schreibt und schreibt und wütet und feiert Orgien und ist betrunken und sitzt beim Arzt. Und ihr Freund? Antwortet mit einer Postkarte und einem Satz. Man bekommt eine Ahnung von der Art der Freundschaft zwischen beiden, je weiter man das Buch liest. Man lernt verstehen, in dem Johanna versteht, wie die Postkarten mit ihren Briefen harmonieren.

Bei all der Ernsthaftigkeit kommt immer mehr, je weiter der Tod ihrer Mutter zurückliegt, Humor zum Vorschein. Ja. So habe Johanna versucht, ihren „Kopf dumm zu bekommen (vulgo: „Yoga“). Oder nachdem sie, nach einer wilden Nacht mit verschiedenen Sexpartnern zur gleichen Zeit (vulgo: „Orgie“) beim Arzt zum „Seuchenabstrich“ Platz nimmt. Doch den Höhepunkt der literarischen Klasse, aber auch der philosophischen Tiefe des Stückes entfaltet „Trost“ ab dem Kapitel „3. Juli“ (Die Kapitel sind nach Tagen benannt).

Die Würde des Menschen

„Wem es gelungen ist, dem Tod einen Sinn abzuringen, dem mag es auch möglich sein, dessen unsichtbare Gegenwart in jedem Augenblick zu ertragen.

Wem es nicht gelingen will, dem Tod einen Sinn abzuringen, dem sollte es wenigstens gelingen, seine Augen vor der unsichtbaren Allgegenwart des Todes zu verschließen.

Wer den Tod für einen sinnlosen Skandal hält, und sich Tag und Nacht dennoch mit nichts anderem befassen kann, ist ein tragischer Idiot.

Ich bin ein tragischer Idiot.“

Diese unfassbar starken Zeilen macht die Stärke des Buches aus. Thea Dorn versteht es, sich in die Protagonistin und ihre Zweifel hinein zuversetzen. Johanna weiß, dass ihr Denken über den Tod als eine absolute Kränkung ausweglos ist. Ihr ist bewusst, dass das Skandalisieren des Ablebens sie in die Sackgasse führt. Doch, in dem Moment zumindest, kann sie nicht anders. Die Parallele ist offenkundig: Das gestörte Verhältnis in unserer Gesellschaft mit dem Tod macht die Pandemie deutlich. Mit dem ständigen Aufhäufen von Sterbezahlen, die völlig überraschend immer höher werden, da man sie von Tag 1 an aufrechnet, wird eine ebenso stetig steigende Gefahr suggeriert. Diese Herangehensweise definiert eine Wertigkeit, die des Wesens des Menschen, im Wortsinn unwürdig ist. Den das Aufrechnen von Kadaver sagt: Der Mensch hat einen Wert. Und je höher die Zahl ist, desto höher ist der Wert des Verlustes. Aber alles, so Kant, was einen Wert hat, hat auch einen Preis. Doch der Mensch kann keinen Preis haben – er hat keinen Wert. Der Mensch hat Würde.

Diese Würde sieht auch Johanna verletzt, je reifer das Buch wird. „Je größer die Angst vor dem Tod, desto größer die Bereitschaft, alles was unseren Individualismus ausmacht, auf dem Altar der Lebenserhaltung zu opfern.“ Man spürt förmlich, wie sich Johanna sammelt und ihr durch den Tod klar wird, welche „Lumpentragödie“ momentan aufgeführt wird.

Lebenskrise während einer Weltkrise

An manchen Stellen wirkt das Buch wie eine feiner, aber zielsichere Kritik am Zeitgeist. Als sie mit Schauspielern eine Art Protest organisieren will, stößt sie schnell an die Grenzen der Kulturszene. „Nichts ist verkehrt daran, eine „Haltung“ zu haben. Aber alles ist verkehrt an einem immer platteren (…)“Haltungs-Zeigen“, das nichts riskiert, außer von Gleichgesinnten beklatscht zu werden.“ Und das ist auch der Zeitpunkt, an dem ich applaudiere. Eine Wohltat für den Liebhaber der deutschen Sprache ist Johannas Schredder an der Gendersprache. Famos!

Und so wird das Buch immer launiger, fröhlicher, ja, Johanna emanzipiert sich von ihrer Wut. Und sie findet am Ende das, was der Buchtitel prophezeit: „Trost“. Das Ende ist schön, wunderschön sogar und viel zu schade, um es zu verraten.

Das neueste Werk von Thea Dorn ist nichts weiter, als ein kleines Wunder in 176 Seiten. Jedes Wort scheint zu passen, kein Adjektiv, wenn überhaupt eines nötig, ist zu viel. Johanna erlebt eine Lebenskrise in der Zeit einer Weltkrise. Ihre Wut ist die Wut derer, die ähnliches erleben. Und der Trost, den sie findet, ist der Trost, den die Menschen vielleicht eines Tages erfahren werden.

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Ich möchte Sie um Entschuldigung bitten!

Von Julian Marius Plutz.

Ich möchte Sie alle in aller Form (ganz wichtig) um Entschuldigung bitten. Menschen machen Fehler. Menschen irren sich. Auch ich habe Fehler gemacht, auch ich habe mich geirrt. Und ich habe einen Fehler begangen. Ich tue das, weil ich ein absolut reines Gewissen habe! Und das tritt nach meinem Kenntnisstand… ist das sofort, unverzüglich.

Ist das nicht rührend? Die Kanzlerin entschuldigt sich für etwas, was sie nicht getan hat. Sie hat nicht veranlasst, dass sie uns von Gründonnerstag bis Ostermontag weg sperrt. Sie hat sich entschuldigt, dass sie Geschäfte nun doch nicht willkürlich schließen lässt. Es tut ihr aufrichtig leid und sie übernimmt die gesamte politische Verantwortung, was auch immer das bedeuten soll. Und sie reiht sich ein in die großen Worte überforderter Kreaturen, siehe Günter Schabowski, Chrisoph Daum, oder Michel Friedman.

Täte sie tatsächlich Verantwortung für ihre irre Corona Politik übernehmen, wäre sie längst nicht mehr im Amt. Sie würde erkennen, dass sie keinen Zugriff mehr auf die Macht hat (was grundsätzlich erst mal eine gute Nachricht ist). Sie würde realisieren, falls auf dem Planeten Angela noch ein Funken Realität ankommt, dass sie lange nicht mehr für das Volk spricht. Ihre Zeit ist so sehr gekommen, dass die Zeit schon wieder gegangen ist. Werte kommen und gehen – Aber Merkel, die bleibt.

Aber jetzt hat sie um Entschuldigung gebeten. Das Wesen einer Entschuldigung ist es, dass der Empfänger sie annehmen kann, oder eben nicht. Ich nehme sie beispielsweise nicht an. Sie etwa? Aber im Land der Ewigherrscher bedarf es schon mehr, damit jemand zurücktritt. Sie doch nicht. „Das letzte, was wir gebrauchen können“, sagte Carsten Schneider (SPD), „ist eine Regierungskrise“. Das ist natürlich ein schillerndes Argument. Da die Regierung in keiner Situation eine Regierungskrise gebrauchen kann, wird der Regierungschef auch nie zurücktreten. Wie praktisch.

