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Brinkhaus macht mich fassungslos

Von Julian Marius Plutz.

Ich bin fassungslos. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich verlor die Fassung. Völlig randlos ging es in mir zu. Es ist das erste Mal – völlig im Ernst – dass mein Körper auf ein Wort eines Politikers reagierte. Mir wurde speiübel, sage ich Ihnen, als ich die Rede von Ralph Brinkhaus hörte. In diesen knapp neun Minuten ist alles enthalten, was man in Sachen Agitation und Propaganda in einen Vortrag packen kann. Wirklich alles. Schauen Sie die Rede bitte nur an, wenn Sie sich gefestigt fühlen, eine der manipulativsten, perfidesten und gleichzeitig dummreistesten Stücke der Bundesrepublik Deutschland zu hören. Und halten Sie einen Brecheimer bereit.

Ralph Brinkhaus. Für 120 Sekunden einmal Merkels Kritiker, als es um die Lockdownpolitik ging. Ganz kurz war der Mann aus Wiedenbrück einmal Rebell. Zart klopfte sein Verstand an die lichte Schädeldecke, ehe er sich wieder verzog. Ehe Herr Brinkhaus wieder zum Merkelianer wurde.

Ich ringe mit den Gedanken und den Worte, weil mich diese Rede so sprachlos macht. Der Fraktionsvorsitzende des ehemaligen konservativen Parteienbund, genannt Union, ringt mit dem Schlafen gehen. Wenn er Nachts wach wird, denkt er an die Menschen in den Krankenhäusern und die Menschen, die sterben. Doch nicht etwa an alle Menschen. Nein, denn wir leben in der Welt der Zwei-Klassen-Toten. Wussten Sie nicht? Da gibt es die Coronatoten und die Nichtcoronatoten. Letztere gab es schon immer – erstere sind vermeidbar und hängen laut Politik an exakt zwei Faktoren. Ein Dauerlockdown in Verbindung mit dem Aufbau einer Hygienediktatur einerseits. Und andererseits liegt es an den Menschen selbst. Ja! Denn würden sie sich freiwillig isolieren, gäbe es auch kein Corona mehr. Nur noch ein paar Wochen – aber jeder muss mitmachen! Nur dann ist es vorbei. Wenn alle Juden wenigstens einen Schabbat alle Gebote einhalten, dann kommt der Heiland. Und wenn alle Deutchen alle Maßnahmen ein paar Wochen befolgen, bekommen wir vielleicht vernünftige Politiker. Bis dahin müssen wir mit Ralph Brinkhaus vorlieb nehmen.

Mit wackeliger Stimme und sichtlich von sich selbst ergriffen verteidigt Merkels Helfer die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes. Ein Gesetz, das im Wesentlichen den Föderalismus aushebelt und mit hoher Wahrscheinlichkeiten in mehreren Punkten verfassungswidrig ist. Weiterhin ist er „den Medien sehr dankbar“, dass diese mit „rührenden Geschichten das unterstützt haben“. Ja, da kann er wirklich dankbar sein. Kostenlose PR zu ergattern im Deckmantel des seriösen Journalismus, ist schon eine reife Leistung. Wo in anderen Ländern der Staat noch Medien kaufen muss oder Lizenzen von kritischen Radiosendern nicht verlängert werden, genügt in Deutschland die unbändige Liebe der Journaille zu Angela Merkel. Diese Liebe ist grenzenlos, unconditional wie man im Englischen sagt. Wie die Liebe einer debilen Mutter zu ihrem noch debileren Kind. Es ist einfach nur noch grauenhaft.

Zwischen „Jud süß“ und „Bambi“

Dankbar ist Brinki, dass „auch Enkel interviewt wurden, die ihre Enkel verloren haben.“ Denn auch ältere Menschen seien wertvoll. Wer kann da schon widersprechen? Der Unionspolitiker macht hier etwas extrem perfides. Indem man die Maßnahmen kritisiert, wie dieses demokratieverachtendes Infektionsschutzgesetz, nimmt man Den Tod von älteren Menschen in Kauf. Man ist also unmoralisch, außer man steht hinter Merkels Coronapolitik. Ich halte diesen moralinsauren Taschenspielertrick für das Widerlichste und Dreisteste, was sich ein Abgeordneter seit langem geleistet hat. Mitglieder des Bundestages dienen dem Volk. Sie vertreten uns. Es steht ihnen überhaupt nicht zu, Menschen in gut und böse einzuteilen, als wären sie von Gott gesandt.

