Von Julian Marius Plutz.
Das Aufkommen der Wikipedia hatte zu meiner Schulzeiten den angenehmen Effekt, für unliebsame Referate kaum Zeit verschwenden zu müssen. Irgendwann kamen manche Lehrer dahinter und schoben dieser Praxis einen Riegel vor. Aus gutem Grund: In der Online-Enzyklopädie kann jeder Fridolin seinen Senf zu diesem, oder jenem Thema abgeben. Dabei gibt es gute Beispiele, gerade viele Texte zu Fachthemen sind hervorragend. Aber gerade wenn es um Personen geht, Zeitungen und Institutionen, wird manipuliert bis der Doktor kommt.
So führte Anette Kahane lange Zeit den Titel als „Bürgerrechtlerin“, während Jan Böhmermann bis heute allen ernstes als Journalist bezeichnet wird. Und der Webblog „Die Achse des Guten“ wird in das „rechte Spektrum“ verortet, obwohl ich von dort mehr aufrechte Linke kenne, als in den Redaktionen von Junge Welt und Neues Deutschland zusammen.
Fragwürdige Parapgraphen kommen zur Hilfe
Im Kontext dieser einfach zu handhabenden Manipulation und der Causa Reitschuster, dazu gleich mehr, steht im Artikel der Bundespressekonferenz dieser selbstbeweihräuchernde Absatz:
„Im Gegensatz zur Praxis in vielen anderen Staaten sind die Hausherren der Bundespressekonferenz die Journalisten selbst und nicht die Regierung, Ministerien, Parteien, Verbände, Weltanschauungsgemeinschaften oder einzelne Politiker. Dadurch kommen auch Journalisten, die für ihre kritischen Fragen bekannt sind, stets zu Wort, während in vergleichbaren Veranstaltungen in anderen Staaten diese Journalisten vielfach keine Fragen stellen können.“
Es ist wie immer im Leben: Anspruch und Wirklichkeit sind nicht nur zwei paar Stiefel, sie klaffen auch auseinander wie ein hübscher Schmiss nach einer Partie akademischen Fechten. Denn die gleiche, sakrosankte Bundespressekonferenz lädt Boris Reitschuster aus ihrer Veranstaltung aus. Doch wie sich für totalitäre Angelegenheiten gehört, bezieht man sich weniger auf den Inhalt des streitbaren Journalisten, sonst würden sie ja gegen die eigenen Prinzipien verstoßen, sondern sie behelfen sich mit technischen Paragraphen:
„Der Mitgliedsausschuss hat in seiner Sitzung am 17. Dezember 2021 die Mitgliedschaftsvoraussetzungen unseres Mitglieds Boris Reitschuster überprüft. (…) Schon im Spätsommer hatte sich (…) der Firmensitz von Berlin nach Montenegro verändert. (…)Nach §12 Abs.3 der Satzung der Bundespressekonferenz geht hervor, dass Mitglieder der Bundespressekonferenz für ein in Deutschland ansässiges Medium arbeiten und in deren Tätigkeit ausschließlich oder weit überwiegend in Bonn oder Berlin ausgeübt wird. (…)Dem Mitgliedsausschuss blieb keine andere Möglichkeit, als festzustellen, dass die Mitgliedschaftsvoraussetzung nicht mehr zutreffen“, so der Vorsitzende des Ausschusses.
Unliebsame Fragen sind unerwünscht
Reitschuster, der in einer sich einigen Runde an Hauptstadtjournalisten unangenehme Fragen stellt, die die Regierung in Verlegenheit bringt, wie es sinngemäß einmal Tilo Jung beklagte, wird nun ausgeladen. Und was machen die etablierten Medien? Sie stilisieren Reitschuster als Jammerlappen, wie die SZ , die Zeitung, die ihm und anderen Kollegen eine Seite 3 gewidmet hat, weil sie es wagten, in der Bundespressekonferenz kritische Fragen zu stellen (Lesen Sie hier mehr: Link). Immerhin hat er 30 Tage Zeit, um dagegen Einspruch zu erheben.
Frei nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“ agiert die Bundespressekonferenz. Die Linie, die Haltung der anwesenden Journalisten muss stimmen. Und wenn man die kritischen Geister schon nicht aufgrund ihrer bockbeinigen Fragen stumm kriegen kann, müssen eben windige Paragraphen herhalten. Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist bedroht. Die Bundespressekonferenz leistet hier seinen Beitrag. Das hat mit freiem Journalismus nichts zu tun. Viel mehr geben sich die Protagonisten als abnickende Schützenhelfer der herrschenden Regierung. Es gibt genau ein System, in dem sich Journalisten mit den Regenten gut verstehen. Und das sind Diktaturen.