Skandale kommen und gehen – Aber merkel bleibt

Aber immerhin: Auf die vierte Gewalt, die zum zwölften Mann mutiert ist, kann sich Merkel verlassen. „Respekt“, zollt die Journaille ihr ab, dass sie „den Mut hat, sich zu entschuldigen“. Und in der Tat ist es selten, dass Politiker für ihr Fehlverhalten gerade stehen. Aber eine Entschuldigung ohne folgerichtige Konsequenz ist eben nur ein leeres Wort. Für die wirklich wichtigen Dinge hat sie sich nicht entschuldigt. Impfstoffe, die fehlen. Schnelltests, die es in der Breite nicht gibt. Hilfen, die nicht ankommen. Künstler, die am Berufsverbot verelenden. Menschen, die vereinsamen. Operationen, die verschoben werden müssen. Kinder, die um ein Jahr Bildung beraubt werden. Gastronomen, die ihr Lebenswerk aufgeben. Grundgesetze, die ignoriert werden.

Dafür sollte Merkel um Entschuldigung bitten. Dass eine lächerliche Konferenz in die Hose ging, geschenkt. Weder der Beschluss über die Osterruhe, was für ein Euphemismus, noch die Rücknahme dessen hat im Leben der Bürger irgendetwas verändert.

Und daher bleibt ihr nichts anders übrig, als bei den Bürgern die rechte Gehirnhälfte anzusprechen: Die Emotionen. (…) „Ich bedauere (es) zutiefst, und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.“ Damit ist alles geklärt. Auch morgen heißt die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Christoph Daum und Michel Friedman sind wenigstens zurückgetreten oder gar nicht erst angetreten. Skandale kommen und gehen. Aber Merkel bleibt.

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Merkel widerruft Oster-Lockdown

Von Julian Marius Plutz und Angela Merkel.

Es passiert äußerst selten, dass mir die Worte fehlen. Ja. Aber geschenkt, denn gibt es doch eine Person, die den Merkel Irrsinn am ehesten in Worte fassen kann. Und das ist die Kanzlerin selbst. Lesen Sie das Statement einer Herrscherin, die den Begriff „über den Zenit“ eine völlig neue Dimension gibt.

(…)

Um es klipp und klar zu sagen: Die Idee eines Ostershutdowns war mit bester Absicht entworfen worden; denn wir müssen es unbedingt schaffen, die dritte Welle der Pandemie zu bremsen und umzukehren. Dennoch war die Idee der sogenannten Osterruhe ein Fehler. Sie hatte ihre guten Gründe, war aber in der Kürze der Zeit nicht gut genug umsetzbar ‑ wenn sie überhaupt jemals so umsetzbar ist, dass Aufwand und Nutzen in einem halbwegs vernünftigen Verhältnis stehen. Viel zu viele Fragen ‑ von der Lohnfortzahlung durch die ausgefallenen Arbeitsstunden bis zu der Lage in den Geschäften und Betrieben ‑ können, wie die Beratungen der letzten 24 Stunden gezeigt haben, jedenfalls in der Kürze der Zeit nicht so gelöst werden, wie es nötig wäre.

Um auch ein Zweites klipp und klar zu sagen: Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler; denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung ‑ qua Amt ist das so ‑, also auch für die am Montag getroffene Entscheidung zur sogenannten Osterruhe. Das habe ich den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten vorhin auch in einer kurzen Videokonferenz erläutert und darüber auch die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag informiert, und es ist mir wichtig, das auch hier zu sagen. Ein Fehler muss als Fehler benannt werden, und vor allem muss er korrigiert werden ‑ und wenn möglich, hat das noch rechtzeitig zu geschehen.

Gleichwohl weiß ich natürlich, dass dieser gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöst. Das bedauere ich zutiefst, und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung. Diese zusätzliche Verunsicherung bedauere ich umso mehr, als wir uns ‑ dabei bleibt es leider ‑ mitten in der durch die Mutation ausgelösten dritten Welle der Pandemie befinden.

Ich danke einmal mehr allen, die mit ihrem Verhalten dazu beitragen, die dritte Welle mit der tödlicheren und ansteckenderen Mutation des Coronavirus zu bremsen und zu stoppen. Dazu bietet der Beschluss von Montag auch ohne die sogenannte Osterruhe einen Rahmen: mit der Notbremse, mit der Möglichkeit von regional zu entscheidenden Ausgangsbegrenzungen und Kontaktbeschränkungen, mit dem Ausbau des Testens und natürlich auch mit der sich immer weiter verstärkenden Impfkampagne.

Am 12. April werden wir die Beratungen fortsetzen, und ich bin zutiefst davon überzeugt: Wir werden das Virus gemeinsam besiegen. Der Weg ist hart und er ist steinig, er ist von Erfolgen, aber auch von Fehlern und Rückschlägen gekennzeichnet. Aber das Virus wird langsam aber sicher seinen Schrecken verlieren.

Bis dahin setzen wir mit allen Maßnahmen weiter alles daran, dass unser Gesundheitssystem der immensen Belastung standhält und zugleich die so überaus großen Folgen für Wirtschaft, Bildung, Kultur und für unser ganzes Zusammenleben aufgefangen werden.

Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich jetzt keine Fragen beantworte, weil ich gleich um 13 Uhr den Abgeordneten im Deutschen Bundestag Rede und Antwort stehe.

Herzlichen Dank!

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Wie lange braucht es, bis man eine Gesellschaft bricht?

Von Julian Marius Plutz.

Mein Realismus ist ein Pessimismus. Spätestens seit heute morgen, aber eigentlich schon viel früher. Wieder werden die Maßnahmen, was für ein Scheißwort, verlängert. Und verschärft. Maßnahmen. Verlängert und verschärft. Durchhalten. Arschbacken zusammenkneifen. Dritte Welle. Ein völlig neues Virus und eine völlig neue Pandemie. Bleiben Sie gesund.

Es tut mir leid, aber ich ertrage diese ewig gleiche Rhetorik nicht mehr. Es macht nicht mal aggressiv. Es macht mich nur noch müde. Geht es Ihnen ähnlich?

Zu Ostern bleiben wir zu Hause, sagt das Führer- Komitee aus Bund und Länder, das niemand legitimiert hat, über uns zu entscheiden. Aber um Gesetzestreue geht es den Politikern schon lange nicht mehr. Das müssen Sie verstehen! Es geht um mehr. Gründonnerstag und Ostersamstag sollen Ruhetage werden. Staatlich angeordnete Ruhe. Herrlich. Es ist das nächste Kapitel auf den Weg zum kommoden Totalitarismus. „Paternalismus“ , sagt mir der Gutbürger, „ist doch nicht schlecht! Jeder wünscht sich einen Papa, der auf ihn aufpasst. Oder einen großen Bruder, der genau hinschaut.“ Wer kann da schon dagegen sein? Sie wollen doch nur unser bestes. In einem Punkt stimme ich den Politikern zu. ich hätte gerne Ruhe. Ruhe vor diesem Staat.

