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Dating im Islam heißt Freiheit abgeben

von Julian Marius Plutz

Fast hätte ich mich an das SZ-Abo gewöhnt. Als ich jedoch das Interview meiner Lieblings-Realsatirikerin Sophie Passmann klicken wollte, verriet mir mein iPad, dass meine Plus-Mitgliedschaft ausgelaufen war. Zu schade. Jetzt werde ich nie erfahren, was für fetzige Thesen die Sophie in diesem Gespräch wieder von sich gegeben hat. Also tat ich das, was mir ein Leser empfohlen hatte: Ich suche mir ein neues Gratis-Abo. Was soll es dieses Mal sein? DIE ZEIT. Jawoll! Einst Haus- und Hofblatt von Schmidt Schnauze und dem freiheitlichen Geist verbunden, scheint die Gazette immer mehr zur halb-linken, halb-doofen Lokuszeitung zu degenerieren..Wenn man den wackeren Jochen Bittner und den einen, oder anderen raren Beitrag von Herausgeber Josef Hoffe einmal abzieht. Und natürlich die wunderbaren Videos und Texte von Wolf Schneider. Wobei die sind schon ein paar Jährchen alt. Aber dennoch – der Schein kann manchmal trügen.

Ich erfuhr, dass Baschar al-Assad mit COVID infiziert wurde. Jaja, das Virus in seinem Lauf, hört auch nicht bei dem Massenmörder auf. Im gleichen Artikel lese ich, dass die Türkei bereits 10 Millionen Menschen geimpft hat, was ungefähr 12% der Bevölkerung spricht. In Deutschland sind es knapp als die Hälfte, also 6%. Sogar Erdogan kann besser Impfen organisieren, als Spahn, Merkel und von der Leyen. Andererseits: Wen wundert‘s? Meine Empfehlung als Nachfolger für den bebrillten Gesundheitsminister ist simpel, effektiv und kostengünstig. Ein x-beliebiger Regionalleiter von Aldi könnte den Job sicherlich besser hinkriegen, als der Jens. Denn die schaffen es, die Schnelltests verfügbar zu machen. Das regelt der (Super-)Markt.

Man findet durchaus lesenswerte Stücke in der ZEIT, so ist es nicht. Und Schreddern um des Schredders Willen macht zwar Spaß, ist allerdings nicht allzu geistreich. Und daher lobe ich gerne den im folgenden beschrieben Artikel, ist er doch hervorragender Journalismus in sofern, da er schlicht sagt, was ist. Und das beste: Dafür hätte ich gar keine Gratis-Abo abschließen müssen. Doch der Reihe nach.

„Was hältst du von der AfD?“

„EINER MEINER BRÜDER HAT MÄNNER AUS DER MOSCHEE GECASTET“ versuchten mich die blauen Lettern zu erschlagen. Doch Glück gehabt, ich konnte ausweichen. Ein „Protokoll“ von drei Moslems lässt sich bei Zeit Campus ganz kostenlos lesen. Und es beginnt vielsagend: „Wie geht Dating in Zeiten von Tinder, wenn man mit dem Sex bis zur Ehe warten will?“ Das ist in der Tat eine schwierige Angelegenheit, wenn man ein Mittel der Moderne dafür nutzt, ein Familienbild aus der Steinzeit gerecht zu werden.

Die erste Geschichte handelt von Ipek, einer Fotografin mit Kopftuch. Ihr Herz schlägt im gleichen Rhythmus mit Patrick, der bei der ersten Begegnung dachte, ihr Schleier sei noch von der Hochzeit übriggeblieben; sprich, das Kopftuch symbolisierte, sie sei verheiratet. Doch als dieses Missverständnis ausgeräumt war (er ist nicht so schlau, wie mir scheint), begann eine wunderbare islamischen Romanze. Da Ipeks Erziehung den Austausch von Intimitäten vor der Ehe untersagt, was für Marcel – inshallah – kein Problem darstellte, gestalteten sich die ersten zwei Treffen rein auf platonischer Ebene.

