Von Luca Tannek.
Sei es in der Schule, in der Universität oder in der Arbeit -überall heißt es oft so schön: Man solle Fehler machen, um aus ihnen zu lernen. Ruhig auch zweimal. Manchmal braucht es eben ein bisschen länger, um zu begreifen, dass das eigene Handeln einfach nicht zielführend ist. Solange man seine Lehre daraus zieht, beziehungsweise einen Fortschritt gewinnt, ist das völlig in Ordnung. Würde so manch Politiker seine Fehler eingestehen und aus ihnen lernen, dann würde das ein oder andere Land bestimmt besser dastehen. Leider ist das oft nicht der Fall. So ist es nun mal im politischen Geschäft. Politik ist dreckig und das Ego spielt eine übergeordnete Rolle. So auch in der Türkei. Die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayip Erdogan begeht zum wiederholten Male einen fundamentalen Fehler. Sie droht wieder sich in die Geldpolitik einzumischen und sorgt für wuchtigen Vertrauensverlust.
Lira-Schock 2018
Im Jahr 2018 erlitt die Türkei einen „Währungscrash“. Die Lira verlor gegenüber dem Euro 47,80%. Plötzlich erhielt man für einen Euro acht Lira. Die Inflation galoppierte mit 16% davon. Der damalige Finanzminister Mehmet Simsek erkannte die Gefahr und plädierte für eine Erhöhung des Leitzinses von 15% auf 17%. Erdogan jedoch wollte von einer Zinsanhebung nichts wissen. Der Regierungschef präferierte das genaue Gegenteil: Eine Zinssenkeung. Simsek musste kurz darauf seinen Posten räumen und für den Schwiegersohn Erdogans, Berat Albayrak, Platz machen.
Die Zentralbank wehrte sich vehement gegenüber Erdogans Forderung, den Zins zu senken, da sie Vertrauen in ihre Unabhängigkeit schaffen musste und erhöhte zum Überraschen vieler Ökonomen tatsächlich den Leitzins im September 2018 von 17% auf 24%. Betrachtet man rein die geldpolitischen Handlungen in dieser Krise, dann kann man sagen, dass das Gröbste richtig gemacht wurde. Der Leitzins wurde erhöht, die Lira wertete auf und die Inflation sank. Dies geschah aber mit sehr viel Krach im Hintergrund und war in großen Teilen nicht in Erdogans Sinn. Das Vertrauen in die türkische Wirtschaft bleibt deshalb weiter angeknackst. Man traut Erdogan nicht.
Deja Vue 2021?
Aktuell sieht es für die türkische Volkswirtschaft nicht rosig aus. Die Inflationsrate liegt Stand November bei 21% gegenüber dem Vorjahr und der Wechselkurs der heimischen Währung ist seit Anfang 2021 um 40% abgestürzt. Für einen Euro bekommt man nun 15 Lira. Gazprom hat bereits angekündigt, es wolle nur noch per Vorkasse Gas in die Türkei liefern. Eine Kreditvergabe ist dem Unternehmen bei derartiger Wechselkursschwankung zu unsicher. Ebenso möchte der russische Gasproduzent nicht mit Lira, sondern einer „harten Währung“ bezahlt werden. Also zum Beispiel Euro oder Dollar, die nicht so hohen Schwankungen ausgesetzt sind. Eine weitere Ohrfeige für die Türkei ist ihre hohe Verschuldung in Fremdwährung, vor allem in US-Dollar. Durch den Lira-Verfall haben sich die Schulden erhöht und türkische Geldnehmer sind stärker belastet. Zusätzlich wird durch den Kaufkraftverlust von 21% der private Konsum massiv reduziert.
Und was gedenkt Erdogan zu tun? Richtig, er sorgt wieder einmal für extremes Misstrauen stänkert gegen die türkische Zentralbank, schmeißt Finanzminister Lütfi Elvan für Nurredin Nebati raus und möchte spricht sich ausdrücklich dafür aus, den Leitzins auf 15% zu senken -schließlich muss er die böse „Zins-Lobby“ bekämpfen. Wer hier an den Propheten Mohammed denken muss, dem sei es nicht verübelt -der Vergleich zum islamischen Dogmatismus ist eine einladend. Sollte die türkische Zentralbank umkippen und Erdogans Forderung wirklich umsetzen, dann kann man mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage rechnen und die Inflation wird noch höher steigen.
Der Liraverfall hingegen würde einzig den türkischen Exporteuren zu Gute kommen. Sie können zu billigeren Preisen in Länder mit stärkerer Währung ihre Waren und Dienstleistungen verkaufen. Der von exportorientierten Unternehmen dominierte Aktienindex BIST 100 schoss bereits wegen der Kursabwertung in die Höhe. Dazu schreibt die Wirtschaftswoche: „So gewannen die Aktien des Stahlkochers Iskenderun Demir und des Glas-Fabrikanten Sisecam seit Monatsbeginn jeweils rund 40 Prozent, während die Lira rund 20 Prozent an Wert verlor.“Für Investoren jedoch ist die Lage noch angespannter als bisher. Die Verunsicherung steigt.
Rettungsboote sind bereits im Wasser
Die türkischen Bürger vertrauen zunehmend weniger in ihre Währung. Erdogan rief immer wieder dazu auf, sein Volk solle keine Auslandswährung kaufen. Das Gegenteil geschah. Aktuell halten zirka die Hälfte der türkischen Sparer ihr Geld in harten Devisen. Und nicht nur das: Sie legen diese auch vermehrt im Ausland an. Kurz nachdem die Lira ins Wanken geriet, teilte die Zentralbank sogar mit, dass eine hohe Summe an Fremdwährung die Türkei verlassen hat. Etliche Kontoinhaber füllten die Rettungsboote und paddelten sie ins Ausland. Innerhalb von nur einer Woche sollen zirka eine Mrd. US-Dollar die Türkei verlassen haben. Und die Panik kommt nicht von ungefähr. Denn: Der türkische Staatspräsident hat bereits einen Untersuchungsausschuss initiiert, der kontrollieren soll, welche Personen Devisen kaufen und zum Kursverfall der Lira beitragen. Er möchte somit den Devisenverkehr überwachen.
Fazit
Wie man sieht, hat Erdogan nicht nur einmal, sondern zweimal denselben Fehler gemacht. Er droht und setzt massives Misstrauen in sein Land. Er hat aus der Krise 2018 nichts gelernt. Sollte er dieses Mal zusätzlich noch in die Geldpolitik eingreifen und den Leitzins senken, würde er jegliches Misstrauen in ihn bestätigen und die Zentralbank wäre ihre Unabhängigkeit endgültig los. Nur bezweifle ich, ob die von ausländischen Krediten abhängige türkische Wirtschaft Erdogans Ego in solch ausgeprägter Form verkraftet.
Luca Tannek ist 21 und studiert Betriebswirtschaftslehre. Er sieht sich selbst als ordoliberal im Sinne von Walter Eucken.