Merkel wohnt auf dem Planeten Angela

Diese Regierung ist das Gegenteil davon, was Politologen „Good gouvernance“ nennen: Sie agieren ideenlos und mit Politik aus dem Mittelalter. Sie pflegen ihre Allmachtsfantasie, die zur Allmachtsrealität wird (was auch etwas von Mittelalter hat.) Sie brechen Freiheitsrechte. Sie sind atemberaubend ahnungslos in ihrem Ressort. Jens Spahn wirkt wie ein selbstbewusst-gedopter Schulsprecher, der einige Jahre zu lange die 13. Klasse besucht hat. Seine Schuhe sind zwar groß, aber im Gegensatz zur Herausforderung viel zu klein geraten. Es handelt sich bereits um einen mittelschweren Schmerz, dass jemand wie er im Parlament Platz nimmt. Es ist jedoch kaum auszuhalten, dass dieser Mann allen ernstes Gesundheitsminister wurde. Ohne Vorkenntnisse, ohne intellektuelle Tiefe leitet der CDU-Politiker das zur Zeit wohl wichtigste Amt. Er ist ein Abziehbild des Politikers, den niemand haben möchte. Im Stamm der Deppen ist der Oberdepp der Häuptling.

Und doch strahlen Leute wie Spahn und Söder eine Selbstsicherheit aus, die kaum auszuhalten ist. Noch während am Sonntag der bayrische Ministerpräsident sagte, es sei völlig klar, dass der Lockdown wirke, las ich in der WELT AM SONNTAG ein Interview mit einer absoluten Koryphäe exakt das Gegenteil. Doch Söder, Merkel, Müller hören nicht auf andere Meinungen. Sie können es nicht, weil sie unter dem dem Kuba-Syndrom leiden. Sie lassen sich von den ewig selben Experten beraten, die zu immer gleichen Ergebnissen kommen. Das Motto lautet: „Viel hilft viel. Die Maßnahmen waren einfach noch nicht hart genug. Immer weiter. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ Von wem war noch gleich der letzte Satz?

Das Wesen, ein totes Pferd zu reiten ist, dass man nicht voran kommt, weil das Pferd tot ist. Und irgendwann fängt es an zu stinken. Doch die Politiker sitzen weiter auf dem Kadaver, in der Hoffnung, dass der Gaul wieder zurück ins Leben kommt und wir alle gemeinsam aus der Krise galoppieren. Zwar evozierte die Krise bisweilen transzendentale Effekte, Karl Lauterbach wurde beispielsweise entmumifiziert, aber so viel schöpferisches Wirken wird das Virus wohl nicht auslösen, sodass Frau Merkel zur Vernunft kommt. Sie kann es längst nicht mehr – sie schwebt geistig in völlig anderen Dimensionen. Nach mehr als 20 Jahren Spitzenpolitik ohne einen Nebenberuf, ist die Realität dieser Menschen nicht mehr die des durchschnittlichen Menschen. Seit 20 Jahren und mehr ging Frau Merkel nicht mehr einkaufen. Sie hat seit dem keinen Parkplatz mehr gesucht, oder hat sich einmal beworben. Sie war nie arbeitslos, musste nicht mit der Bahn in die Arbeit fahren und hat sich nicht um einen Termin für den Sperrmüll gekümmert. Frau Merkel wohnt auf dem Planeten Angela, in denen Christian Drosten und Joachim Sauer ihr Zugang zum Fußvolk darstellen.

Sei Dafür oder du bist ein schlechter Mensch

Frau Merkel hat nicht verstanden, dass Menschen sich sehnten, zum Friseur zu gehen, hat sie doch einen eigenen, exklusiven Zugang zum Haare schneiden. Und Berufsverbote kannte sie zwar noch aus der Zeit der DDR, aber das ist ja schon so lang her. Das kann man nun wirklich nicht vergleichen. Der Zweck der Maßnahmen ist doch gut und der heiligt demnach folgerichtig die Mittel. Wenn die Absicht stimmt, kann man schon mal ein Auge zu drücken. Sie dagegen muss die Augen nicht mal mehr zu machen, ist doch ihre Realität nicht die unsere.

„Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ schrieb der Kommunist Ignatio Silone in „Der Fascismus“. Auch werden die neuen Freiheitsräuber mit ihrem eigenen Humanismus argumentiert. Mit Gesundheitsschutz. Mit Solidarität für die Pflegerinnen und die Pfleger. Für die Kranken und die Alten. Für Horst Seehofer. In den Kategorien „guter Mensch“ gegen „schlechter Mensch“ will sich keiner die Blöße geben. Die große Moralsuppe ist aufgekocht und jeder, der gegen die Maßnahmen ist, jeder, der die Zahlenlehre von Drosten und Konsorten anzweifelt und mit der Expertise anderer Fachleute argumentiert, hat seinen Status als „guter Mensch“ verwirkt. Sie sind nun offiziell eine schlechte Person und ein unsolidarischer, egoistischer Typ.

Nun ist ab Gründonnerstag verordnete Ruhe. Die Politik hat sich entschieden, nun auch ohne Airbag und Gurt gegen die Wand zu fahren. Wie lange braucht es, bis die Herrschenden die Gesellschaft brechen? Gehen Sie in die innere Immigration oder wählen Sie drastischere Mittel? Dieses Deutschland entfremdet sich vom Volk – die Regierung entkoppelt sich vom Bürger. Mein Realismus? Ein Pessimismus. Woher Trost nehmen, wenn dir der Trost fast im gleichen Moment genommen wird? Es gibt keine echte Hoffnung ohne Verzweiflung, heißt es. Aber es gibt Verzweiflung ganz ohne Hoffnung. Diese Politik muss endlich aufhören, Gott spielen zu wollen. Sie muss die Tatsache akzeptieren, dass man in einer freien Gesellschaft über ein Jahr Menschen nicht weg sperrt, obwohl sie nichts verbrochen haben. Tut man es doch, dann bedeutet dass den Abschied der freien Gesellschaft.

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Wie Putin Joe Biden bloßstellte

Von Julian Marius Plutz

Ich bin ja wirklich kein Fan von Putin. Genauer gesagt kenne ich den sympathischen, Oberhemd freien Reiter und Bärenjäger (händisch) nur aus den Medien. Woher auch sonst? Waren doch meine Eltern nicht mit den Putins befreundet. Sie haben nie Silvester oder Fasching zusammen gefeiert und waren auch keine Nachbarn, so dass man mal spontan zum Käffchen vorbeischneit oder den Haustürschlüssel lagert, wenn man sich mal wieder ausgesperrt hat. Auch das Zeitungsabo der Main-Post oder der Prawda oder der Alpenprawda haben sie nie geteilt.

Ich kenne ihn nicht und bin dennoch sehr skeptisch. Nicht weil er Russe ist, Gott behüte. So brachte mir der Ostblock wenigstens acht Jahre mehr, manchmal weniger Charme in mein Leben in persona einer Beziehung. Darum geht es nicht. Es ist eher die Art der Politik und die Unlust an Demokratie und Freiheit. Homosexuelle haben es alles andere als leicht in dem Land, in dem einst die Sowjets herrschten. Das könnte ein Regent verändern, wenn er denn wollte. Aber er mag es nicht, weil es ihn nicht interessiert.