Und weil die beiden es ernst miteinander meinen, fand das dritte Date bereits bei den Eltern zu Hause statt. Und die Kartoffel hatte Glück: „Dass Marcel Deutscher ist, war und ist für sie kein großes Problem“. Holla, die Waldfee! Es handelte sich also nur um ein kleines Problem, das gelöst werden kann. Und zwar mit investigativen Fragen vom Papa: „Welche Art von Deutscher bist du?“ Eine wichtige Frage. Haben Sie sich das nie gefragt? Sind Sie eher der „Refugees-welcome-Deutsche“, oder eher der „Joghurtbecher-gehören-in-die-Spühlmaschine-Deutscher?“ Oder: „Was hältst du von der AfD?“ Denn das fragte Ipeks Papa.

„Eigentlich hätte ihm ja klar sein müssen, dass ein Mann, der mit mir zusammen sein möchte, kein AfD-Anhänger sein kann.“ geht das Protokoll weiter. Doofer Papa, weiß man doch, dass alle AfDler Muslime hassen. Dass es Muslime in der Partei und im Unterstützerkreis gibt, hey, geschenkt. Das passt nicht in das Erzählmuster.

Probewohnen bei den Eltern

Doch nun stehen die turtelnden Täubchen vor einem Problem. Praktizierende Moslems. Aber dürfen nur zusammen wohnen, wenn sie verheiratet sind. Man heiratet, ohne sich vorher jemals berührt zu haben und wenn die Hochzeit vollstreckt ist, darf man endlich gemeinsam wohnen und körperlich sein. Was für eine heikle Angelegenheit! Denn wer sagt denn, dass man im Bett die gleichen Interessen hat? Vielleicht gestaltet sich das Zusammenleben als eine mittlere Katastrophe, da er oder sie ständig die Socken, oder die Teebeutel in der Wohnung liegen lässt?

Doch Ipek wäre nicht Ipek, hätte sie nicht eine Lösung parat: „Meine Eltern sind liberal und haben vorgeschlagen, dass wir das Zusammenleben bei ihnen zu Hause ausprobieren könnten.“ Was für den durchschnittlichen Menschen die angewandte Hölle sein muss, bei den Schwiegereltern auf Probe zu wohnen, scheint für Marcel kein Problem zu sein. Natürlich schlief man in getrennten Zimmern.

Ein Jahr später sind Ipek und Marcel, der inzwischen völlig überraschend zum Islam konvertierte, verheiratet. Es ist die wunderbare Geschichte einer moslemischen Liebe. Wunderschön. Der Liberalismus des Elternhauses endete in der Frage einer möglichen Sympathie zur AfD. Wenn der Freiheitsgedanke dort endet, wo die andere, missliebige Meinung beginnt, dann reden wir nicht über Freiheit, sondern über Knechtschaft. Wäre der Marcel ein Mitglied der AfD, gäbe es kein „Probewohnen“ und auch keine Heirat, sondern einen gepflegten Tritt in das Hinterteil.

Die Lust an der Unterwerfung

Die zweite, brandheiße Geschichte handelt von Shady. der auf dem Foto gar nicht sehr slim aussieht. Na gut, Eminem hin oder her, der Shady probiert es mit der App Muzelmatch. Warum auch nicht? Die Date-Applikation, die ich mir natürlich sofort heruntergeladen habe, funktioniert im Prinzip wie Tinder. Zumindest auf dem ersten Blick. Doch es gibt Unterschiede. „User haben die Möglichkeit, eine Art Schutzbefohlenen zu einem Match hinzuzufügen, der darauf achtet, dass die Unterhaltung halal, also nach den Regeln des Islam abläuft.“ Der Anstandswauwau, vermutlich Bruder oder Vater, liest also mit und achtet, dass die Sitten eingehalten werden. Hier werden patriarchale Träume wahr. Und DIE ZEIT ist live dabei.

Dalal erzählt uns ihre, die dritte Dating Story.Als sie 21 war, also vor acht Jahren, war es der Bruder, der die Dates für sie aussuchte. Selbstredend durften es nur Muslime sein und natürlich war auch hier der Bruder beim Date anwesend. Ich hätte ja meinen Bruder erschlagen. Aber wir sind ja keine Muslime. Dann hätte er mich wohl augrund der falschen sexuellen Orientierung erschlagen. Nun aber, mit 29 Lenzen, traue sie sich Dates alleine zu. Das finde ich richtig knorke.

