Von Albert Schmelzkäs.
Gestern, am 22.2., ist mir mein Rolladen kaputt gegangen. Ich habe ihn vor Jahren elektrifiziert, aber der Panzer hat schon fast 70 Jahre auf dem Buckel und ist einfach ausgerissen. Am Abend stehe ich im Hornbach in Gang 17 bei den Fenstern und bin verwirrt, dass die Rolläden dort nicht zu finden sind. Im Gegensatz zum direkten Hornbach-Konkurrenten in schweizer Nationalfarben ein paar hundert Meter weiter, bei dem man erstmal keine Mitarbeiter findet und schon gar keine, die einem irgendwie weiterhelfen könnten, erleuchtet mich der weise Herr aus Gang 17, in Gang 7 würde ich fündig und so ist es dann auch. Ich baue den Rolladen ein und lasse das Wartungsloch noch offen.
In Ukraine-Livetickern ist gegen Mitternacht die Rede von einer nächtlichen Notfalltagung des UN-Sicherheitsrates um 03:30 Uhr. Die Russen ständen kurz vorm Angriff und Putin ignoriere Selenskyjs Verhandlungsbitten.
Beim Nachrichtenlesen auf der Toilette schläft mir das Bein ein. So sehr, dass ich es nicht mehr belasten oder bewegen kann. Ich will aus dem Bad, stolpere über das taube Bein, der Fuß knickt nach hinten um und mein ganzes Gewicht landet darauf. Sehr laut knackt es einmal und kracht zwei mal und ehe ich registriere, was passiert ist liege ich schon auf dem Boden. Der Fuß ist immernoch taub und ich krieche ins Bett. Die Schmerzen kommen, das Bein wird wach, mir wird schlecht und kalt und ich beginne zu zittern. Einbeinig schraube ich die Klappe des Rolladenkastens zu, um nicht mehr zu frieren. Daran lag es nicht. Es ist 2 Uhr am Morgen, in der Wohnung meiner Eltern breche ich mit Schüttelfrost, Schwindel und einem sagenhaften Tinnitus zusammen.
Im Wartezimmer der Notaufnahme lese ich auf Twitter die Gedanken eines ukrainischen Reporters. Er beschreibt seine Gefühle, seine Ängste, den Horror der Nächte der letzten Wochen. Die Angst, im Krieg aufzuwachen oder gar nicht mehr aufzuwachen. Er sorgt sich um seine Familie und mögliche Notfallpläne.
Mit Krücken wackele ich durch das stille Krankenhaus zur Radiologin, die extra aufgestanden ist. Sie sagt mir, ich soll unbedingt absolut vorsichtig zurück in die Notaufnahme laufen.
Erneut im Wartezimmer starre ich entgeistert auf mein Handy. Russland greift die Ukraine an. Luftschläge, Raketen, Panzer und enorme Truppenbewegungen. Wer hätte gedacht, dass die Katastrophe so nah ist? Gut, vielleicht alle die es prophezeit haben und da lagen die Amerikaner leider sehr richtig mit ihren Warnungen.
Das Röntgen offenbart, der äußere Mittelfußknochen ist gebrochen, zudem sind die Außenbänder gerissen. Wunderbar. Vielleicht muss operiert werden, aber erstmal darf ich nach Hause. In jedem Fall darf ich als Spritzenphobiker mir jeden Tag eine Thrombosespritze in den Bauch hauen. Unfassbar schmerzhaft. Ich überlege, was passiert, wenn ich es nicht tue. Thrombosen führen schnell zu Lungenembolien und die schnell zum Tod. Letztes Jahr hatte ich mir überlegt, eine Patientenverfügung zu verfassen, die jede medizinische Behandlung im Notfall untersagt, um einen Unfall nicht zu überleben und als Ausweg zu nutzen. So muss man es nicht nach einem Unfall aussehen lassen, es ist schlichtweg einer. Aber eine Lungenembolie ist nicht sicher, ein Bänderriß und Knochenbruch nicht lebensbedrohlich und eine Patientenverfügung habe ich auch nicht. Aber eine Betäubungscreme aus Korea, die kaum legal in Deutschland ist, aber die Spritze möglich macht.
Zuhause angekommen lese ich von ersten Maßnahmen anderer Länder. Sanktionen. Rein wirtschaftlich. Die Ukraine haben wir ja schon unterstützt. 5000 Helme. Gut, die sind gar nicht erst angekommen, weil dieser Drecksladen selbst mit Stuhlgang überfordert zu sein scheint, aber die Geste zählt. Was hätte Deutschland sonst tun sollen? Waffen liefern? Welche Waffen? Gewehre die nicht geradeaus schießen? Flugzeuge die nicht fliegen? Panzer die nicht fahren? McDonald‘s-Gutscheine, das ungefähr ist das Niveau mit dem die Bundeswehr anderen noch beispringen könnte. Nur sind selbst die längst abgelaufen, sobald der Transport erfolgt.