Leider geil

Und doch hat Putin etwas geschafft, was ich ihm nicht zugetraut hätte. Es handelt sich um einen Fall, den Sie sicherlich verfolgt haben. Der noch blutjunge US-amerikanische Präsident Joe Biden saß vor einigen Tagen bei der American Broadcast Acadamy – kurz und sinnig: ABC. Im Interview gibt sich der POTUS kämpferisch, als es um die vermeintlichen „Wahleinmischungen“, dazu später mehr, von Seiten Russlands geht. So werde Putin dafür „einen Preis zahlen“. Gut, so. Und weiter spricht Biden von einem Telefonat, dass er mit seinem russischen Kollegen geführt hatte: „Ich kenne Sie und Sie kennen mich. Wenn ich feststelle, dass dies geschehen ist, dann seien Sie vorbereitet. “Und schließlich beantwortete er die Frage, ob Putin ein Killer sei, mit Ja. Ein Mann sieht rot.

Ich muss sagen, mir gefallen solche vermeintlich starken, martialischen Sätze. Ich stelle mir dann immer Streicher vor, die die Worte dramatisch begleiten und den Moment zu einem epischen machen. Auch Greta begeistert mich hierbei völlig: „Ihr habt meine Kindheit gestohlen!“ – oder, noch besser: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“ Haben Sie keine Gänsehaut? Dann empfehle ich einen durchschnittliches Lied von Hans Zimmer darunter zu legen und sie fühlen sich wie im Kino! Große Worte kleiner Leuchten.

Biden ist also „on fire“. Wer jetzt denkt, Wladimir Putin hätte sich provozieren lassen, der irrt. Das absolute Gegenteil ist der Fall. Was folgt ist nichts weiter als eine Studie in Souveränität: „Was die Äußerungen meines amerikanischen Kollegen angeht, so sind wir wirklich, wie er sagte, persönlich miteinander bekannt: Was ich ihm antworten würde? Ich würde ihm sagen: Bleiben Sie gesund! Ich wünsche ihm Gesundheit“. Dieser Satz fällt definitiv in die Kategorie „Leider geil“. Einerseits perlt die harrsche Kritik von Biden an ihm ab und andererseits schenkt Putin seinen greisen Kollegen sprichwörtlich einen ein. Denn wie es um den geistigen Gesundheitszustand geht, wird seit Monaten spekuliert. Und auch viel mehr als das.

Vielen Lesern dürften die Ausführungen von Prof. Wolfgang Meins aufgefallen sein. Fazit: Der Professor hält es für durchaus wahrscheinlich, dass Joe Biden unter einer beginnenden Demenzerkrankung leidet. Nun ist es so, dass sich meine Psychologie in der Küche abspielt – ich habe also keine Ahnung. Aber ich vertraue einen Arzt, der als Gutachter mehrfach vor Gericht bestellt wurde in seiner Profession, der Psychatrie und Neurologie ein absoluter Fachmann ist.

Biden hätte nie antreten dürfen

Im Zuge dieser Vermutungen, die dem russischen Präsidenten nicht entgangen sein dürften, halte ich seine Gesundheitswünsche für einen maximal gelungenen Konter. Es dürfte Biden mehr treffen, als es ihm lieb ist. Der Präsident der Vereinigten Staaten ist jetzt schon angezählt. Bereits in der ersten Legislatur eine „lahme Ente“. Lame. Ob sich die Demokraten und noch mehr, die amerikanischen Wähler mit Joe Biden einen Gefallen getan haben, darf hinterfragt werden. Putin dagegen hat erkannt, in welcher Konstitution sich sein Kollege befindet. Der Satz war ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl – für die US Regierung, aber auch für den Rest der Welt.

Zu den Vorwürfen von Biden, Putin hätte „Wahleinmischung“ betrieben, wird ständig etwas suggeriert, was gar nicht in dem Raum steht: Der russische Präsident hätte versucht, die Wahl zu fälschen. Das ist natürlich Unsinn. Selbst wenn sich alle Vorwürfe bestätigten, hat Putin die Wahl mit Nichten manipuliert. Was er getan hätte, wäre, russiche Trollfarmen auf soziale Medien loszulassen, um vermeintliche Stimmungen zu kreieren und um Trump hier zu unterstützen. Am Ende stand es jedem Amerikaner frei, zu wählen wen er wollte und auch Medien jenseits der Sozialen zu konsumieren. Was viele auch getan haben. Halten Sie mir für naiv, aber ich glaube, die allermeisten Menschen sind in der Lage, sich in einer freien Welt den allermeisten Manipulationsversuchen loszusagen, wenn sie es denn wirklich wollen.

Wären meine Großeltern mit den Bidens befreundet, sie wären Nachbarn und hätten Silvester und Fasching gemeinsam gefeiert, wäre ich einmal hinüber gegangen und hätte mit dem Ehepaar einmal geredet. Und wenn sie sich störrisch gäben, dann mit der Familie. Denn krank sollte niemand der mächtigste Mann der Welt sein. Das ist weder für den Mann gut, noch für die Welt. „Joe“, würde ich sagen, „Joe, es ist Zeit. Du solltest deinen Hut nehmen. Und du hättest gar nicht erst antreten dürfen. Deine Partei, mindestens aber deine Familie hätte das verhindern müssen. Du musst zurücktreten.“

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„Zahllose Beispiele an Grausamkeiten“ – Ein Künstler berichtet aus dem Lockdown

Künstler leiden aufgrund der Corona-Maßnahmen besonders. Neomarius Autor Julian Marius Plutz sprach mit dem Musiker Albert Schmelzkäs über die kaum erträgliche Situation in seiner Branche. Einen Ausschnitt aus dem Gespräch lesen Sie hier. Albert wird 23 und studiert im Hauptfach Bassposaune so wie Klavier und Cembalo in den Nebenfächern. Wie viele junge Musiker kommt er aus dem Landesjugendorchester Hessen und spielt neben dem Studium ab und an in kleineren freien Orchestern wie der russischen Kammerphilharmonie Sankt Petersburg.

Julian Marius Plutz: Wenn du die aktuelle Politik mit einem Musikstück beschreiben würdest, welches würdest du wählen?

Albert Schmelzkäs: Musik zeichnet sich dadurch aus, dass sie schön ist, aufschlussreich, erfüllend, oder dass man ihr wenigstens „irgendetwas“ abgewinnen kann. Das ist zwar selbst bei moderner, Abstrakter Musik, z.B. der Zweiten Wiener Schule oder dem seriellen Stil eines Stockhausen oder Ludigi Nono so. Die deutsche Corona-Politik ist dagegen schlicht absurd. Das lässt sich musikalisch kaum in Worte oder viel eher Töne fassen.

Am ehesten kommt vielleicht „Atmosphéres“ von Ligeti (Kennt man aus dem Kubrick-Film „2001 – Odysee im Weltraum“) an diese indifferente Politik heran. Die ganze Situation ist vergleichbar mit Ravels „La Valse“. Das Stück ist geprägt vom ersten Weltkrieg…

Julian Marius Plutz: …das ist dann vielleicht doch etwas weit hergeholt.