Drei Moslems, die sich sicherlich als „liberal“ bezeichnen würden, unterwerfen sich freiwillig dem islamischen Patriarchat. Das letzte Wort wird immer Das Familienoberhaupt, wahlweise der Bruder haben. Die Unlust an der Freiheit ist in jeder Zeile zu spüren, wenngleich ich mich frage, wie ehrlich diese Ausführungen sind. So lesen doch die Patriarchen mit.

Natürlich erlaubt eine liberale Gesellschaft unfreies Leben, so lange es freiwillig geschieht. Und hier besteht das Problem. Menschen kommen zur Welt und werden frei. Dies ist ein Prozess, der idealerweise ein liberales Umfeld benötigt. Wie viele würden aus dem islamischen Patriarchat ausbrechen, wenn die familiären Strukturen wie in Stahl gegossen sind? Wenn ein Los sagen vom Zwange womöglich den kompletten Kontaktabbruch von Familie und Freunden bedeutet? Wie weit sind sie bereit und was sind sie bereit, für die Freiheit zu opfern?

Eigentlich wollte ich DIE ZEIT schreddern. Aber wozu? Ich halte dieses Protokoll für das Deskriptivste, was ich in den Tendenzmedien seit langem gehört haben. Die Autorin verzichtet völlig auf Bewertung, sondern lässt die Protagonisten einfach reden. Und was sie so reden, lässt tiefer blicken, als die See am Strand von Elba. Niemand braucht betreuten Journalismus. Der Leser ist klug genug und reif genug, sich ein eigenes Urteil zu bilden. DIE ZEIT macht hier genau das, was ihr Auftrag ist: Sagen, was ist.

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Kabarettismus am Nockherberg

Von Julian Marius Plutz.

Eines vorweg: Mit den aktuellen Kabarettisten können Sie mich in aller Regel jagen. Ja. Ob „Extra 3“, oder „Neues aus der Anstalt“. Ob Pispers, Rether und wie sie alle heißen. Meist überzeugt mich ihr Programm nicht. Nicht nur, weil die Themenauswahl selektiv ist und in das Weltbild der Protagonisten zu passen hat, was wiederum zur Folge hat, dass andere, wichtige Themen nicht vorkommen. Vor allem aber nervt mich das gewollt Ernste in den Nummern, wenn die Künstler von Bedeutung nur so triefend ihre völlig unmaßgebliche moralische Agenda präsentieren.

Auch viele Beiträgen von Dieter Nuhr oder Lisa Eckhart hauen mich nicht vom Hocker. Sie sind nett, ja, ja, Ok. Aber Sie wissen ja, wie die Schwester von „nett“ heißt. Einzig die skurrilen Interviews mit der Eckart unterhalten mich sehr, da sie auf eine unglaublich authentische und gleichzeitig so künstlich-sterilen Weise eine Originalität an den Tag legt, an die vielleicht noch an die wunderbare Monika Gruber heranreicht, wenn sie mal wieder in altbairisch die Merkwürdigkeiten des Alltags beschreibt. Noch mehr als das erheitert mich jedoch der regelmäßige Shitstorm um Lisa Eckhart von Leuten, die tatsächlich nicht in der Lage sind, zwischen Person und Kunstfigur zu unterscheiden. So doof zu sein ist auch irgendwie Kunst.

Lachen first, sich langweilen second

Aber dennoch: Deutsches Kabarett ist seit Hanns Dieter Hüsch, Wolfgang Neuss und Dieter Hildebrandt nicht mehr das was es war oder viel mehr das, was es sein sollte: Den herrschenden Herrschaften mit Satire und Biss wenigstens für einen Moment das selbstgerechte Grinsen aus dem Gesicht zu zaubern. Ich selbst durfte Hüsch, aber auch Neuss, Beltz und Degenharts Werke einmal in einer kabarettistischen Revue, in der ich mitspielte, interpretieren. Mich beeindruckten damals vor allem die Texte vom Wolfgang Neuss („Ich finde Weizäcker gut. Aber nicht so gut, wie er tut“) und die vom schwarzen Schaf vom Niederrhein.

