Von Julian Marius Plutz.
Heute habe ich mit jemandem gesprochen, der mir einst sehr nah stand, mir nach wie vor viel bedeutet und den ich heute guten Gewissens als Freund bezeichnen kann. Seine Stimmung entsprach der meinen, „Was ist mit dieser Welt los?“, fragte er und bezog sich auf den Krieg in der Ukraine. Er hat eine gute Freundin in Lwiw eine Stadt von mehr als 700.000 Einwohner und keine 80 Kilometer von Polen weg. Sie hat Angst, natürlich hat sie das. Vier mal am Tag herrscht Bombenwarnung und mit klopfenden Herzen trifft man sich im Keller. Vier mal am Tag bangen. Dazwischen zum Einkaufen huschen, in der Hoffnung, dass keine Bombe einschlägt und hoffen, dass die Regale noch voll sind.
Wenn ich sage, dass Lwiw nicht weit von Polen entfernt ist, können Sie sich vorstellen, wie europäisch-ukrainisch die Stadt ist. Die Bauten strahlen noch die Würde vergangener österreichisch-ungarischen Zeiten aus. Und auch wenn Ukraine und Russland Brüdervölker sind, ist mindestens dieser Teil so selbstverständlich europäisch wie Verona, Nürnberg oder London. Und die Nazis, die Putin angeblich bekämpfen will? Laut einem Bekannten sind diese nicht mehr vorhanden, als in Stuttgart oder Regensburg. Keinen Grund, die Stadt zu bombardieren um diese zu „entnazifizieren“.
Ist das Meinungsklima besser, als sein Ruf?
So schrecklich und bedrückend diese Tage sind, am meisten für die Ukrainer, so haben diese Zeiten, ich trau mich es kaum auszusprechen, etwas „gutes“. Das „Gute“ hört auf die Namen Dieter Stein, Joachim Steinhöfel, Boris Reitschuster, Klaus Kelle, Wolfram Weimer, Siegmund Gottlieb, Peter Hahne, Roland Tichy und der Menschen mehr. Konservative Intellektuelle, dessen Meinung man teilen mag, oder nicht. Menschen, die was das Thema Ukrainekrieg angeht, das Herz am rechten Fleck haben. Da macht es mir um so mehr Freude, für wenigstens vier Medien dieser Herrschaften bereits Beiträge geliefert zu haben.
Wenn meine Mutter, überzeugte Sozialdemokratin, eine Sendung mit Tichy und Reitschuster sieht und mit nahezu allen Punkten mit ihnen übereinstimmt, was bei 95% aller anderen Themen, die in diesen Sekunden nachrangig sind, nicht der Fall sein dürfte, dann spricht das für ein Meinungsklima, dass bei aller Kritik in diesen Stunden mehr in Takt zu sein scheint, als wir alle glaubten.
Es gibt keine Evangelien der politischen Willensbildung
Es freut mich, dass in diesen Zeiten und bei dieser Schicksalsfrage die deutsche publizistische Konservative sich in weiten Teilen einig ist. Und es erfüllt mich mit ein wenig Genugtuung, dass gerade Geister auf Twitter oder in den Kommentarspalten es nicht verkraften, dass ihre Heiligen eine anderen Meinung sind. Spätestens jetzt – sagt ihnen jemand, der viel zu viel Zeit auf diesem sozialen Medium verschwendet- :Twitter ist Teil der Realität, aber Twitter ist nicht DIE Realität.
Es gibt keine Evangelien in der politischen Willensbildung. Den Menschen, der zu allen Themen exakt die gleiche Meinung hat, wie man selbst, muss man erst erfinden. Wenn es einen Publizisten gibt, den ich auf die Frage, ob ich ein Vorbild hätte, nennen würde, dann ist das Christopher Hitchens. Schwer intellektuell und schwer humorvoll dechiffrierte er Henry Kissinger als lupenreinen Kriegsverbrecher, verfasste ein Standardwerk des Atheismus und biografierte Thomas Paine. Und doch war er beim Thema Israel und sog. Palästina völlig anderer Meinung, als ich. Das geht, das muss gehen. Alles andere ist illusorisch und bedeutet eine unlogische Unterwerfung einer Person, die zum Kult wird. Bis diese Person den Meinungskorridor verlässt und dann ist das Geschrei groß.
Jede Lüge braucht einen Dummen, der sie glaubt
Menschen sind verwundert, dass ihre Bubble diverser ist, als es in zwei Jahren Echokammer sein kann. „Nun auch noch Anabel Schunke“, „was, der Reitschuster auch?“ lässt den kleineren Geistern in eine schier unaushaltbare intellektuelle Krise stürzen. Es scheint, dass der eine oder andere, das selber denken verlernt hat.
Die Propagandamaschinerie läuft indes weiter. Auf Twitter wurde über Stunden ein Video geteilt, in denen vermeintliche rechtsextreme Soldaten in der Ukraine eingesetzt werden. Nun kam heraus, dass das Video von 2014 war. Doch die Lüge war geboren. Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit, heißt es. Doch um eine Lüge zu verbreiten, braucht es einen Dummen, der sie glaubt.
Bei aller Polemik: In der Ukraine, in vielen Städten wie Lwiw haben die Menschen Angst um ihr Leben. Normale Menschen, wie du und wie ich. Die Argumentation von Putin, er wolle die Ukraine denazifizieren, ist auf so vielen Ebenen unsinnig, wie ich bereits hier darlegte. Diejenigen, die Putins Propaganda übernehmen, überhöhen sich, seine und ihre Meinung. Sie tun etwas, was man nicht tut: Die Kriegsrhetorik der Despoten moralisch zu verteidigen. Dieser humanistischer Fauxpas fällt auf die Füße der Ukrainer, die gerade sich, ihre Ehre und ihr Land mit all dem verteidigen, was sie haben.