Albert Schmelzkäs:… ich wollt es gerade sagen, so weit kann man natürlich nicht gehen, wenngleich wir enorm viele Tote zu beklagen haben. Die Parallelen sind aber offensichtlich. Das Stück beginnt mit einem hübschen Walzer, in den sich nach einiger Zeit das Grauen einschleicht. Dann aber geht es zum schönen Kaffeehaus-Walzer zurück. Immer wieder, wie wir ja auch immer wieder Lockdowns und hohe Sterberaten hatten, so wird auch das musikalische Grauen immer düsterer. Und am Ende gewinnt der Schrecken und mündet in die Eskalation. So weit sind wir, weiß Gott, noch lange nicht, aber die Tendenz dorthin ist leider unangenehm spürbar. Sei es auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder allgemein-psychiatrischer Sicht.

„Einer erschoss sich und ein anderer Warf sich vor den Zug“

Julian Marius Plutz: Nun lebt Musik ja auch von Metaphorik und Sinnbildern. Insofern ist Krieg ja die Metapher für das absolut Schlimme, ja das totale Grauen. Du hast es ja angesprochen: Einerseits gibt es Opfer des Virus, aber andererseits erleben wir die sogenannten Kollateralschäden der Maßnahmen. Nun bist du Musiker und als solcher von vielen Maßnahmen betroffen. In weiten Teilen herrscht ein implizites, aber teilweise auch ein ganz direktes, ungeniertes Berufsverbot. Ab wann wurde dir die Tragweite der Maßnahmen wirklich bewusst?

Albert Schmelzkäs: Mir persönlich wurde es bewusst, als ich die Steuererklärung für 2019 gemacht habe. Ich bemerkte, dass ich 2020 92% Einnahmeverlust zum Vorjahr zu verbuchen hatte. Ich spielte im letzte Jahr exakt ein einziges Konzert, was 440€ inklusive Fahrtkosten entsprach. Man kann sich ausrechnen, dass ich, liefe das Jahr normal, rund 5500€ verdient hätte, was neben dem Studium vollkommen ausreicht. Ferner habe ich das Glück in einer eigenen Wohnung im Elternhaus zu leben. Das haben viele ja nicht. Ich kann von 440€ im Jahr nicht leben, alle anderen Musiker noch viel weniger.

Julian Marius Plutz: Von den Konzerthäusern ganz zu schweigen.

Albert Schmelzkäs: Absolut! Betrachten wir ein durchschnittliches Opernhaus. Bei rund 1000 Plätze in den Preiskategorien von rund 8 Euro – 120 Euro. Im Schnitt reden wir von 40 Euro pro Karte, da es mehr günstigere Karten gibt als höherpreisige. Von den 1000 Gästen zahlen vielleicht 500 2€ für die Garderobe und kaufen sich für 7€ ein Glas Schampus. Zwischen 40.000 und 45000 Euro gehen einem mittelgroßen Haus also pro Abend verloren. Und da geht es den Mitarbeitern noch „gut“, weil sie nicht bei kleinen, privaten Veranstaltungs- oder Cateringfirmen arbeiten oder gar selbstständig sind. Den Menschen geht es finanziell ganz elend und psychisch sowieso.

Julian Marius Plutz: Nun sagst du selbst, dass deine aktuelle Situation tendenziell komfortabel ist, zumindest was das Finanzielle angeht. Vermutlich kennst du aus deinem Kollegenkreis auch noch ganz andere Schicksale. Was war so das eindrücklichste Schicksal, das du im letzten Jahr miterlebt hast?

Albert Schmelzkäs: Da gibt es zahllose Beispiele an Grausamkeiten. Am wenigsten schlimm traf es einen Berliner Instrumentenbauer, dem die Aufträge der nächsten vier Jahre weggefallen sind. 500.000 Euro Schaden.

Ein Kommilitone veränderte sich ab Oktober stark, er wurde wunderlich. Nun erfuhr ich, dass er an einer psychotischen Erkrankung leidet und bis vor kurzem in einer Psychiatrie behandelt wurde.

Doch am Grausigsten traf es einen Instrumentenbauer aus dem Frankfurter Umland. Dieser erzählte mir, dass sich einer seiner besten Freunde erschossen und ein anderer sich vor dem Zug geworfen hat. Beide waren selbstständige Musiker, die – das ist meine Spekulation – die Vorstellung nicht ertragen konnten, ihr Hab und Gut verkaufen zu müssen, nur um einen Laib Brot im Schrank zu haben. Man muss bedenken, dass die einmaligen Hilfen in Höhe von 1000€ zwar ganz nett waren, aber niemanden etwas bringen, der ein Haus und Instrumente abbezahlen und eine Familie ernähren muss.

Julian Marius Plutz: Das sind schlimme Schicksale. Und dennoch habe ich den Eindruck, dass die Künstlerszene zwar lamentiert, aber kaum agiert. In Frankreich werden eben mal ein paar Theater besetzt. Hier herrscht jedoch betretenes Schweigen. Liege ich mit meiner Einschätzung richtig?

„Unser Anspruch muss es sein, den Lebensstandard zu schützen“

Albert Schmelzkäs: In der Tat, in Frankreich geht es kompromissloser zu, was dort auch historische Gründe hat. Der Gang auf die Barrikaden ist ja dort seit wenigstens 200 Jahren ein beliebtes Mittel. Die deutsche Kulturszene ist, so würde ich schätzen, zu schwach, zu gesittet oder spießig, wenn man so will, zu sehr die deutsche Korrektheit und auch einfach kilometerweit zu links, um hier mit zu demonstrieren – allein aus Angst mit Querdenkern und vermeintlich Rechten oder Rechtsradikalen in einen Topf geworfen zu werden. Da ist der Stolz auf den eigenen, gefühlten Intellekt einfach enorm.

Andererseits haben viele Musiker das absolut berechtigte Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Wir sind systemrelevant. An der Kulturszene hängt ein enormer Apparat an Catering-, Gastro- und Hotelbetrieben, die ebenfalls gerade absaufen. Es heißt immer, dass wir enorm alimentiert werden, ob es sich um nicht ma10% handelt. Selbst der Diesel wird stärker subventioniert. Kultur ist ein wesentlicher Teil des Menschen. Aber unsere Branche ist zu instabil, um diese Art von Krise abzufedern.

Aber um auf die Frage der Demonstrationen zu kommen: Ich sehe nicht viel Nutzen in illegalen Demonstrationen. Damit delegitimiert man sich selbst. Erst recht, wenn man Kulturhäuser besetzt. Aber den Zorn offensiver zu zeigen, wrde unserem Milieu definitiv sehr gut zu Gesicht stehen.

Julian Marius Plutz: Damit sprichst du einen interessanten Punkt an, nämlich die der Systemrelevanz. Das Wort brachte Angela Merkel in den politisch-kulturellen Kontext. Während der Finanzkrise deklarierte sie Banken ab einer willkürlichen Größe als systemrelevant, heißt, sie sind so groß und für eine Finanzstruktur so wichtig, dass ein Zusammenbruch dessen ein ganzes System zum Einstürzen bringen könnte. Davon abgesehen, dass dieser Gedanke durchaus eine charmante Seite hat: Irgendwann nutzte den Begriff jeder. Pfleger sind systemrelevant. Kunst und Kultur ist systemrelevant. Und der Friseur sowieso. Wenn alle systemrelevant seien, ist irgendwann gar niemand mehr systemrelevant. Vielleicht ist „gemütsrelevant“ hier ein besserer Begriff.