Wo Hüsch noch in „die sogenannten Intellektuellen“ das Establishment auf die seine Art verhöhnte, scheinen mir viele der heutigen Spaßerzeuger eben diesem Establishment gefallen zu wollen. Genauso spielte es sich in diesen Tagen in München ab. Auf dem Nokherberg, wo in diesem Jahr wieder das „Derblecken“ stattfand. Doch da mir die Sendung wärmstens empfohlen wurde, freute ich mich auf den Abend. Vielleicht werde ich eines besseren belehrt, beim diesjährigen Nockherberg. Weiß man‘s?

„Derblecken“ ist bayrisch und heißt kritisieren, verspotten. Gerne laut und gerne derb. Klassischerweise sitzen die Großkopferten vor Wurschtplatten, Riesenbrez‘n und Metallkrügen voll Starkbier und lachen sich bei jeder noch so schiefen Pointe ein Loch in den Bauch. Mit hochroter Visage und dem Puls kurz vor‘m Kammerflimmern schütteln sich die Politiker durch den Abend. Was sind unsere Herrschaften doch für humorige Wesen! Ja nicht den Anschein erwecken, man sei mit dem Programm nicht so einverstanden. Lachen first, sich langweilen second.

Maxi Schafroth war wie sein Vorname: Lieb und harmlos

Nachdem der Nokherberg 2020 aus lauter Schreck vor dem pandemischen Massensterben ausgefallen war, was dann selbst ausfiel, fand das Derblecken 2021 ohne Zuschauer statt. Maxi Schafroth führte in einem Solo den Zuschauer durch das Programm, in denen die Großkopferten, vom Eiwanger bis zur Schulze und natürlich unser aller Führer, Dr. Markus Söder via Webcam geschaltet waren. Jeder hatte seinen eigenen Bildschirm und jede Partei war auch vertreten. Schön. Moment, jede Partei? Leider hatten der Bayrische Rundfunk die größte Oppositionspartei im Bundestag vergessen. Dafür sah man Dietmar Bartsch, DIE LINKE, von einer Partei, die überhaupt nicht im Maximilianeum sitzt.

Der Standard will doppelt sein. Gerade radikalisierte sich die Linke mit ihren beiden neuen Vorsitzenden. Susanne Hennig-Wellsow unterzeichnete den Appell für eine antikapitalistische Linke, eine Gruppierung, die der Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich einstuft. Ebenso wie Marx 21, ein Bündnis, das die Co-Vorsitzende Janine Wissler mitgründete. All das wären Steilvorlagen fürs Derblecken, wenn schon mal der Fraktionsvorsitzende Bartsch „vor Ort“ ist. Wäre. Kein Wort davon. Auch der Versuch, die AfD per Verfassungsschutz zu beobachten, was krachend scheiterte, fand im Programm kein Platz, ebenso wie die 20 Abgeordneten der Ex-SED, die verfassungsfeindliche Gruppierungen unterstützen.

Das Programm vom Maxi Schafroth war wie sein Vorname: Lieb und harmlos. Mühe gab er sich, keine Frage und die choralen Gesangseinlagen waren aller Hören wert. Doch zu zaghaft, zu nett und zu respektvoll, fast schon anbiedernd schlingelte sich der Allgäuer durch den Abend. Und die Politiker? Sie lachten standesgemäß, was man, je länger der Abend wurde, um so häufiger und lauter hörte. Eigentlich hörte man irgendwann nur noch Katharina Schulze, die grüne fleischgewordene Infantilität. Jede Pointe beantwortete Mrs. Femizit mit einem Kichern oder gar einem Lachen. Ich habe keine Ahnung, welchen Sinn es macht, die völlig uninteressanten Reaktionen von Katharina Schulze zu präsentieren. Eins jedoch weiß ich ganz bestimmt: Es nervte tierisch.

Die Höchststrafe für Satiriker

Eingebettet war Schafroths Programm in einer 45 minütigen An- und einer 30 minütigen Abmoderation, die sich wie zweimal „Sieben Jahre in Tibet“ anfühlte. Ja. Ich habe keinen Schimmer, weshalb man alle 28 geschalteten Politiker vorher fragen muss: „Was erwarten Sie vom Nockherberg 2021?“ und nach der Show dann fragen muss: „Wie fanden Sie den Nockherberg 2021?“ Oder, vielleicht weiß ich es doch? Dieses anbiedernde Moderation erregt den Verdacht der Gefälligkeit. „Hoffentlich gfällt‘s dem Margus und dem Hubert!“