Als ich aufwache hat sich der Fuß beruhigt. Ich spüre kaum etwas. Er ist warm und solange ich nur auf der Ferse auftrete, ist alles schmerzfrei.
Ich lese, dass die Sanktionen hart werden sollen. Aber natürlich nicht so hart, dass es Russland schaden könnte. Das würde ja auch uns schaden. Und Russland im eigenen Gas ersticken lassen geht auch nicht, Pipelines einfach schließen geht nicht. Trotzdem ist Nord Stream 2 gestorben. Also es ist gestoppt. Also auf Eis gelegt. Für den Moment. Erstmal. Vorübergehend. Kurz. Viele Staaten erklären, Russland aus dem Zahlungssystem SWIFT ausschließen zu wollen. Deutschland hingegen wird so besonnen sein und diese Maßnahme drei Tage blockieren, weil Frieden zwar wichtig ist, weil die deutsche Wirtschaft aber einfach viel wichtiger ist. Mit der Bundeswehr können wir an keinem Krieg teilnehmen, also auch eigentlich an keinem Frieden, deswegen heißt unser Spiel ,Wirtschaft‘. Immerhin wird einer Handvoll russischen Oligarchen der Zugriff auf ihre Konten verwehrt. Also nicht sofort. In den nächsten Tagen. Wer hätte damit rechnen können, dass Putin angreift? Das waren doch bloß 150.000 Soldaten, die innerhalb kurzer Zeit vor den ukrainischen Grenzen geparkt wurden. Und die USA haben es ja auch erst seit zwei Wochen vorausgesagt. Und diverse russische Generäle seit einem halben Jahr. Wer hätte damit rechnen können? So fair muss man deshlab auch gegenüber ruchlosen, geldgeilen Oligarchen sein. Wer sein Konto nicht schon die letzten Tage leer geräumt hat, kann auch hier auf die Tatkraft und blitzschnelle Handlungsfähigkeit deutscher Politik und Verwaltung im 21. Jahrhundert vertrauen.
Ich frühstücke. Es ist 15 Uhr. Nebenbei läuft „Hannibal“ der letzte Film aus der Hannibal Lecter-Trilogie. Es geht um einen kannibalistischen, psychopathischen universalgelehrten Psychiater, der sein Unwesen treibt.
Währenddessen verkündet ein kommunistisch, psychopathischer ungelehrter Präsidentendarsteller, der mordend sein Unwesen treibt, ganz offen, dass es zu einem Atomkrieg kommt, wenn sich jemand in den Ukraine-Konflikt einmischt. Tja, kaum fällt man mal in ein Land ein und stellt es als den Aggressor dar, schon ist man der Buhmann. Das gab es doch früher nicht. Oh, Moment, doch. 83 Jahre ist es her. Gut, dass Putin es immerhin nicht auf Juden abgesehen hat. Das wäre der Gipfel. Und er sagt ja auch, dass es ihm konkret um eine Entwaffnung und „Entnazifizierung“ geht. Der erste der Sterben soll ist lediglich Selenskyj. Ein Jude, der eine Partei gegründet hat, die bei der Wahl 43,16% und die meisten Direktmandate und damit die absolute Mehrheit abräumte, sich für direkte Demokratie, ein Lobbygesetz und gegen Korruption einsetzt. Also offensichtlich eine Person, die es zu „entnazifizieren“ gilt, indem sie ermordet wird.
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Der 24. Februar 2022. Der Tag, an dem Adolf Putin in der Ukraine einfiel und den dritten Weltkrieg vom Zaun brach, während ich zuhause umfiel und mir den Fuß brach. Vermutlich einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Bisher.
Klar sein muss aber:
Der russische Staatspräsident geriert sich in Worten und Taten genauso wie Adolf Hitler und die Ukraine hat genauso wenig am Einmarsch der Russen Schuld, wie die Polen am Überfall der Nazis.
Die NATO und EU sollte Schweden und Finnland im Eilverfahren aufnehmen, sämtliches Kriegsmaterial und Truppen in Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Griechenland und der Türkei parken und mit Ankündigung jede MIG, Suchoi und Tupolew vom Himmel holen, die die Grenze ohne Genehmigung in Richtung Westen überfliegt.
Putin muss sofort aus dem Weg geräumt werden.
Albert Schmelzkäs, ein 72-jähriger gebürtiger Frankfurter Musiker, Instrumentenentwickler, Konzertorganisator, Instrumentenentwickler, Karikaturist und im Allgemeinen Handwerker, gefangen im Körper eines 23-Jährigen, beschäftigt sich – wenn er nicht im Sexshop arbeitet – mit Politik, Musik, Kabarett und Philosophie, Der Beitrag erschien zuerst auf albertschmelzkaes.de