„Jeder hat das Recht auf (…) körperliche Unversehrtheit. Und es ist unsere Aufgabe“, so der quartalsirre Ostwestfale, „dieses Leben zu schützen.“ Politiker sind also angetreten, um Leben zu schützen? Also alles Ärzte und Polizisten? Bin ich schief gewickelt, oder der?! Brinkhaus will also das Leben multibel Kranker Menschen auf Teufel-komm-raus retten, die nun im Spätwinter ihres Seins den Corona Erreger in sich tragen? Was für eine unmenschliche, transhumanistische Idee vom Sterben und vom Leben! Der Lackmustest für den aufrechten Charakter ist hier simpel: Brinkhaus sollte seine Politik auf sich anwenden. Würde er wollen, dass er so behandelt wird? Oder seine Frau? Oder sein Kind? Kommt er zum Ergebnis, „ja“, ist seine krude Vorstellung wenigstens konsequent. Tut er das nicht, ist er nichts weiter als ein Heuchler.

„Stimmen Sie für das Leben“, beendet Ralph Brinkhaus seine Rede. Damit ist alles gesagt. Wer dagegen stimmt, der stimmt für den Tod. Intellektuell armseliger kann man es nicht formulieren. Der Fraktionsvorsitzende legt ein Gemüt an den Tag, das, cineastisch gesprochen irgendwo zwischen den Filmen „Jud süß“ und „Bambi“ liegt. Es ist unfassbar. Diese Politiker sind eine Gefahr für das Land. Diese Rhetorik ist dem Deutschen Bundestag unwürdig. Ich bin fassungslos.

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„Es wurden rote Linien überschritten“ –Ein Vater über Gendern im Unterricht

Viele Journalisten tun es, einige Politiker auch und geneigte Akademiker sowieso. Sie gendern. Doch dass nun neuerdings auch diese Ideologie in den Schulen unterrichtet wird, erscheint neu. Neomarius Betreiber Julian Marius Plutz sprach mit Steffan Nethe über politisch motivierten Unterricht, die Einflussnahme von Lehrern und seine Erwartungen an die Schule selbst. Steffan Nethe ist Familienvater dreier Kinder. Er ist 39 Jahre alt, Angestellter bei einer Krankenversicherung und Direktkandidat (LKR) für die Bundestagswahl in Hamburg.

Julian Marius Plutz: Du hast vor einiger Zeit auf Facebook etwas geschrieben, was deinem Sohn widerfahren ist. Das hat dich wütend gemacht und mich hat das Vorkommen sehr verwundert. Grund genug, mich mit dir darüber zu unterhalten. Was war denn das, was dich so fuchsig gemacht hat?

Steffan Nethe: Mein Sohn befindet sich im Homeschooling, wie viele andere Kinder auch. Vor einigen Wochen habe ich mir die Zeit genommen und ihm beim Lösen seiner Deutschaufgaben über die Schulter geschaut. Als er sich dann in einer Aufgabe der geschlechtergerechten Sprache widmen sollte, war ich schon irritiert, oder besser gesagt, eigentlich eher schockiert. Denn der sprachliche Ausdruck leidet in Zeiten von Alder und Digga doch ohnehin schon. Warum also nochmal alles verkomplizieren?

Julian Marius Plutz: Worum ging es bei den Aufgaben genau?

Steffan Nethe: Es ging darum, dass die Schüler anhand eines Beispiels begründen sollten, woran die geschlechtergerechte Sprache festgemacht wird und welche Intention diese verfolgt. Ein Pro und Contra hätte ich verstanden. Doch die Aufgabe selbst war bereits so gestellt, dass die Antwort nur in eine Richtung gehen konnte, und zwar, wie toll es doch für alle ist, zu gendern. Eine kritische Auseinandersetzung damit fand überhaupt nicht statt. Das Ergebnis wurde dann im Online-Lösungsbogen vermerkt.

Julian Marius Plutz: Kurze Info zu deinem Sohn, dass wir das einordnen können. Wie alt ist er und in welche Art von Schule besucht er ?

Steffan Nethe: Mein Sohn ist 10. Er geht in die 6. Klasse eines Hamburger Gymnasiums. Und er hat sich – das muss ich fairerweise sagen, wobei ich das erst später mitbekommen habe – eine Aufgabe aus Klasse 9 gezogen.

Julian Marius Plutz: Warum das denn?

Stefan Nethe: Weil er mit seinen Aufgaben durch war und, das unterstelle ich einfach, wohl nicht in meinem Beisein, Handy und Tablet für nichtschulische Aktivitäten nutzen wollte.