Kurze Antwort auf die Sorge: Ja, es gefiel. Ein jeder Politiker wurde nach dem Programm interviewt und jeder, wirklich jeder sagte das gleiche: „Mei, der Maxi hat des so schee gemocht!“ Ja, ja. So schee. Der Schwiegersohn vom Nockherberg wurde von allen herzlich geherzt und wäre es eine echte Live Veranstaltung ohne Abstandsregeln, käme er aus den Umarmungen nicht mehr raus. Den einzigen, eher sphärischen Unterschied machte Hubert Aiwanger. Der bayrische Wirtschaftsminister hörte sich an, als wäre er gerade auf dieser Mars Mission und repräsentierte eindrucksvoll den Stand der Digitalisierung in Bayern. „Aber auch so schee hat‘s der Maxi gemacht“, freute sich auch Claudia Roth. Na dann kann ja nix mehr schief gehen.

Die Höchststrafe für einen Satiriker ist es, vom Ziel seiner Satire gelobt zu werden. Der Maxi Schafroth wurde von jedem einzelnen Politiker bestraft. Und er hat selber Schuld. Wenn auch nur einer der Herrschaften seine Visage noch im Griff hat, bei mehr als 90 Minuten Zeit für Beleidigung und Spott, der betreibt kein Kabarett, sondern Kabarettismus. Wie der Hofnarr den König Bei Laune hielt, so degradiert sich Maxi Schafroth selbst zum Pausenclown des Establishment. Gefälligkeit und Satire geht nicht zusammen. Kabarett und politische Agenda auch nicht. Kabarett sollte nicht zum Kabarettismus verkommen.

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Wie die SPD den Thierse schredderte

Von Julian Marius Plutz.

Was die SPD für die Parteienpolitik ist, scheint der 1. FC Nürnberg für die Fußballfans zu sein. Beide sind stets stolz auf die Geschichte, vorausgesetzt, sie liegt, ebenso wie ihre Erfolge, Jahrzehnte zurück. Gerne verweist man auf ihre Tradition, die sich zwar schön liest, ihnen aber in der aktuellen Situation rein gar nichts bringt. Und beide haben eine unfassbare Lust am Untergang und am eigenen Leid, das nach außen getragen wie eine immaterielle Monstranz, um den Leuten zu zeigen: „Schaut mal, wie schlecht es uns geht“.

Wie beim „Glubb“ sind viele Probleme der SPD hausgemacht. Alleine die Tatsache, dass die Partei einen Kanzlerkandidaten stellt, übrigens viel zu früh, der die Strahlwirkung eines Getränkemarktes an den Tag legt, spricht Bände. Gut, werden Sie sagen, Außenwirkung ist nicht alles. Das stimmt. Aber ohne Außenwirkung ist in der Politik alles nichts. Da brauchen Sie gar nicht erst anfangen. Möglicherweise hat Olaf Scholz seine Verdienste, im Wirecard Skandal liegen sie schon mal nicht, aber in Sachen Rhetorik und sprachliche Finesse gewinnt die Partei mit dem Hanseaten keinen Blumentopf. Und schon gar nicht die Bundestagswahl.

Das alles wäre gar nicht so schlimm, wenn die Lautsprecher der Partei nicht so sind, wie sie sind und fest dabei sind, ihre Partei vollends zu zerstören. Zum Hintergrund. Wolfgang Thierse schrieb in der FAZ einen Artikel, der ungeahnte Wellen schlug. Leider ist dieser hinter der Bezahlschranke, aber ich kann Ihnen sagen, dass sich zumindest ein Probeabo der FAZ+ für diesen Beitrag lohnt.

Identitätspolitik ist „elitäre Dummheit“

So kritisiert der ehemalige Bundestagspräsident die Haltung innerhalb der SPD zum Thema „Identitätspolitik“. Da von diesem Begriff viel gesprochen wird, halte ich es für hilfreich, ihn zu definieren. Auch wenn man die Wikipedia mit Vorsicht genießen sollte, hat die Enzyklopädie hier einen recht guten Beitrag produziert. „Identitätspolitik ist eine Zuschreibung für politisches Handeln, bei dem Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe von Menschen im Mittelpunkt stehen. Angestrebt werden höhere Anerkennung der Gruppe, die Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Position und die Stärkung ihres Einflusses.“