Albert Schmelzkäs: Nun, so viele hunderttausende Menschen Leben von ihrer Kunst und erhielten keine Unterstützung. Wenn jetzt alle obdachlos oder verhungern würden, ist das nicht relevant für das System. Denn der Rest funktioniert weiter. Wohnungen werden frei. Der Bestatter und der Sargschreiner bekommen Aufträge. Aber so wollen und dürfen wir das nicht sehen.

Julian Marius Plutz: Wie dann?

Albert Schmelzkäs: Nach dieser Logik sind einzig allein Supermärkte, Bauern und Stromanbieter systemrelevant. Die Gesellschaft kommt auch ohne Straßen zurecht. Man fährt dann halt langsamer. Die Gesellschaft kommt ohne Elektronik udn Internet zu recht, dann lesen wir eben wieder Bücher und stricken. Die Gesellschaft kommt ohne Krankenhäuser zurecht, dann sinkt die Lebenserwartung eben wieder auf 50 Jahre. Aber das will keiner. Niemand würde den Ausfall des Internets als Luxusproblem bezeichnen, nur weil ein paar Millionen Menschen in Deutschland nicht arbeiten können. Und genauso darf man auch Musiker, Friseure und Schmuckgeschäfte nicht verrecken lassen. Das alles ist natürlich möglich, wenn wir „Systemrelevanz“ so definieren, dass nur der Bauer, der uns ernährt, von Bedeutung ist. Aber dann leben wir ab nächster Woche im Mittelalter.

Julian Marius Plutz: Es geht auch um Halten, um Wahren und Schützen des Lebensstandards.

Albert Schmelzkäs: So ist es. Wenn wir nicht den Anspruch haben, unseren Lebensstandard und unsere von uns hoch angesehen Würde zu verteidigen, können wir noch heute anfangen, unseren Job zu kündigen und das Grundgesetz zu verbrennen, so lange wir dem Bauern gegen einen Laib Brot noch einen Gegenwert bieten können. Aber wir alle wollen doch mehr als Fressen wie Vieh. Zu unserem Standard gehört gutes Essen, Straßen, Internet, Cafés, Museen, Konzerte und all die Leute, die daran hängen. Wenn wir anfangen, einzelne Branchen und den Menschen dahinter die Daseinsberechtigung abzusprechen, können wir diese Gesellschaft gleich ganz in die Tonne kloppen.

Julian Marius Plutz: Mir kam gerade die Maslowsche Bedürfnishierchie in den Kopf. Unten stehen die physiologischen Bedürfnisse, dann folgt Sicherheit, soziale Bedürfnisse etc, bis hin zur Selbstverwirklichung. Ich frage mich, ob das für Künstler tatsächlich so stringend hierarchisch darstellt. Du beschreibst Selbstmorde von Künstlern, „bloß“ weil sie sich nicht ihrer Leidenschaft hingeben konnten. Erst daraus resultierten soziale Probleme. Die genannten Fälle könnten beim Aldi an der Kasse arbeiten. Sie tun es nicht, da ihre individuellen Bedürfnisse so promiennt sind, dass sie zu quasi physiologischen Bedürfnisse werden.

„Wir Künstler fühlen uns einfach nur Verarscht“

Ist das nicht das eigentliche Verbrechen der Corona Maßnahmen, dass ein Berufsverbot für Künstler auf kurz oder lang den emotionalen und dann sozialen Tod bedeutet? Mir wurde das in der Fernsehserie Weissensee bewusst, als die Künstlerin Dunja Hausmann aufgrund ihrers Berufsverbot Stück für Stück zerbrach.

Albert Schmelzkäs: Die Menschen bringen sich um, weil die Bank 200.000 Euro für das Haus sehen will und die Kinder versorgt werden müssen. Und wenn Kinder nicht in Schulen und KiTas betreut werden können, macht es um so schwerer. Das weiß jeder, der in der Pandemie gerade Kinder erzieht. Und es ist auch nicht so einfach, vom Klavier an die Supermarktkasse zu kommen.

Musiker sind ja nicht die einzigen, die ihre Arbeit verlieren. Der Unterschied ist ihre spezielle Profession. Künstler sind enorm gut ausgebildete Intellektuelle. Aber wie interessant ist es für ihren Aldi Filialleiter, wenn ich ihm eine Bach-Partita vorspiele, ihm das System der temperierten Intonationssysteme erkläre, eine Mahler-Sinfonie analysiere oder ich ihm die Musikgeschichte vom 8. bis zum 21. Jarhundert erkläre? Dafür habe ich keinen Schimmer von Buchhaltung und habe nie eine Kasse abgerechnet oder Waren bestellt.

Julian Marius Plutz: Was erwartest du als Musiker von der Politik für deine Branche?

Albert Schmelzkäs: Verständnis. Verständnis, dass Opernhäuser über derartig gute Lüftungssysteme verfügen und diese teilweise für viel Geld im letzten Jahr angeschafft haben, wie kaum andere Gebäude. Verständnis, dass man den Leuten vermitteln kann, dass sie in einer 40 Meter langen Brechröhre mit fünf Meter Rumpfdurchmesser und 300 anderen Leuten zum Saufen nach Malle fliegen können, während Theater und Museen mit 15 Meter Deckenhöhe ein enormes Raumvolumen aufweist. Hier können kontaktfreie Wegpläne und geräumiges Sitzen etabliert werden. Wenn 200 Leute im Großraumbüro sitzen oder sich bei Tönnies am Fließband stehen und sich anstecken, interessiert das keine Sau – bis mal etwas passiert. Aber im Kultursektor, wo man so gut wie keine Infektionen nachweisen konnte, wird suggeriert, es herrsche ständig akute Lebensgefahr. Wir Musiker fühlen uns einfach nur verarscht.

Entweder wir machen NoCovid, oder wir öffnen alles alles und lassen nicht einzelne Branchen außen vor, nur weil wir mehr Bock auf Shopping mit 500 Leuten haben, als mit 500 anderen auf Godot zu warten. Die Lage ist eindeutig. Godo wird genau so wenig seinen Arsch auf die Bühne bewegen, wie Vater Staat ein gerechtes Öffnungs- oder Schließungskonzept ausarbeitet, gleichzeitig Tests und Impfungen anzukarren wie Israel oder die Briten 24 Stunden am Tag und auch am Wochenende, um eine Herdenimmunität herbeizuimpfen.

Julian Marius Plutz: Das Testzentrum in Fürth, immerhin 100.000 Einwohner, schließt am Freitag um 16:30 Uhr und öffnet am Montag um 8:00 Uhr.

Albert Schmelzkäs: Herzlichen Glückwunsch.

Dieses Interview ist ein kleiner Ausschnitt aus einem langem und fortlaufendem Gespräch, dass irgendwann und in irgendeiner Form erscheinen wird.