Julian Marius Plutz: So ist das also.

Steffan Nethe: Ja, insbesondere außerhalb der Schule können Kinder hin und wieder recht clever sein.

„Lasst den Kindern bitte Deutsch lernen!“

Julian Marius Plutz: Im Bildungsplan ist für die Sekundarstufe 1 Gymnasium kein „Gendern“ vorgesehen. Das Wort gibt es dort gar nicht. Einzig beschrieben ist in einem Satz, dass beide Geschlechter gleichermaßen im Unterricht vorkommen sollten. Wie erklärst du dir, dass dennoch Aufgaben gestellt werden, die offenkundig eine ganz klare genderpolitische Agenda verfolgen?

Steffan Nethe: Das ist tatsächlich das Spannende dabei. Gendern gehört nicht zum Unterrichtsstoff. Und doch scheint, wer nicht mitmacht, hat ein Problem. Belege gibt es derzeit leider zu Hauf. Diese Entwicklung ist ganz und gar nicht gut. Gendern wird gerade zu einer gewissen Sprachpolitik. Warum das so ist, kann ich jedoch nicht sagen. Meine Vermutung ist ja, dass man der LGBTQ- und BLM-Community nicht auf die Füße treten möchte.

Julian Marius Plutz: Sei dir sicher, ich bin „LGTBQ“ oder was auch immer und ich fühle mich nicht auf die Füße getreten. Eher noch, wenn bewusst unleserlich und unverständlich geschrieben wird. Wie soll man denn Jugendlichen den Wert von Sprache oder Büchern nahelegen, wenn sie ständig über irgendwelche Sternchen und glottalen Verschlüssen stolpern. Wie hat dein Sohn das denn aufgefasst?

Steffan Nethe: Auch das ist das Verrückte dabei, ich habe im Bekanntenkreis einige Homosexuelle, die das Sternchen-, Doppelpunkt- und Unterstrichsetzen nur müde belächeln. Geschlechtergerechte Sprache bringt uns keine Gleichberechtigung. Das muss an anderer Stelle stattfinden. Tja, und wie mein Sohn reagiert hat? Für ihn ist das beinahe schon normal. Denn die erste Mail des Tages beginnt immer mit „Liebe Schüler*innen“. Ob die Lehrer ihre Mails bei den Schülervertretungen allerdings auch mit „Liebe Schüler*innenvertreter*innen beginnen“ entzieht sich meiner Kenntnis.

Julian Marius Plutz: Du liebe Zeit. Ich will ja bei Lehrer*Innen stets „Lehrer*Außen“ ergänzen, aber das nur am Rande. Du erwähntest eben, dass es zu Problemen käme, wenn man  nicht gendert. An welche denkst du da?

Steffan Nethe: Hierzu vielleicht zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Studenten werden, wenn sie nicht gendern, an einigen Universitäten schlechter benotet als Studenten, die ihre Arbeiten gendergerecht abgeben. Das ist leider kein Witz, auch kein schlechter. Und dann, du kennst sie vermutlich, der Fall Julia Ruhs. Die Moderatorin meinte vor wenigen Wochen im ARD-Mittagsmagazin, Gendern sei vollkommen künstlich und krampfhaft. Ich gebe ihr Recht. Andere jedoch nicht. Ihre Aussage brachte ihr insbesondere bei Twitter viel Gegenwind.. Es würde mich nicht wundern, wenn es das nun mit einer großen Karriere beim ÖRR gewesen wäre.

Julian Marius Plutz: Interessant ist, dass das Gendern zwar nicht im Bildungsplan vorgesehen ist. Dennoch beschloss das Landesinstitut für Lehrerbildung Hamburg bereits 2016 die „Leitlinien zur Sicherung der Chancengleichheit durch gendersensible schulische Bildung“, in dem unter anderem die Forderung nach gendergerechter Sprache enthalten ist. Also zum Beispiel „mit Lücke“ zu sprechen, also den Genderstern mit einem glottalen Stopp zu betonen. Sind das Themen, mit denen Kindern behelligt werden sollten?

Steffan Nethe: Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen. Unser, oder besser, der sprachliche Ausdruck unserer Kinder leidet in Zeiten von Alder, Digga und einer Fülle von aus dem Englisch übernommenen Begriffen doch ohnehin schon. Und apropos „in Zeiten von“. Auch wenn wir es irgendwie gar nicht merken, wir befinden uns im Zeitalter der Digitalisierung. Und die Künstliche Intelligenz (KI) arbeitet nun mal mit Genauigkeit und Präzision. Unser Anspruch sollte daher auch sein, erstmal unsere eigene Sprache so gut zu beherrschen und bei der PISA-Studie so gut abzuschneiden, dass wir die KI mit den richtigen Worten füttern können. Das Gendern wird uns mit seinen wirren Wortkombinationen dabei bestimmt nicht helfen.