Genau dieses Handeln stört Thierse an seiner Partei. Zur Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin schreibt er „Weil mich der Name beleidigt und verletzt, muss er weg, das ist die fatale Handlungsmaxime“. Die Kritik an der Ideologie der weißen Überlegenheit dürfe nicht „zum Mythos der Erbschuld des weißen Mannes werden“. Ebenfalls plädiert Thierse für eine positive Besetzung von Begriffen wie „Heimat, Patriotismus, Nationalkultur“. Diese dürfe man nicht den Rechten überlassen. Das Bedürfnis nach einer Nation als kultureller Beheimatung zu leugnen, zeuge von „elitärer, arroganter Dummheit.“

Das saß. Und rief die Identitären in der SPD auf den Plan. Doch statt mit Thierse in ein Gespräch zu treten, am besten öffentlich, gingen Saska Esken und Kevin Kühnert voll auf Angriff. Und das in einem schwer erträglichen larmoyanten und vorwurfsvollen Ton: Aussagen einzelner Vertreter der SPD zur sogenannten Identitätspolitik“ würden „ein rückwärtsgewandtes Bild der SPD“ zeichnen, das „euch verstöre“, heißt es in eine Mail an die Mitglieder. Klar war, wer gemeint war und klar war, was gemeint war. Thierse ist der Störenfried und Saskia und Kevin sagen der Basis, ab wann sie verstört sein dürfen und was sie für rückwärtsgewandt zu halten haben. Damit ist die Diskussion bereits vor der Diskussion beendet. Traumschön. Diese betreute Mitgliedschaft wird Ihnen präsentiert vom SPD Vorstand.

Schmidt würde die SPD nicht wiedererkennen

Wolfgang Thierse erkannte die Anspielung. Und er reagierte. In der FAS erwägt er nun, aus der SPD auszutreten. Doch was noch viel wichtiger ist: Wolfgang Thierse war einer der prominentesten Unterzeichner des Appells für freie Debattenräume. Dessen Geist wiederholte er noch einmal eindrücklich:“„Menschen, die andere, abweichende Ansichten haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs in den Medien oder aus der Universität auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten.“  Eine politisch korrekte Säuberung der Sprache ist eines der Hauptinstrumente, wie Identitätspolitiker operieren. Thierse kann da nur noch den Kopf schütteln. Und nicht nur er.

Man muss sich das Szenario noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der SPD Vorstand versucht gerade, Wolfgang Thierse zu schreddern. Wolfgang Thierse. Ja. Für mich der Innenbegriff von Integrität, Seriosität und Verlässlichkeit. Ihm würde ich die PIN meiner EC Karte anvertrauen und das Manuskript meiner verborgenen Meisterwerke. Auch wenn es Herr Kühnert nicht wahrhaben will: Er bildet auch einen Teil der SPD ab. Sicherlich ist Thierse links in seiner Grundausrichtung, aber durchaus konservativ, was der Bezug zu einzelnen Werte angeht. Das funktionierte Jahrzehnte in der SPD hervorragend. Heute wird man zum Problem-Mitglied. Gerd Schröder wäre heute in der Partei eine persona non grata. Otto Schily? Längst weg. Helmut Schmidt? Ausgetreten, wenn nicht ein Parteiausschlussverfahren gerade läuft oder zu Ungunsten des Ex-Kanzlers abgeschlossen wurde.

Schmidt Schnauze würde seine Partei nicht mehr wiedererkennen. Eine Partei, die einst den Arbeiter, neben dem Lehrer, neben dem Rentner, neben dem Studenten, den Arbeitslosen und dem Professor beheimatete. Heute ist der verrentete Lehrer übrig geblieben. Ein wesentlicher Fehler der Parteiausrichung ist sicherlich der Versuch, sich zwischen Grünen und der Linkspartei zu positionieren. Ein Grund ist die vermaledeite Identitätspolitik. Und Kopien möchte keiner wählen. Wer es grün kuschelig und Habeck-ahnungslos haben möchte, der wählt eben Habeck und Konsorten. Und wem es noch nicht zu scharf ist, der geht zur Ex-SED. Kein Mensch braucht diese SPD mit dieser Ausrichtung. Ich kenne so viele Menschen, die die SPD wählen würden, wenn sie sich auf das besinnen, was sie einmal waren: Eine Volkspartei, die mehr Meinungen und mehr Debatten zulässt, als den ewigen Tunnel der sogenannten Linksliberalen.