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O’impft is! Auf eine friedliche Pandemie!

Von Julian Marius Plutz.

Die Melange aus Bier und Schweiß, die ohne jeden Zweifel den Zauber des größten Volksfest der Welt ausmacht, war längst angerichtet, als der Dieter Reiter die Bühne betrat. Mit hochrotem Schädel, einem Grinsen, das debiler kaum sein könnte und einer einer übergroßen Spritze in der Hand betrachtete er die tobende Masse. Der Schottenhamel war voll besetzt und die Schunkelgesellschaft saß bei Brezen, Haxe und Spatenbräu beisammen und warteten ungeduldig auf die Männer der Stunde. Wie viel braucht der Oberbürgermeister diesmal? Wieder nur zwei? Und auch der Markus Söder steht bereit, daneben das Ehepaar Stefan und Gaby Astra – Zeneca. Viel geredet wurde, doch zum Oktoberfest werden alle Zweifel ausgeräumt. Mit Symbolkraft. Denn Deutschland krempelt die Arme hoch, ehe die sozial Verarmten Deutschland umkrempeln.

Bedächtig und staatstragend geht der Oberbürgermeister an das Impfass. „Oans – zwoa“ ruft er, doch die Menge ist lauter. Und drin ist er! Er zieht er die Spritze raus aus dem Astrazeneca-Fass während das Festzelt förmlich brennt. Und wer bekommt die erste Impfung, wie weiland die erste Maß? Richtig, der bayrische Ministerpräsident! Und ehe sich der Markus versah, rammt der Reiter mit diabolischen-SPD- Augen die Injektion in seinen Arm.

„O’impft is! – Auf eine friedliche Pandemie!“ bleckt Münchens Oberbürgermeister in die Menge. Und der Schottenhamel jubelt. Menschen liegen sich in den Armen. Völlig Fremde küssen sich innig. Jetzt ist die Rettung da. Und wenn’s der Söder verträgt, dann verkraften die geistig noch ungünstiger verfassten Leut‘ das auch noch. Während dem Spektakel nickt das Ehepaar Astra und Zeneca dem Ministerpräsidenten zu, während aus ihren Pupillen die Dollarzeichen blinken. Zwoa Sauhund sans scho!

Eine sinnlose Zahl überschreitet einen Willkürlichen Wert

Zugegeben – ich hatte bereits besser geschlafen. Aber ein jeder Albtraum beginnt mit einem realen Ereignis. Als ich durch das Münchner Qualitätsblatt „tz“ blätterte, las ich Schockierendes: „Oktoberfest 2021 mit Besuchern„? Ja, Sie haben richtig gelesen. Ein Volksfest mit Besuchern! Was für eine verrückte Vorstellung. Gut, Riesenrad, Zuckerwatte, Zwei Hax’n mit vier Maß, dazu drei Obstler und einen Apfelstrudel, dann ab ins Kettenkarusell – ist so ganz ohne Menschen ein eher kompliziertes Unterfangen. Wie ein Orchester schwerlich ohne Instrumente spielen kann und ein Fußballspiel nicht ohne den Fußball auskommt, gibt es kein Volksfest ohne Volk. Es gibt überhaupt gar keine Feste ohne Menschen. Denn dann handelt es sich um kein Fest, sondern um ein leeres Zelt mit Bierbänken.

In Zeiten, in denen sich die Weisheiten von Meister Eder bewahrheiten („Es muss a blede Leid gem, abe es wern oiwei mehra“) wundert es auch nicht mehr, dass selbst die Träume mit dem Zeitgeist gehen. Es ist schon abenteuerlich: Ein ganzes Land glotzt wie Bambi vorm finalen Schuss Tag für Tag auf einen nicht nur willkürlichen, sondern auch noch falsch interpretierten Wert. Denn vor Corona bedeutete „Inzidenz“ die Anzahl der auftretenden Erkrankungen zu einem bestimmten relativen Verhältnis in einem bestimmten Zeitraum. Wie viele Menschen erkranken beispielsweise auf 100.000 Menschen. Diese Zahl wäre sinnvoll, wären zwei Parameter gegeben, die jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand versteht.

  1. Redete man von Erkrankungen, so hätte man recht. Ein extrem sensitiver und nicht standatisierter Test, der unter Umständen sogar Kontaminationen mit einem Corona Virus, die Wochen her sind, anzeigt, macht keinen Sinn. Hier wurde genug gesprochen und geschrieben. Zwischen positiv getestet und tatsächlich erkrankt liegen Welten, wie es einen himmelweiten Unterschied zwischen HIV positiv und AIDS gibt.
  2. Redete man von der immer gleichen Basis der Getesteten, könnte man zumindest die positiven Tests im gleichen Maße vergleichen. Doch die aktuelle Handhabe der 7-Tages-Inzidenz ist aussagelos. Wenn noch nicht mal in Würzburg und in Regensburg gleich intensiv getestet wird, wie soll man denn Niedersachsen und Hessen vergleichen? In Nürnberg beispielsweise ist es seit Monaten kein Problem, sich in den Impfzentren testen zu lassen. Sogar Schnelltests sind seit Ende Januar möglich. In Baden-Württenberg gibt es heute noch nicht flächendeckend und schon gar nicht kostenlos, wie in Bayern, Antigentests. Im Ausland wird seit Monaten bereits mit Schnelltests getestet. Bei einer unterschiedlichen Basis ist der Vergleich von Inzidenzen sinnlos. Schweden oder Frankreich oder Israel sind die Neuinfektionen weit höher, als in Deutschland. Trotzdem wird dort aktuell weniger gestorben, wenn man die Letalitätsrate als Maßstab sieht. Wie Pumuckls Freund richtig sagte: „Es muss a blede Leid gem, abe es werden oiwei mehra“.

So mussten also einige Schüler in bayrischen Großstädten, die sich auf den Präsenzunterricht gefreut und es teilweise auch wirklich nötig hatten, spontan zu bleiben, weil ein sinnloser Wert eine willkürliche Grenze übersprungen hat. Wow.

Wahnsinnige Pandemie oder pandemischer Wahnsinn

Streng genommen und auch nicht so streng genommen ist dieser Irrsinn ohne Festbier gar nicht auszuhalten. Also geh‘ ich mir gleich einen Sechserträger kaufen, den ich mir dann wiederum folgerichtig ins Gesicht stellen werde. Warum auch nicht? Als Franke und herzhafter Atheist bin ich dem fränkischen und herzhaften Oskar Panizza verpflichtet. Natürlich. In seinem wunderschönem Stück: „Das Liebeskonzil“ schreibt er den viel zitierten Satz „Wenn der Wahnsinn epidemisch wird, heißt er Vernunft“. Und zu Zeiten des Satirikers, damals hatte dieser Titel noch einen Wert, gab es wahrlich tödliche Pandemien. So raffte die dritte Pestwelle 1898-1912, ausgehend übrigens aus China, 12 Millionen Menschen dahin. Dagegen ist die sogenannte dritte Welle von Corona ein Sturm im (stillen) Wasserglas. Gott sei Dank übrigens. „Wenn der Wahnsinn in der Epidemie epidemisch wird, werden nicht nur die Menschen wahnsinnig, man nennt ihn auch Vernunft.“ Oder so. Und die Mutter der Dummen ist immer schwanger.

