Von Julian Marius Plutz.
Vor wenigen Tagen fand das Finale des Eurovision Songcontest (ESC) statt. Oder anders: Die größte Homoveranstaltung des Jahres. So gilt seit jeher die Show als „das Championsleague-Endspiel des schwulen Mannes.“ Apropos Fußball: In diesem Jahr stand, wie seit 10 Jahren in der Bundesliga, der Sieger bereits vorher fest. Die Ukraine gewann das Finale.
Ich erinnerte mich zurück, wo ich denn die vergangenen ESC-Finals verfolgt hatte. Die wohl legendärste Sendung war, als Conchita Wurst mit einem Titel, der problemlos ein Bond-Soundtrack hätte werden können triumphierte. Ich schaute das Finale in einem ziemlich abgebrockten schwulllesbischen Begegnungszentrum mit, in Teilen, ebenso abgehalfterten Gestalten um mich herum.
Queersein ist eine Befindlichkeit
Der Raum war klar aufgeteilt. Rechts saßen die Lesben, Links die Schwulen. Es gab eine natürlich wirkende Distanz, bei dem einen, oder anderen sogar eine echte Abneigung gegen „die andere Seit“. Man coexsistierte so vor sich hin. Aber eigentlich hatten wir, wenn die Stadt groß genug war, eigene Partys, eigene Clubs, eigene Räume. Es waren zwei verschieden Szenen und das war auch völlig in Ordnung.
Es war die Zeit von LGB, also „lesbisch“, „schwul“ und „bisexuell“. Konkret: Biologisch geprägte Neigungen. Stück für Stück kamen neue Buchstaben hinzu. “T“ für Trans, also ein Mann, der sich Frauenkleider anzieht, weil er sich als Frau fühlt. „Q“ für Queer, also jemand, der sich irgendwie nach irgendetwas fühlt und ein „+“ für alles mögliche, was es noch so gibt. Der Unterschied von „lesbisch, schwul und bisexuell“ und Queer und Trans und „Plus“ ist klar. Letzteres sind Zuschreibungen, Gefühlszustände, ersteres biologische Realitäten.
Sie kaperten unsere Bewegung
Während Homosexuelle keine Wahl haben, homosexuell zu sein, können Männer entscheiden, ob sie Frauenklamotten anziehen. Und Heterosexuelle, die sich immer schon wünschten, eine Randgruppe zu sein, können sich nun „queer“ nennen. Doch damit können sie sich nicht per Sprechakt Unterdrückung und Ausgrenzung über Jahrhunderte zu eigen machen. Wie der Schwulenrechtler Ali Utlu es richtig sagte, wirkt dies wie der peinliche Versuch, durch eine erfundene Randgruppe besonders zu wirken.
So wie Transfrauen in dem Moment Frauen marginalisieren, wenn sie meinen, sie seien Frauen, so marginalisieren „queere Menschen“ die Schwulenrechte. „Sie klauten uns unsere Slogans und unsere Fahne“, empörte sich Ali Utlu zurecht. Und in der Tat stand die Regenbogenfahne für die Belange Schwuler, Lesben und Bisexuelle, bis eine degoutante Masse an wohlstandsverwahrlosten Genderinfizierten die Bewegung kaperte.
Ab irgendeinem Zeitpunkt, fragen Sie mich nicht wann, wollte jeder besonders sein. Koste es, was es wolle. Endlich Randgruppe, endlich eine eigene Fahne. Endlich Menschen erzählen können, sie wurden benachteiligt. Diese Diskriminerungslust ist nicht nur hochnotpeinlich, sie verharmlost tatsächliche Diskriminierung. Echte Randgruppen wollen nicht als solche wahrgenommen werden, sondern als Individuum. Kostümrandgruppen brauchen den Status „Besonders“ zur Aufwertung ihres Selbst.
Sie haben nichts verstanden
Und so ist es kein Zufall, dass woke Homos Leute wie Ali Utlu ablehnen, ihn in „die rechte Ecke“ stellen wollen, weil er „nur“ für Schwulenrechte eintritt und sich nicht für jeden Fetisch verantwortlich fühlt. Und noch weniger Zufall ist, dass gerade Lesben, einst von den schwulen Männer eher distanziert betrachtet, Leuten wie Utlu zustimmen. Sie als Frauen wissen ganz genau, wie leicht man marginalisiert wird, wenn sich am Ende jeder Fridolin per Handzeichen zur Dame erklären kann.
Wer existenzielle Tatsachen wie biologische Merkmale mit individuellen Befindlichkeiten und Identitäten Selbstdefinitionen gleichstellt, versteht es nicht. Wer glaubt, eine Frau zu sein, wenn er nur ganz fest dran glaubt, versteht es nicht. Und wer meint, das Leid der Emanzipation von Homosexuellen zu kapern, weil er sich „queer“ nennt, hat rein gar nichts verstanden.