Aufstand der Basis?

Wolfgang Thierse hat in der DDR erlebt, was Cancel Culture bedeutet. er weiß, was es heißt, wenn Debatten vom Staat gewaltsam unterbunden werden. Er war der zweite Vorsitzende der SPD der DDR. Mit dem Neuen Forum ging er in den Widerstand. Er muss niemanden etwas beweisen. Vielleicht erkennen 30-Jährige SPD Stellvertreter, die jenseits von Parteiarbeit kaum Erfahrungen in Arbeit und Alltag sammeln konnten, die Lebensleistung eines ihrer treusten und wichtigsten Mitglieder an. Und vielleicht ist die Debatte um Wolfgang Thierse Anlass, um die einseitige Ausrichtung der SPD zu diskutieren. Denn diese Politik erschafft vor allem eines: Sozialdemokraten ohne Parteibuch.

Und so dümpelt auch der 1. FC Nürnberg in der zweiten Liga umher und muss aufpassen, drittklassig zu werden. Die Führung des Clubs ist ebenso willfährig, den Verein in die totale Belanglosigkeit zu bugsieren, wie die SPD Vorstände es offenkundig möchten. Es hängt, wie immer, an den vielen einfachen Mitgliedern, sich diesen Wahnsinn nicht länger gefallen zu lassen. Warum nicht mal ein Aufstand der Basis? Die Zeit dafür wäre da.

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Die Rettung naht: „Gay Games“ vielleicht in München!

Von Julian Marius Plutz.

Offenkundig habe ich eine neue Profession. Denn, ob ich es mag, oder nicht: Ich bin schwulenbewegt. Ja. Also, nein. Ich bewege mich zwar nicht besonders schwul, wie auch immer das im Detail gehen soll, aber dennoch bewegen mich Themen rund um Homosexualität. Doch nicht etwa, wie viele Linke das Thema angehen und Schwule zu Kuschelmenschen degradieren, die wie Tiere, die drohen, auszusterben, schützenswert seien. Inzwischen kann ich mich ganz gut selbst verteidigen, danke. Und wenn Sie wirklich seltene Lebewesen retten wollen, empfehle ich eine Spende an die Deutsche Wildtierstiftung.

Dieses Thema treibt mich um, wie es bedeutungsschwangere Politiker gerne formulieren. Denn wo am wenigsten Schwulenfeindlichkeit herrscht, wollen Social Justice Warrior sie am heftigsten bekämpfen. Was auf eine Art praktisch ist: Denn kann man einen Kampf gegen Niemanden, trotz eklatanter Wehrlosigkeit, kaum verlieren. So doof können sich die Protagonisten gar nicht anstellen. Der Applaus und das lächelnde Nicken selbstzufriedener Grünbürgerlichen ist ihnen gewiss. Und der SZ Artikel folgt.

Gut gemeint ist selten gut gemacht

Wo wir bei meiner zweiten neuen Profession angelangt sind: Rezensent der Süddeutschen Zeitung. Noch nie fühlte sich ein 30-tägiges Probeabo so lang an. Und kaum ein Tag vergeht, wo ich nicht über irgendwelche Sonderbarkeiten stolpere, sehen Sie hier, oder hier. Heute fand ich wieder so eine Merkwürdigkeit. Auch dieses Mal gibt sich „Alpen-Pravda“ als eine journalistische Zumutung, die aber immer die brandheißen Neuigkeiten parat hat:

München habe „Gute Chancen auf Gay Games“. Auf bitte was? Welchen Schwulentrend habe ich schon wieder verpasst? Homosexuelle Videospiele? Schwules Trivial Pursuit? Eine neu erfundene Sportart nur für die geneigten Teilnehmer?!

Die letzte Beschreibung kommt den „Gay Games“ am Nähesten. Und der Hintergrund ist durchaus ernst. Die Spiele gehen auf dem Schwulenaktivisten Tom Wadell zurück, der 1980 die Veranstaltung ins Leben rief. Ziel war die Schaffung eines Sportereignisses, das frei von Schwulenfeindlichkeit sei. Tatsache. Leider ist aus der guten Absicht eine Veranstaltung geworden, die frei von interessierten Zuschauern ist. Aber das nur am Rande.