In den letzten Tagen habe ich im Radio gehört, wahrscheinlich im Bayrischen, „die Absage“ des Oktoberfest „könnte verschoben werden.“ Ja. Darauf kann man eigentlich nix mehr sagen. Höchstens noch hoffen, falls man die Wies’n gern hat, dass bis zum September alle schön durch geimpft sind und man sich wieder bei Brezen, Haxe, und Spatenbräu das Spektakel anschauen kann, wenn die Welt vor Spannung kaum Atmen kann, wie viele Schläge der Oberbürgermeister in diesem Jahr braucht, bis es endlich Ozapft is. Bis dahin bleibt nur das Festbier vom Getränkemarkt empor heben und voll Inbrunst schreien: „Auf eine friedliche Pandemie!“

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Esch is over, Jogi!

Trauten Sie auch Ihren Ohren kaum? Ich fiel fast von der Leiter, war ich doch gerade dabei, die Balken vom Balkon des elterlichen Wohnhauses zu streichen – Überkopf, übel launig und kurz vor Eintreten des Tennisarms. Aber der Schmerz verflog in Windeseile und die Stimmung hob sich rapide, als der Deutschlandfunk die frohe Botschaft verkündete. Jogi Löw geht nach der Europameisterschaft 2021. Wirklich? Nein, Julian. Diese Geschichte ist wahr! Endlich ist es so weit. Gut, drei oder sieben Jahre zu spät. Aber immerhin. Denn sein Vertrag läuft theoretisch noch weitere zwei Jahre. Den will er nun nicht mehr erfüllen, der Joachim.

Der Schritt kam durchaus überraschend. Denn noch vor knapp 14 Tagen saß der Jogi ruhig und aufgeräumt in der „Sportschau“ und erklärte, er wolle seinen Vertrag erfüllen. Jovial wie eh und je stellte er in Aussicht, dass Thomas Müller wieder für das Deutsche Team spielt. Das wird wohl auch kommen, jedoch nicht unter der Regentschaft von Löw. Wer ihm nachfolgt, muss sich noch klären, ist auch im Moment nicht wichtig. Wichtig ist, dass er weg ist. Jeder Mensch ist ersetzbar. Auch Joachim Löw, obwohl er und erschreckend viele Teile der Bevölkerung dies lange Zeit nicht wahrhaben wollten.

Viel zu lange an Der Macht gewesen

Nun ist es üblich, dass sich Menschen in Machtpositionen für unverzichtbar halten. Das ist bei Merkel so, das war bei Kohl so. Und das ist bei Jogi Löw auch der Fall. Allein der Ausspruch, den viele Unterstützer bei Kritik an der Person sofort parat haben, spricht Bände: „Wer soll den Job denn sonst machen?“ Allein dieser Satz ist im Kern bereits totalitär. Es gibt in Deutschland so viele fähige Trainer, die mehr Erfolg und Erfahrung hatten, als Joachim Löw, bevor er Bundestrainer wurde. Das ist also kein Argument. Gut, es muss nicht gerade Lothar Matthäus sein. Aber Ralf Rangnick oder Stefan Kuntz sind sicherlich fähige Teamchefs, denen ich den Job zutrauen würde. Es wird sich jemanden finden und wenn sich dieser als Fehlbesetzung herausstellt, dann macht es eben ein anderer. Und sind wir ehrlich: Es geht ja auch nicht um den Posten eines Chefarztes, an dem Leben hängen.

Die Entscheidung ist durchaus wegweisend – auch über den Fußball hinaus. 2021 ist das Jahr der Veränderungen. Im September tritt Angela Merkel nicht mehr zur Wahl an. Jogi Löw geht im Sommer. Zwei Unkaputtbare, Ewig-Führer verlassen die Bühne der höchsten Entscheidungen. Sinnbildlich für die Konstitution der Deutschen bleibt dennoch der Fakt, dass sie so entsetzlich lange an der Macht waren. Und keiner kam ihnen wirklich gefährlich. Als die Mannschaft bei der WM 2018 bereits in der Vorrunde scheiterte, gab es seitens der Funktionäre im DFB kaum Anstalten, den ewigen Jogi loszuwerden. Selbst als das Team 0:6 gegen Spanien verlor und eine desolate Leistung an den Tag legte, konnte sich der noch-Bundestrainer behaupten.

Auch Angela Merkel überlebte ihre desaströsen Entscheidungen. Nachdem sie in der Flüchtlingskrise an den Interessen „der hier schon länger Lebenden“ vorbei entschied und auch vorbei an den echte Feministinnen, den Schwulenbewegten, den Juden, alle die sich mit Recht sorgten, verzieh ihr das Stimmvieh gnädig. Man strafte die Union zwar ab, aber Merkel war weiterhin in der Lage, im Amt zu bleiben. „Strategische Mehrheit“ nannte sie das. „Ich kann nicht erkennen, was ich hätte anders machen können“, nannte sie es auch. Eine Fehlerkultur, die die Kanzlerin bis heute, Stichwort „Alles rund um Corona“ beibehalten hat. Unerträglich.

Zu Stolz, entscheidungen zu revidieren

Nun werden in den nächsten Monaten die Karten neu gemischt. In Frankfurt und in Berlin treten neue Personen an, die es hoffentlich besser machen. Merkel hätte nach einer durchaus nachvollziehbaren Hoffnung 2005 2009 nicht mehr wiedergewählt werden sollen. Aber der Wähler hat nun mal anders entschieden. Und im Gegensatz zu Angela möchte ich keine demokratische Wahl rückgängig machen. Auch in dieser Aussage, nachdem Kemmerich in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, zeugt von einem kruden Demokratieverständnis, das in möglicherweise in eine FDJ Sitzung gehört, nicht jedoch ins Kanzleramt.

Und Löw? Hätte er die Größe eines Philipp Lahm, hätte er 2014 seine Karriere beim DFB beendet. Damit hätte er sich unsterblich und zu einer Legende gemacht. Nach diese sieben Jahre Krampf wirkte er zuletzt wie einer, der nicht loslassen kann. Einer, dem es zu bequem im Chefsessel wurde, der sich so an die Insignien der Macht gewöhnt hat. Der längst aufgehört hat, zu hinterfragen. Der, der sich immer von den gleichen Leuten mit den gleichen Meinungen beraten lässt und sich niemals mehr von der Gegenseite belehren lässt. Jemand, der lieber falsche Entscheidungen bis zum bitteren Ende vertritt, als den Kurs zu ändern. Weil sie zu stolz sind, zu borniert, zu ignorant und viel zu abgehoben.

Und am Ende ist es vorbei und man sitzt im Loch, das man sich selbst gegraben hat. Man schaut nach oben und sieht nichts als vorbeiziehende Wolken. Die Scherbenhaufen sind kilometerhoch und jeder weiß, wie sehr sie gescheitert sind. Man hatte es ihnen gesagt, doch zugehört, das haben sie nicht.

Esch is over, Jogi. Zeit zu gehen, Angela. Gott sei Dank und endlich. Vermissen werden wir euch nicht.