Da fällt mir noch ein. Letztens hab ich auf der Seite der Tagesschau die Headline „Pilot:innen werden zu Lokführenden umgeschult“ gelesen. Es gibt doch kaum ein besseres Beispiel dafür, wie unsere Sprache jegliche Bedeutung verliert. Übrigens haben wir in unserer Familie derzeit einen ägyptischen Gastschüler. Er kann mit diesem Satz tatsächlich noch weniger anfangen als ich. So eine Entstellung der Wörter gibt es eben nur im Deutschen. Aber zurück zu deiner Frage. Ich meine, lasst unsere Kinder erstmal die deutsche Sprache lernen und verstehen. Rechtschreibung und Grammatik im Deutschen sind auch ohne Gendern wirklich schon schwierig genug.

„Jedes Kind soll sich seine eigene Meinung bilden“

Julian Marius Plutz: Absolut. Ich kriege schon Anfälle, wenn Kinder das „haben“ weglassen, zb bei „Kann ich mal die Butter?“ Doch zurück zum Thema. Gendern hat ja in erster Linie einen ideologischen Auftrag, der aus der 3. Welle des Feminismus stammt. Ich möchte hier noch mal auf das Lehrinstitut zurückkommen, dass Gendern im Unterricht empfiehlt. Es handelt sich hierbei eine Behörde, die Lehrer ausbildet. Lehrer sind zur Neutralität verpflichtet. Ist hier nicht eine rote Linie überschritten?

Steffan Nethe: Selbstverständlich wird hier eine Linie überschritten, die weder eine Schulbehörde noch eine Lehrkraft überschreiten darf. Jedoch ist das mit der Neutralität der Lehrkräfte so eine Sache. Drei kurze Beispiele hierzu aus dem Unterricht meiner 14-jährigen Tochter. An zwei Freitagen musste sie – übrigens noch vor Corona – zu einer Fridays for Future-Demo. Das war verpflichtend. Ein anderes Mal berichtete eine ihrer Lehrerinnen im Unterricht ausgiebig von ihrem Konzert am Vorabend bei Feine Sahne Fischfilet. Und im letzten Jahr mussten sie und ihre Mitschüler sich in einem Projekt mit der BLM-Bewegung auseinandersetzen. Das Material hierzu haben die Schüler teilweise per Mail erhalten. Und ich kann dir sagen, ein Artikel von Achgut oder anderer kritischer Medien war nicht dabei. Neutralität sieht jedenfalls irgendwie anders aus.

Julian Marius Plutz: Ich höre solche Einflussnahmen von Lehrern immer wieder und bin jedes Mal erstaunt, was sich in 16 Jahren alles verändert hat, wo ich Abitur gemacht habe. Ich hätte mir so etwas nicht vorstellen können. Die vorläufige Gipfel des Vorgehens der Hamburger Lehranstalt ist übrigens, dass sie für Lehrer www.gender-mediathek.de empfehlen, sich für den Unterricht zu bedienen. Das Ganze ist ein Projekt von „Genderleicht“l das wiederum von der Heinrich Böll Stiftung finanziert wird, die politische Stiftung der Grünen Partei in Deutschland. So schließt sich ein Kreis.

Steffan Nethe: Schon interessant, mit welchen Parteien einige Stiftungen so verbandelt sind und in diesem Fall sicher auch ein Grund – wenn auch nicht der entscheidende – warum die Grünen gerade in den Umfragen so gut dastehen. Diese eigentlich unsichtbaren Bänder zwischen den verschiedenen Sparten stelle ich aber auch an anderer Stelle immer wieder fest. Ich denke da sofort an den ÖRR und an den Journalisten und Zeitungsverlegern. Es ist schon verrückt, wer z. B. in den Aufsichtsräten der großen Verlage sitzt. Aber das ist ein anderes Thema.

Julian Marius Plutz: Du hast geschrieben, dass die Konversation zwischen Lehrer und Schüler, zumindest auf der Seite des Pädagogen häufig gendergerecht abläuft. Wie sieht es beim Sprechen aus? Hast du den Eindruck, dass Lehrer auch häufiges Gendern? Und wenn das dann Schüler übernehmen, sind wir mitten in Orwells „Neusprech“.

