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Gesellschaft

Gegen die Maßnahmen hilft nur echte Empörung

Von Julian Marius Plutz.

„Ein Zyniker ist jemand, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt“. Dieses bekannte Zitat stammt von Oscar Wilde und hat mindestens einen wahren Kern. In einer spöttischen Art, die auf den einen oder anderen seelenlos wirken kann, werden Dinge verpönt, die der andere schätzt. Wie in diesem Beispiel: „Eine Diktatur ist eigentlich nicht das Schlimmste, wenn man sich anschaut, wer alles in einer Demokratie mitentscheiden kann.“ Eine klassische Art, den Wert, die Demokratie, nicht wahrzunehmen, ja, ihn gewissermaßen zu verpreisen. Dabei ist gar nicht entscheidend, wie die Haltung des Zynikers zum Wert selbst ist. Es genügt, dadurch die Meinung desjenigen zu karikieren, der diesen Wert vertritt. Das ist die eine Seite.

Eine andere Seite des Zynismus ist, dass er nicht immer, aber häufig schlichte Verzweiflung ausdrückt. Sie beschreibt eine gewisse Desillusionierung bezogen auf die Welt, oder auf wesentlich Teile davon. Und er kann in seiner Bitternis auch einfach nur lustig sein. Die Aktion #wirmachendicht, war in Teilen zynisch. Aber auch sarkastisch und in vielen Fällen verdammt komisch. Die Reaktion auf das Projekt machte mir zwei Dinge sehr deutlich: Erstens, Deutsche haben ein wahnsinniges Problem mit Sarkasmus und Zynismus. Sie verstehen diese Stilmittel schlicht nicht und er, der Deutsche, verurteilt vor allem Zynismus zutiefst. So verhöhnten die Künstler laut vielfacher Aussagen Mitarbeiter im Krankenhaus, obwohl nicht in einem einzigen Clip von Pflegern oder Ärzten die Rede war. Zynismus und Sarkasmus sind im Übrigen zwei verschiedene Dinge, die in praktischen Beispielen jedoch häufig verschwimmen.

Zynismus als Bewältigungsstrategie

Die zweite Sache verdeutlichte mir die Aktion: Ich bin in einigen Punkten zum Zyniker geworden. Ja. Gerade die Corona Maßnahmen haben in mir diese Haltung manifestiert. Zunächst war da die Wut ob der Corona Maßnahmen. Und als sie verlängert wurden und verlängert – „nur noch ein paar Wochen“ – und dann gar nicht mehr aufhörten, kam die Verzweiflung. Wohin mit meiner Kritik? Aufschreiben, na klar, aber auch die Worte „auf Papier“ lasen sich immer mehr zynisch. Die Übergriffigkeit vieler Maßnahmen seitens der Regenten evozierten in mir eine Machtlosigkeit, die ich vorher nicht kannte. Hatte ich noch vor Covid eine recht präzise Vorstellung, wie mein „perfekter Staat“ auszusehen hat, so ist die Antwort auf die Frage, welche Partei ich gedenke, zu wählen, auf ein Minimum geschrumpft: Ich wähle die Partei, die mich am ehesten in Ruhe lässt.

Mein Zynismus ist also eine Art Bewältigungsstrategie, der einen großen Nachteil in sich trägt. Aufgrund seines abwehrenden Charakters erzeugt er eine emotionale Antriebslosigkeit, die an manchen Stellen zu einer Gleichgültigkeit wird. In den letzten Wochen fiel mir das besonders dann auf, als ich leidenschaftlichen Beiträgen von meist jungen Menschen lauschte, die sich noch ehrlich und herrlich ansteckend empören konnten. Dazu muss ich etwas ausholen.

Nur durch Ungehorsam ensteht Veränderung

Twitter hat eine tolle Funktion geschaffen, die sich „Twitter Spaces“ nennt. Diese Spaces funktionieren im Prinzip wie die App Clubhouse. Man eröffnet einen solchen Raum und Menschen können diesem beitreten und lediglich mittels ihrer Stimme kommunizieren. Je mehr Menschen beitreten, desto lebhafter wird eine solche Diskussion. In diesen Gesprächen, der ich teilweise nächtelang beiwohnte, lernte ich nicht nur interessante Menschen kennen, deren Meinung ich politisch teilweise gar nicht teilte. So lauschte ich beispielsweise die flammendsten Redebeiträge gegen die antisemitischen Proteste auf deutschen Straßen, oder die man sich nur vorstellen kann! Echte Brandreden, wahre Empörung. Ich war Gasthörer von Reden, die sich gegen die Lockdown Politik richten, bei denen ich nur so staunen konnte. Twitter hat mit den Spaces etwas geschafft, was ich sozialen Medien nicht zugetraut hätte: Einen Raum für echte, kontroverse Diskussionen mit Respekt und Anstand und noch dazu auf einem meist anständigen Niveau. Meiner eigenen Gleichgültigkeit wurde der Spiegel vorgehalten.

Menschen im Alter von 16 oder 20 haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Zynismus ist ein Schutzmechanismus, aber er hilft auf Dauer und in der Breite nicht weiter. Es muss wieder Zeit sein für echte Empörung und wahre Leidenschaft. „Ein Zyniker ist jemand, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt“, ist also nur die halbe Wahrheit – aber auch nicht ganz falsch. Die innere Immigration in Form zynischer Worte kann persönlich hilfreich sein, ja. Aber um Dinge zu verändern bedarf es mehr. Die Corona-Maßnahmen, der Lockdown, vor allem die politisch angeordneten Kontaktverbote hatten eine eine Wirkung: Menschen, die sich vor dem März 2020 wie selbstverständlich über Fehler der Herrschenden ausgetauscht hatten, wurden ihrer Plattform beraubt. Der Stammtisch in der gewohnten Form wurde zerstört. Soziale Medien können das nur in Teilen subsituieren, aber immerhin versuchen sie es. „Es sind doch nur noch ein paar Monate“ wurde zum Mantra einer Schweigespirale. Alles, was die Regenten beschließen, sei abzunicken. Dieser auferlegte Devotismus ist mir zu wider und muss enden.

Von Oscar Wilde und aus „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ stammt auch dieses Zitat: „Ungehorsam ist für jeden Geschichtskundigen die eigentliche Tugend des Menschen. Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt, durch Ungehorsam und Aufsässigkeit.“ Es ist Zeit, dass aus diesen Worten Haltung wird. Denn nur durch echte Empörung kann wahre Veränderung entstehen.

3 Antworten auf „Gegen die Maßnahmen hilft nur echte Empörung“

Ich bin an diesem Satz von Ihnen „Ich wähle die Partei, die mich am ehesten in Ruhe lässt“, hängen geblieben. Ich habe da eine andere Entscheidung getroffen, ich gehe gar nicht mehr wählen. Wäre das in Ihrem Falle nicht auch ehrlicher, denn Ihre Entscheidung macht in meinen Augen gar keinen Sinn, oder? Oder glauben Sie etwa an die „Verschwörungstheorie“, „jede Stimme die nicht abgegeben wird, ist eine Stimme für die AfD“?

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