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Zum Tod von Clemens Arvay: Sie spüren nichts

Von Julian Marius Plutz

Am 10. November 2009 tötete sich Robert Enke. Er starb an einer Krankheit, die Depression heißt. Eine tödliche Krankheit. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit wurde wahr. Zwei Kinder und eine Frau stehen ohne Papa und ohne Ehemann da. Die Witwe Teresa Enke stellte sich der Presse und stellte sich vor ihre Familie. Bis heute engagiert sie sich mit einer Stiftung zum Thema Depression. 

Die Anteilnahme nach dem Freitod war beeindruckend. Im Stadion seines Vereins, Hannover 96, muss es bei der Trauerfeier mucksmäuschenstill gewesen sein, obwohl jeder Platz besetzt war. So erzählte es ein Bekannter, der vor Ort war. In der Mitte des Spielfeldes war der Sarg platziert. Eine Fußballnation nahm Abschied. Keine Spur von Häme, von Hass und Beschimpfungen, die dieser Sport wie kein anderer kennt. Alle waren sich einig, dass etwas passiert ist, was nie hätte passieren dürfen. 

Vor wenigen Tagen nahm sich Clemens Arvay das Leben. Ich kannte ihn nicht und habe auch kein Buch von ihm gelesen. Ich glaube, ich habe ihn einmal in einer Talkshow gesehen. Laut dem Internet sei er “umstritten” gewesen, was heutzutage fast schon eine Auszeichnung darstellt. Aber das ist egal. Alles ist egal, wenn jemand nicht mehr ist. Nichts bleibt mehr, wie es einmal war, weil nichts mehr bleiben kann. Die gar nicht mal so gute, alte Zeit kommt als schlechte neue Zeit daher. Und keiner wurde gefragt, ob er damit einverstanden ist. 

Angehörige stellen sich banale Fragen, die in dem Moment alles bedeuten. Was machen wir mit seinen Sachen? Sollen wir sein Zimmer belassen, es ausräumen? Sollen wir den Platz am Esstisch weiter decken und wenn wir das nicht tun, schaden wir dann seinem Seelenheil? In all den mentalen Überforderungen braucht es ein stabiles Umfeld, Verständnis und Hilfe von außen. Die Hilfe, die das Todesopfer vielleicht nicht bekommen hatte oder nicht annehmen konnte. 

Was im Zuge der Bekanntmachung des Freitodes von Arvay in den sozialen Medien abgelaufen ist, kann man guten Gewissens als “asozial” bezeichnen. Kritiker der Maßnahmenkritiker missbrauchten den Suizid auf das Übelste. Ich werde hier nichts dergleichen zitieren, weil es mir zuwider ist. Diese Pietätlosigkeit, diese tiefe, kalte Menschenfeindlichkeit, diese Respektlosigkeit vor einem schlimmen Schicksal lässt tief blicken. Es sagt alles, um das Seelenwohl dieser Menschen. Sie spüren nichts mehr, wie ein Junkie auf Crystal Meth. Sie sind moralisch bankrott, ethisch pleite und chronisch empathielos. 

Die gleichen Leute instrumentalisieren den Suizid der “Impfärztin” Lisa Kellermayr. Die Querdenker hätten sie in den Tod getrieben. Jetzt haben beide Seiten ihren Freitod. Es steht 1:1. Prima, und wem ist damit geholfen? So wenig, wie es den einen Grund gibt für einen Suizid, so wenig gehört es sich, einen solchen Schicksalschlag für irgendetwas zu missbrauchen. Jeder, der einen Funken Einfühlungsvermögen aufbringen kann, weiß das. Doch die Soziopathie der Ewigguten, die selbst gewählte Psychopathie der ganz Vorsichtigen, lässt dies nicht zu. Sie können es nicht besser. Sie können nur nach unten treten, weil sie für ein Gespräch auf Augenhöhe keinen Schneid haben. Sie sind feige wie Schulhofmobber und unehrlich wie Trickbetrüger. 

Viele haben ihren 10. November 2009. Ein Tag, der alles verändert. Ein Tag, an dem man glaubt, alles Lebendige in einem ist für ewig erloschen. “Wenn ein Mensch nur kurze Zeit lebt, sagt die Welt, dass er zu früh geht,” singen die Puhdys. Und das stimmt. Hilft aber auch nicht. Der Volksmund sagt, dass niemand umsonst gestorben ist. Ich glaube, das ist falsch. Clemens Arvays Tod war für nichts gut. Ein sinnloser Tod eines 42-Jährigen Mannes. Möge seine Seele ruhen. Alav Hashalom! 

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