Steffan Nethe: Die verbalen Berührungspunkte mit den Lehrern beschränken sich derzeit auf Zoom bzw. iServ. Hier ist es mir noch nicht aufgefallen. Und ich bin mir sicher, würden sie die Sternchen mitsprechen, hätte ich es wahrgenommen. Allerdings kann ich mir vorstellen, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Radio-Moderatoren und Tagesschau-Sprecher gendern schließlich auch schon fleißig.

Julian Marius Plutz: Auffallend viele junge männliche Journalisten, wie ich finde, die offenkundig es ganz besonders korrekt machen wollen. Kommen wir zur letzten Frage: Was ist deine Erwartungshaltung als Elternteil 2 – kleiner Scherz, als Vater, an den Deutschunterricht oder überhaupt an den Unterricht und an die Lehrer, was das Gendern und im weitesten Sinne auch, was die politische Einflussnahme betrifft?

Steffan Nethe: Witzig, Elternteil 2. Nun ja, noch können wir darüber lachen. Meine Erwartungen sind eigentlich ganz banal. Ich möchte, dass meinen Kindern nicht dieser sprachliche Wirrwarr aufgezwungen wird. Die deutsche Sprache ist schwer genug, das sagte ich ja bereits. Ich möchte, dass meine Kinder sich im Deutschunterricht mit einem Schiller und einem Goethe beschäftigen. Diese beiden Denker, die ich jetzt mal beispielhaft aufzähle, gehören zur deutschen Kultur und zur deutschen Sprache dazu. Frage ich meine Kinder nach solchen Größen ernte ich nur Schulterzucken. Deutsche Literatur, Lyrik, Gedichte, das alles gehört in den Deutschunterricht – und zwar nicht erst während der Abiturzeit. Und natürlich möchte ich nicht, dass die Lehrkräfte unsere Kinder politisch beeinflussen. Unterricht muss sachlich und neutral sein. Wertungen gegenüber politischer Richtungen – zumindest, wenn es sich um keine extremistische Richtung handelt – sind zu unterlassen. Jedes Kind soll sich seine eigene Meinung bilden und politisch unbelastet in die Welt entlassen werden.

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Sie können uns nicht das Leben verbieten

Von Julian Marius Plutz.

Ich war nicht coronakonform. Dafür war ich gemeinschaftskonform, selbst- und fremdkonform. Ich möchte Ihnen diese Geschichte erzählen. Nicht, um zu zeigen, was für ich für ein toller Hecht ich bin. Eher mag ich Ihnen Mut machen, dass man die Dinge, die viele tun, sich nicht an alle irren Maßnahmen zu halten, auch kommunizieren darf und sollte. Ich werde mir damit nicht nur Freunde machen und ich weiß genau, wem dieser Text aufstoßen wird. Aber das Thema schreibt mich. Ich will es gar nicht anders. Ich sehe überhaupt nicht ein, mich in meinen Texten beschneiden zu lassen.

So war ich also ein Rebell. Gegen das System und gegen den Staat. Ich sagte mich los von der irren Coronaprohibition. Jawoll! Doch riss ich nicht etwa die Grundwerte des Staates nieder. Ich stürmte auch nicht den Reichstag und ich entführte keine Politiker. Nein, viel schlimmer! Ich ging Essen. How dare he?! Bei einem äthiopischen Freund und einer äthiopischen Bekannten, die Köchin ist. Gewissermaßen doppelt schwarzes Essen. Illegal und, naja, afrikanisch. Genuss ist illegal. Und Bekanntschaften pflegen auch. Leben wird bestraft. How yare you, Angela?

„Es geht darum“, so Dr. Wieler, aka der Mann, der niemals lacht (nicht Busta Keaton), „um Kontakte zu vermeiden“. Am besten das ganze restliche Leben. Wir sind die Rhesusaffen in Harry Harlows Experiment. Die „Handtuchmütter“, also das vorgebliche Substitut der echten Mamas heißen Netflix, Skype, Teams. Digitale Spieleabend und gemeinsames Essen vor der Webcam. Tot traurig und entseelt. Menschen werden entmenschlicht. Interaktion ist nicht erwünscht. Mensch sein ist toxisch. Im Visier ist nichts weiter als der Humanismus, der ohne eine freie Gesellschaft nicht sein kann. Sie finden, ich übertreibe? Hören Sie sich doch einmal um, wie manch Mütter und Väter über die Situation ihrer Kinder sprechen. Es sind Geschichten, die Herzen zerfetzen.