Save spaces sind für Randgruppen wichtig, keine Frage. Aber eine internationale Sportveranstaltung, die an den Olympischen Spielen angelehnt ist, hat auch immer eine Außenwirkung. Doch welcher Eindruck soll hier entstehen? „Da es so viel Schwulenfeindlichkeit gibt, machen wir unser eigenes Olympia?“ Das klingt für mich nach Appeasement. Warum sollte ich an etwas nicht teilnehmen, weil ein paar Leute mich hassen, weil ich so bin, wie ich bin und mir stattdessen eine rosa Scheinwelt aufbauen? So erschafft man eine Welt, die mit der Realität nichts zu tun hat.

So wird München endlich „froh und heiter

Nun hat also München, genauer gesagt, das Münchner Olympiastadion, gute Chancen, 2026 den Zuschlag für die Spiele zu bekommen. Wie 1972, schwärmt der SZ Journalist. Hatten sich die Spiele von damals doch „ selbst das Motto gegeben, fröhlich und heiter zu sein, was dann durch das Attentat palästinensischer Terroristen auf jüdische Sportler auf schreckliche Weise konterkariert wurde.“ Ja, ja, damals war das Motto schon wie die Schwulis sind. Immer heiter, immer froh. Alle sind sie wie Dirk Bach, Hella von Sinnen und Hape Kerkeling. Blöderweise wurde diese sakrische Fröhlichkeit durch diesen lästigen Anschlag gestört. „Und doch bleiben von damals auch die farbenfrohen Bilder dieser „Regenbogenspiele“ im Gedächtnis, die voll im Trend der Siebzigerjahre lagen und gut zum aufkommenden Farbfernsehen passten.“, so der Artikel weiter. Gott sei Dank konnte man das Blut der Opfer in Farbe sehen.

2026 nun wird München vielleicht wieder „fröhlich und heiter“. Endlich. Bis dahin müssen sich die Bewohner jedoch noch gedulden und mit ihrem Trübsal umgehen. Aber dann, mit den Gay Games, strahlt München endlich wieder unter dem Regenbogen. Nur die elf toten Juden und die eine tote Polizistin, die bei dem islamischen Anschlag 1972 starben, lassen wir dieses Mal weg.

Everybody’s Kuschelmensch wird zu Everybody’s Depp

In einer Stadt, die zu den schwulen Hochburgen in Deutschland gehört, ein Event für Gays und deren Rechte, Unterdrückung und was weiß ich noch, zu veranstalten, ist ungefähr so sensationell, wie am Karfreitag Fisch zu essen. Es handelt sich hier um eine reine Symbolveranstaltung von und für Funktionäre, die sich danach loben können, was sie denn schrecklich Tolles für die Toleranz getan haben. Traumschön.

Wie wäre es, die Gay Games in Katar zu veranstalten? Die Islam-Diktatur gilt seit Jahren als Sehnsuchtsort für den Profisport. Das Schwulenevent dort zu organisieren, wäre mehr als nur Symbolik. Hier ginge es um wirkliche Unterdrückung von Homosexuellen. Und wenn schon München, dann könnte man wenigstens die Eröffnungsrede in der Al-Mahdi-Moschee abhalten, in der ein irrer Imam schon mal von der „Krankheit Homosexualität“ spricht, die man heilen müsse. Hier besteht noch am ehesten Aufklärungsbedarf. Dies sagte übrigens ein „liberaler“ Prediger. Was sprechen dann wohl die illiberalen Imame aus?

Aber im Ernst: Der Kampf gegen Schwulenfeindlichkeit braucht keine Extra-Events, wie Gay Paraden oder Gay Games. Eine Einbettung in die tägliche Selbstverständlichkeit, oder besser, in Gleichgültigkeit der Mehrheitsgesellschaft genügt. Doch das ist für die Social Justice Warriors zu wenig, beraubt es sie doch ihrer ganzen Existenz. Eines kann ich Ihnen versichern: Niemand will everybody’s Kuschelmensch sein – am wenigstens für Aktivisten, die sich daraus definieren. Everybody’s Kuschelmensch wird auf kurz oder lang zu everybody’s Depp.