Die Musikerin und der Wikinger, der Iraki und die Polin

Und doch hatte ich eine lebhafte Diskussion, weshalb ich es wagte, die Gesellschaft so zu hintergehen. Und in der Tat sorge ich mit meiner lukullischen Verabredung, die ich fußläufig, man muss sich ja bereits für jede Straßenbahnfahrt rechtfertigen, erreichte, für wahre Todeswellen. Der Tot, er kommt beim Essen. Doch nicht so, wie man Fugu falsch zubereitet und daran schlussendlich verstirbt, sondern subtiler. Durch die Infektion. Durch das Virus, durch die Krankheit. Der Sensenmann kommt verkleidet an einem geselligen Abend bei Kitfo und Ayib Gomen. Wer das ernsthaft glaubt, der tut mir leid. Und das meine ich nicht ironisch.

Und als ich nach dem feudalen Mittagsmahl und einem frisch gerösteten und gekochten äthiopischen Kaffee (entsetzlich gut) zum Einkaufen in Markus Söders Stadtteil ging, traf ich Mahmud, den ich schon länger nicht mehr gesehen hatte. Eine Stunde stand ich bei einem André im Garten; ein schwer sympathischer Lübecker Wikinger, den ich den halben Abend irrtümlicherweise Thomas nannte. Ausgestattet mit Bier und Bratwurst unterhielten wir uns über Professor Stöcker und den bayrischen Ministerpräsidenten. Daneben stand Umut, ein junger und nicht minder sympathischer Kurde. Natürlich fragte er mich, das ist das Los meines Berufs, ob ich für jemanden einen Job hätte. Und so ging der Abend weiter. In der Wohnung saß die polnische Freundin des Wikingers, die mir beim Eintreten sofort Stuhl und Bier anbot.

Anschließend kam eine Anne vorbei, die der André sogleich mit Bier und Bratwurst in seinen Garten lockte. Anne ist 22 und aus dem Vorarlberg. Sie studiert Oboe und ist seit Oktober 2021 in Nürnberg. Jenseits der Hochschule kennt sie niemanden. Der Wikinger holte eine Ukulele und die Anne zupfte ein wenig darauf herum. Zum Ende saß ich bei Mahmut und wir aßen Pute. Überhaupt aß ich sehr viel.

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil es das Leben ist. Man kann sich Leben nicht verbieten lassen. Ich kann es nicht und Sie können es nicht. Nach dem Lebensstil in der Nürnberger Südstadt, bis auf Maskenpflicht beim Einkaufen hält sich kaum wer an alle Maßnahmen, müsste man die Stadtteile dicht machen. Verseucht. Tote liegen auf den Straßen. Das Gegenteil ist der Fall. Hier spielt sich das Leben ab und das ist auch ganz hervorragend so. Und doch gibt es so viele, die sich kasteien lassen von der Angst. Ich fühle mit Ihnen, denn Ängste sind oft schreckliche Treiber, die zu irrationale Handlungen führen. Und viele sind von den promovierten Horrorclowns eingeschüchtert. Ich war es auch eine Zeit lang.

Stille Anarchie, die ansteckt

Wir erleben die Welt wie „Die Physiker“ beim Dürrenmatt: Im Irrenhaus. Apropos. Unlängst kam ich auf den Gedanken, wie denn die Situation in der Psychotherapie ist. Verhaltenstherapie mit Maske? „Schwer vorstellbar“, dachte ich naiv. „Die werden sich schon etwas überlegt haben“, dachte ich. Kurze Antwort und für Sie wahrscheinlich weniger überraschend: Nein. Die Therapiestunde, Prohibitionspsychologen ausgenommen, gibt es nur mit Maske. Ich fragte einen Freund, von dem ich wusste, dass er in einer entsprechenden Behandlung ist, wie sich das maskierte Therapieren auf ihn auswirkt. Die Antwort war ernüchternd. Er war genau aus diesem Grund seit November letzten Jahres nicht mehr bei seiner Psychologin. Der Zustand unserer Gesellschaft erscheint mir an dieser Stelle so vermaledeit, dass wir allen ernstes im Krieg gegen einen Virus alle Arten von gehobelten Späne akzeptieren. Covid, Covid über alles.

Nun bin ich, die Küche ausgenommen, kein Psychologe. Doch auch in meinem Beruf ist Maske tragen meist keine Option. In vielen Situationen erscheint der Mund-Nasenschutz undenkbar, in fast allen Belangen ist er weltfremd und fantasielos. Ich bin Personaler. Zur Zeit stellen wir pro Woche zehn Leute und mehr ein. Die Deutschkenntnisse sind meistens mangelhaft, manchmal ungenügend. Es ist völlig absurd zu glauben, ich könnte einen sprachlosen Ungarn oder Rumänen via Webcam einstellen. Die Leute, die das behaupten, haben keine Ahnung. Die Politik hat keinen Schimmer. Und doch sind es unsere Mitarbeiter, die sie finanzieren. Die nicht die große Ahnung haben von der großen Politik und ihnen diese auch herzlich egal ist, wenn sie in Ruhe gelassen werden. Es sind die, die in der Nürnberger Südstadt fremde Leute zum Grillen einladen, weil sie einfach liebe Nachbarn sind. Niemand von ihnen will etwas böses. Es ist ausgeschlossen, dass die Politik mit den Maßnahmen diese Leute brechen wird.

Im letzten Jahr sagte ich noch: „Wir können unmöglich 2021 so weitermachen“. Heute weiß ich: Viele Menschen machen längst ihr Ding. Es ist die stille Anarchie, die ansteckend ist. Nicht wie ein Virus, das alles ist, aber nicht das beschriebene Killervirus. Sondern ansteckend, wie ein Lachen ansteckt. Wie ein schlechter Witz zur rechten Zeit.

Ich war also nicht coronakonform. Ich traf Menschen. Ich ging Essen. Ich war beim Grillen. Ich lebte. Wenn Politik sein Volk für das Leben bestraft, ist die freie Gesellschaft dahin. Für die Durchsetzung aller Maßnahmen bräuchte man allein in der Nürnberger Südstadt allerdings einige Hundertschaften.

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Neulich beim Bäcker

Von Julian Marius Plutz.

Es geht doch nichts über einen maskierten Plausch mit der Verkäuferin beim Bäcker. Ja. Wenn man denn dazu in der Lage ist. Denn viele ältere Personen sowie Hörgeschädigte oder Ausländer verstehen erst gar nichts und lassen ein Gespräch ganz bleiben. Die Mimik ist ein wesentlicher Kommunikationskanal und gerade, wenn der Andere es mit einer Barriere zu tun hat, ist dieser unentbehrlich. Auch diesen Fakt muss man ins Verhältnis setzen, wenn die Regierung eine Maskenpflicht anordnet, die wenigstens im Freien laut Aerosolexperten nahezu sinnlos ist. Es ist erstaunlich, dass ein Land, das ansonsten alle Arten von gefühlter und tatsächlicher Ausgrenzung bekämpfen mag, diese himmelschreiende Ungerechtigkeit hinnimmt. Auf dem Altar der Pandemiebekämpfung muss es eben auch Opfer geben.

Aber zurück zum Plausch. Der gehört für mich dazu, wenn ich durch die Stadt flaniere. So rätselte ich vor Corona mit einer älteren Dame vor einem vietnamesischen Restaurant, wie dieses zu seinen Kampfpreisen (Teuerstes Gericht 7,50€ und das war die Ente) kommt. Zu einem befriedigten Ergebnis kamen wir nicht, aber das macht ja nichts. Wir machten uns die kurze Zeit schön. Viele Leute sehnen sich nach Kommunikation, nach dem Alltäglichen, ja, nach dem Banalen. Doch das Übliche ist schon lange im übergroßen Seuchenalarm, im Dauerausnahmezustand, der die neue Normalität darstellen soll, untergegangen. Die Menschen sind, wie es dieses sehr treffende, neue Kofferverb beschreibt. „mütend.“Müde und wütend.

Und so war ich unlängst auch ganz schön mütend. Müde, weil sich in dieser Nacht der Schlaf recht rar machte. Und wütend, da ich tatsächlich nach meinem Wecker noch mal entschlief. Wütend auch, weil ich keine verflixte Maske fand, außer die, in der sich seit einigen Tagen ein Rosenkranz verheddert hatte. „Eigentlich darf man sowas nicht verkaufen“, entgegnete mir damals die rumänische Verkäuferin auf einem Flohmarkt in Berlin-Kreuzberg. Hätte sie die Kette mal behalten und sich selber umgehängt. Stattdessen hängt sie nun an der einzigen Maske, die ich in all er Hektik auftreiben konnte. Sie ahnen nicht, wie beschränkt es aussieht, wenn am rechte Ohr wie schulterlanges Haar ein Rosenkranz hängt.

Ein Bamberger ist ein Bamberger

Wie auch immer, ich hatte es eilig. Ich rief noch meine Kolleginnen an, ob sie etwas vom Bäcker bräuchten – ein längst durchschautes Manöver, zu kaschieren, dass ich ein paar Minuten später komme. Und als ich dann den Bäcker mit Gebetskettenmaske betrat, geschah das, was eh schon hätte geschehen müssen. Ich muss da etwas ausholen:

In Nürnberg heißt das gemeine Butterhörnchen „Bamberger“. Für mich als Unterfranken völlig unverständlich, denn sind doch Bamberger Leute, die in der wunderschönen wiederum oberfränkischen Stadt wohnen. In Unterfranken handelt es sich um ein „Hörnle“, wahlweise „Hörnla“. Mit latenter Mütendigkeit betrat ich also den Bäckersladen.

„Ein Hörnchen, bitte“, entgegnete ich dem Personal in gebührender Freundlichkeit, während ich nicht ganz unenelegant meinen Rosenkranz hinter die Schulter strich.

„Sie meinen ein Bamberger?“ antwortete mir die Verkäuferin selbstsicher. Mein Puls stieg beträchtlich.

„Nein, Gnädigste, ein Hörnchen.“ sagte ich betont freundlich und zeigte wie ein schwer retardiertes Kind auf die Backware. „Daaaas daaaa!“

Doch die Dame, die längst zu meiner Kontrahentin im Streit um das passende Wort geworden ist, ließ sich nicht lumpen und griff nach ihrer Gebäckanfasszange: „ Also eeeeein Baaaamberger für den netten Herren. Darf es sonst noch etwas sein?“ Ich bin mir ganz sicher, dass Kriege bereits aufgrund weniger ausgebrochen sind. Ich war willens, einen solchen auszurufen. Hier und jetzt. Ich bin bereit!

Ich entschied mich dann jedoch für eine etwas kostengünstigere Variante. Ich antworte ihr einfach mit einer kleinen Klugscheißerei: „Kennen Sie, Gnädigste“, die Dame war rund rund 20 Jahre älter als ich, „die Geschichte „ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel?“. Sie schüttelte den Kopf. Ich fuhr fort, während ich bedeutungsschwer mein Nasenfahrrad abnahm, um den Moment noch mehr Tiefe zu verleihen.

„Da geht es um einen älteren, etwas verwirrten und vor allem einsamen Mann, der in seiner Langeweile sich ein Vokabelheft kauft und die Wörter umtauft. Ein Bett ist ein Bild, läuten heißt stellen. Teppich heißt Schrank, ein Wecker ist nun ein Fotoalbum und ein Stuhl ist ein Tisch. Ja. Und so ergeht es mir hier. Ein Hörnchen ist ein Bamberger. Aber das ist falsch. Ein Hörnchen ist ein Hörnchen. Ist ein Hörnchen, ist ein Hörnchen. So. Und so einen Apfelkrapfen, Gnädigste, hätte ich gerne auch noch. Das passt mir auch vom Namen her.“

Gottes Rache

Die Bäckereiverkäuferin schaute mich unter ihrer OP-Schwestermaske an wie ein Lastenfahrrad. Ich triumphierte innerlich, jedoch zu früh, wie sich herausstellte. Denn die Dame hatte sich schnell wieder im Griff.

„Na, da hab ich ja Glück gehabt. Übrigens heißen Krapfen auch nur hier Krapfen. Woanders sind das Berliner und wie heißen Krapfen in Berlin? Na?“ Etwas eingeschüchtert zuckte ich mit den Achseln.

„Pfannkuchen. Genau. Aber das steht nicht bei Ihrem Peter Pichel!“

„Äh, Bichsel“ unterbrach ich sie.

„Wie auch immer. 2,90 Euro, der Herr. Eine Frage noch. Weshalb klemmt an ihrem Ohr ein Rosenkranz? Hat man die nicht um die Hand, oder um den Hals? Fragen Sie doch mal Ihren Pichler. Ach und noch etwas: Ein Hörnchen ist vor allem ein Nagetier.“

Sie knallte die Backwaren auf die Theke und ich ging dahin.

Man muss sich nun wirklich nicht um jeden Preis unterhalten. Netter Plausch hin und her, aber manchmal ist Schweigen doch Gold. Vielleicht war es auch die göttliche Rache, den Rosenkranz gekauft zu haben.

Im Büro angekommen schnitt ich die Maske vom Rosenkranz ab und warf das eine weg und hing die Kette um meinen Hals. Im Papierkorb schmieg sich die FFP2 Maske an die zerknüllt Bäckertüte und sonstige Schnipsel, die in einem Büro so anfallen und nicht mehr gebraucht werden.